Fußball

Laute Freude über Hohn und Spott Max Kruse streut Salz in klaffende Wölfe-Wunde

Max Kruse genießt den Herbst seiner Karriere am Mittellandkanal.

Max Kruse genießt den Herbst seiner Karriere am Mittellandkanal.

(Foto: IMAGO/Christian Schroedter)

Die Geschichte um die Ausmusterung von Max Kruse ist eine der großen Erzählungen der ersten Wochen der Spielzeit 22/23 der Fußball-Bundesliga. In Wolfsburg wird er degradiert, woanders dafür bewundert: Die Anhänger von Union Berlin feiern ihn. Da nimmt er gerne den Salzstreuer in die Hand.

Max Kruse salzt noch einmal nach. Der degradierte Wolfsburg-Star hat sich nach der Niederlage der Wölfe bei Union Berlin bei den Anhängern des Spitzenreiters der Fußball-Bundesliga bedankt. Die hatten am Sonntag die Elf vom Mittellandkanal um Trainer Niko Kovac verhöhnt. Ein Fest für Kruse, der in Berlin lebt und in Wolfsburg nun für ein Millionengehalt die Torhüter warmschießen soll. "Ich werde nicht vergessen, was am Wochenende passiert ist", freute sich Kruse in einer Wortmeldung auf Instagram. "Ich habe mitbekommen, was die Fans gesungen haben. Es ist ein schönes Gefühl, so etwas zu hören von den Fans einer Mannschaft, wo man mal gespielt hat. Von daher: vielen, vielen Dank."

Der ehemalige Nationalspieler war im Januar 2022 kurzfristig von Union Berlin nach Wolfsburg gewechselt. Die schon damals kriselnden Wölfe hatten sowohl den Berlinern als auch dem Spieler den Transfer mit unanständig vielen Millionen Euro versüßt und immerhin im ersten Halbjahr davon profitiert. Die Fans des Kult-Klubs aus dem Berliner Bezirk Köpenick waren alles andere als glücklich über den Abgang. Doch der anhaltende sportliche Wahnsinn in der Alten Försterei überlagerte derartigen Unmut schnell. Trotzdem ließen sie sich am Wochenende die Spottgesänge nicht nehmen.

Sie schmetterten ein fröhliches und durchaus amüsantes "Ohne Kruse habt ihr keine Chance" in Richtung der Wolfsburger und feierten sonst so, wie man es eben macht, wenn man plötzlich ganz oben in der Tabelle steht und niemand so recht weiß, wie lange die Party noch andauern wird. Die Gesänge sind daher wohl auch eher als Spottgesänge für Wolfsburg und nicht als Pro-Kruse-Gesänge zu verstehen. Das war Kruse jedoch womöglich vollkommen egal.

Union Berlin braucht Kruse wirklich nicht

Dass Kruse in Köpenick nicht mehr gebraucht wird, beweist der Tabellenführer der Bundesliga ohnehin Woche für Woche. In Sheraldo Becker und dem US-Nationalspieler Jordan Siebatcheu haben sie zwei der erfolgreichsten Angreifer der Liga unter Vertrag. Gemeinsam haben sie bereits neun Treffer erzielt, so viele wie Titel-Anwärter Borussia Dortmund insgesamt. Becker bewirbt sich zudem frühzeitig auf den Titel des Torschützenkönigs.

Der Titel war nach Robert Lewandowskis Kaugummi-Abgang in Richtung Barcelona in diesem Sommer vakant geworden. Mit sechs Toren thront Becker aktuell ganz oben in der Torschützenliste, ein echter Verfolger lässt sich bislang nur in dem Bremer Niclas Füllkrug ausmachen. Den Bayern, so schrieb Kollege Tobias Nordmann gestern, würde grundsätzlich überhaupt mal wieder ein Tor guttun.

Dass Union Berlin jedoch so treffsicher ist, sorgt gerade international für einiges an Wirbel. Denn nach Auswertungen aller Daten dürften die Köpenicker das überhaupt nicht. Das hängt mit dem Expected-Goals-Wert zusammen. Der, kurz gesagt, zeigt an, wie viel Tore eine Mannschaft aus der Gesamtanzahl der Tor-Abschlüsse eigentlich hätte erzielen dürfen. Je aussichtsreicher die Schussposition, desto höher der Expected-Goals-Wert. Ein Elfmeter wird zum Beispiel bei den vielen Modellen mit 0,9 bewertet.

Alle Werte zeigen, dass Union Berlin nicht mehr als zwischen vier und sechs der bisherigen 15 Tore hätte erzielen dürfen. Haben sie aber nicht. Sie haben 15 Tore erzielt. Das zeigt jede echte Bundesliga-Tabelle. Fußball ist nicht immer anhand von Daten zu erklären. Daher steht Union Berlin jetzt an der Spitze, unter anderem mit fünf Punkten vor den kriselnden Bayern, die für den Moment nicht mehr aus eigener Kraft Meister werden können. Union steht nicht im Mittelfeld der Tabelle, also auf Augenhöhe mit dem Lokalrivalen Hertha BSC, wie es auf einer der Seiten nachzulesen ist. Sie performen über, auch ohne Max Kruse.

Union-Fans feiern Kruse bis die Polizei kommt

In der erst vierten Bundesliga-Saison trauen einige Experten den Eisernen nun sogar die Meisterschaft zu. Aus der Masse sticht als prominentestes Beispiel der ehemalige Nationalspieler Michael Ballack heraus. "Träumen ist erlaubt", erzählte der 45-Jährige der "Sport Bild": "Warum nicht? Ich habe das mit Kaiserslautern 1998 erlebt, als wir als Aufsteiger Meister wurden. Oder es gibt das Beispiel Leicester, das 2016 völlig überraschend den Titel in der Premier League gewann."

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Ballack sprach von dem Rausch, in den sich eine Mannschaft spielen kann, und der ein Team dann "während der gesamten Saison trägt". In einen derartigen Rausch hat sich auch der VfL Wolfsburg in der Saison 2008/2009 gespielt. Damals surften sie unter Trainer Felix Magath auf einer Welle der Euphorie. Sie waren der letzte Bundesliga-Meister, der nicht entweder Borussia Dortmund oder eben Bayern München hieß. Max Kruse lief in diesen Jahren für die zweite Mannschaft von Werder Bremen auf. Im Sommer 2009 war er gerade 21. Er konnte kaum erahnen, für welche Unruhe er am anderen Ende seiner Laufbahn einmal sorgen würde.

"In der Nacht von Sonntag auf Montag war bei mir vor der Haustür sehr viel los. Hier waren einige Union-Fans mit Bengalos, die Polizei musste kommen, weil es ein bisschen zu laut wurde", sagte er: "Ich weiß diese Anerkennung sehr zu schätzen und wollte mich dafür recht herzlich bedanken." Am Mittellandkanal müssen sie unterdessen das frische Salz aus der klaffenden Kruse-Wunde waschen.

Quelle: ntv.de

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