Stück Bundesliga-Geschichte geht Niemand nervte den FC Bayern wie "Doppelagent" Willi Lemke
13.08.2024, 15:30 Uhr
Bei einer Bier- und Skatrunde in der Bremer Altstadt stoßen am 21.04.1986 an (v.l.): Bayern-Manager Uli Hoeneß, der Bremer Werder-Präsident Dr. Franz Böhmert, Bayern-Präsident Prof. Fritz Scherer und Werder-Manager Willi Lemke.
(Foto: picture alliance / dpa)
Von Rudi Völler bis Ailton: Willi Lemke formt als Manager bei Werder etliche Stars und macht Bremen zum größten Konkurrenten des FC Bayern. Nun ist der Ex-Erzfeind von Uli Hoeneß verstorben. Über ein Leben voll Schlitzohrigkeit, einen besonderen Flug nach Mexiko - und KGB-Agenten.
Im Sommer 1997 stieg Willi Lemke Hals über Kopf in einen Flieger nach Brasilien. In São Paulo beim Guarani FC spielte ein Stürmer, den der Werder-Manager nach Bremen lotsen wollte, bevor ihn jemand anders wegschnappte. Sein Name: Ailton Goncalves da Silva. "Unverkäuflich, unverkäuflich", hieß es von den Brasilianern jedoch und Werder Kassen waren klamm. Nichts zu machen.
Doch der schon immer für seine Schlitzohrigkeit, Pfiffigkeit und seinen Ehrgeiz bekannte Lemke ließ nicht locker, hakte über Monate immer wieder wegen Ailton nach. Irgendwann wurde ihm mitgeteilt, dass der Brasilianer nach Mexiko verkauft wurde. Lemke jettet wütend nach Monterrey. Im Herbst 1998 war es so weit, Ailton wechselte für die damalige Rekordsumme von fünf Millionen D-Mark nach Bremen. Es floss wohl auch ein üppiges Handgeld an den Stürmer.
Der Bremer Manager, der 1981 sein Amt bei Werder antrat, nahm den damals 25-Jährigen direkt auf dem Rückflug mit in die Hansestadt, was zu Komplikationen führte: Lemke sprach kein Portugiesisch oder Spanisch, Ailton kein Deutsch oder Englisch. Ihre einzige Konversation auf den beinahe 20 Stunden über den Wolken: "Bremen bom", Bremen gut. "Diesen Satz, und wirklich nur diesen einen Satz, haben wir zueinander gesagt", erklärte Lemke einst, "immer wieder, bestimmt 30 bis 50 Mal während des Flugs". Bis Montag begrüßten sich beide Männer so, ehe sie sich in die Arme fielen. Dann verstarb der langjähre Manager im Alter von 77 Jahren im Kreis seiner Familie.
Lemke, Ailton und "Bremen bom"
Am Ende der Geschichte stand der größte Erfolg der Bremer Vereinsgeschichte, der ohne die vielen Tore von "Kugelblitz" Ailton und auