
Gyula Lorant und Dettmar Cramer sorgten für einen außergewöhnlichen Trainertausch.
(Foto: imago/WEREK)
Der Trainertausch zwischen dem FC Bayern München und Eintracht Frankfurt ist legendär. Im November der Fußball-Bundesliga-Spielzeit 1977/78 laufen beide Vereine ihren Erwartungen hinterher. Und so wechseln Dettmar Cramer und sein Kollege Gyula Lorant die Posten.
Das Wechselspielchen zwischen den Trainern Dettmar Cramer vom FC Bayern und Gyula Lorant von der Frankfurter Eintracht am 30. November 1977 ist und bleibt eines der kuriosesten Kapitel der Bundesliga-Geschichte. Das Ungewöhnlichste am Trainertausch: Cramer höchstpersönlich regte den Wechsel mit seinem Kollegen aus Frankfurt an, weil er hoffte, damit beiden Teams einen Gefallen zu tun. Und genau diese Form der Empathie und menschlichen Größe war es am Ende vermutlich auch, die Cramer in München erst in diese verflixte Lage gebracht hatten.
Kritiker unterstellten dem gebürtigen Dortmunder stets, er sei zu sanft für das Geschäft. Und auch seine Spieler in München sollen immer wieder gefordert haben, er müsse ihnen mal kräftig in den Hintern treten und sie öffentlich an den Pranger stellen. Selbst als die spätere Freundin von Franz Beckenbauer Cramer unter Tränen bat, im Olympiastadion in ein lächerliches Napoleon-Kostüm zu steigen, weil sie sonst Ärger mit ihrem Chef bekäme, willigte der Bayern-Trainer sanftmütig ein. Nein, Cramer wollte von zu viel Sanftmut und menschlicher Nähe nichts wissen. Und so zog er seine Linie bis zum Schluss konsequent durch.
"Blut schwitzen"
In Frankfurt war die Lage eine komplett andere. Trainer Gyula Lorant war als harter Schleifer bekannt und wegen seiner kompromisslosen Art gefürchtet. Acht Wochen spielte Charly Körbel einmal mit einem Bänderriss im rechten Knöchel unter ihm, weil er sich nicht traute, seinem Trainer etwas zu sagen. Als der Mannschaftsarzt schließlich die Initiative ergriff, antwortete der Ungar nur: "Boxer kämpfen auch mit Platzwunde, soll Charly Zahnpasta auf Fuß schmieren." Auch vor der Saison hatte Lorant in Frankfurt den Mund richtig voll genommen. Nach dem ersten Training hatte er gemeint: "Seit heute Vormittag haben wir nur noch ein Ziel: Meister zu werden. Für die Meisterschaft werden wir trainieren und arbeiten und wenn es sein muss, auch Blut schwitzen!" Doch als die Spielzeit lief, klappte es bei Weitem nicht so, wie von der Eintracht erhofft.
Und auch in München rannte das Team den Erwartungen hinterher. Der FC Bayern befand sich in seinen Umbruch-Jahren - und bezahlte am Ende der Saison teuer für eine völlig verkorkste Spielzeit. Der zwölfte Platz ist die bis heute schlechteste Platzierung der Vereinshistorie. Der Klub war in der schwierigsten Phase seiner Bundesligageschichte. Da passte der eigenartige Trainertausch zwischen Cramer und Lorant genau ins Bild.
Erst 48 Stunden vor dem Wechsel standen sich die beiden Vereine im Frankfurter Waldstadion noch gegenüber. Cramer versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. Alle Augen waren an diesem Tage auf ihn gerichtet und so schrie er noch einmal verzweifelt und wild gestikulierend auf Zuruf von Fotografen seinem Spieler Hoeneß zu: "Geh', Uli, geh' los, ab geht die Post." Doch zu diesem Zeitpunkt stand es bereits 4:0 für die Eintracht. Und so hatten die Männer von der Presse kurz darauf die Bilder im Kasten, die sie sich erhofft hatten. Einen in sich zusammengesunkenen Cramer, der auf der Pressekonferenz einen seiner Lieblingssätze formulierte: "Aus einem traurigen Hintern kommt eben kein fröhlicher Furz mehr." Das sah die Führung des FC Bayern genauso und entließ ihren Trainer noch, ehe der Deal mit den Frankfurtern endgültig ins Laufen kam.
Lästereien über Wechsel
Kurz darauf war der Wechsel zwischen den beiden Klubs jedoch perfekt und so verabschiedete sich der scheidende Eintracht-Trainer Lorant nach dem Sieg über seinen neuen Klub etwas zweifelnd von seinen alten Spielern. Diese hätten ihren Coach nach dem überraschenden Triumph über die Bayern gerne behalten - wenigstens die allermeisten. Nur Ersatzkeeper Günter Wienhold freute sich riesig über den Trainerwechsel und verkündete mit einem ironischen Zucken in den Mundwinkeln: "Meinen nächsten Sohn nenne ich Dettmar."
Lästermaul und Ex-Meistercoach Max Merkel konnte sich allerdings nie so recht für Cramer begeistern und machte aus seiner Abneigung auch öffentlich kein Geheimnis: "In der Theorie ist Cramer Weltmeister. Der Dettmar füllt zwar kiloweise Papier mit Strichen, wie die Spieler zu laufen und Bälle abzuspielen haben, trotzdem zählte der Präsident neulich 43 Abspielfehler in Frankfurt." Und auch der Vorsitzende der Bayern, Wilhelm Neudecker, ließ kein gutes Haar an seinem ehemaligen Trainer. Er fand ihn den Spielern gegenüber zu weich: "Cramer trainiert nur ihre Hinterköpfe. Am Ende haben alle Abitur, aber der FC Bayern zu wenig Punkte."
Querelen mit Müller-Wohlfahrt
Lorant traf in München ebenfalls nicht nur auf Freunde. Nicht lange her, da hatte er den Torwart und Weltmeister der Nationalmannschaft, Sepp Maier, bei einem Auswärtsspiel übel beleidigt: "Der Maier kann in den Zirkus gehen. Er ist ein Clown und kein Torwart. Als wir 4:2 in München gewonnen haben, da hat er geweint!" Das hatte sich der Keeper des FC Bayern gemerkt. Und auch Lorants ungewöhnliche Anweisungen im medizinischen Bereich sorgten für Argwohn und Unstimmigkeiten, wie der Vereinsarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt Jahre später einmal erzählte: "Wegen Gyula Lorant hätte ich beinahe aufgehört. Er hat mir mal erklärt, dass man einen herausgesprungenen Meniskus am besten mit der Eckfahne wieder reinhaut."
Nach dem sonderbaren Wechselspielchen beobachtete nicht nur die Münchener Presse den neuen Bayern-Coach sehr genau. Die Sekunden vor Lorants erstem Spiel mit der neuen Mannschaft zu Hause gegen den 1. FC Kaiserslautern beschrieb der "Kicker" so: "'Lorant, Lorant'-Rufe begrüßen den Tausch-Coach im Münchner Olympiastadion, als er den Kabinengang heraufkommt. Er hat offensichtlich Schwierigkeiten, sein Team zu erkennen, das sich wie die Lauterer in roter Trainingsmontur aufwärmt."
Auch für Cramer lief es in Frankfurt nicht wesentlich besser. Die Saison beendete die Eintracht als Siebter. Der 30. Juni 1978 war Cramers letzter Arbeitstag. Wie hatte er noch so schön nach seinem Ende in München Goethes berühmtes Gedicht vom Hemd frei zitiert: "Wenn man den ersten Knopf falsch knöpft, passt am Ende das ganze Hemd nicht." Besser kann man die (gescheiterte) Idee vom großen Trainertausch im Nachhinein nicht beschreiben.
Quelle: ntv.de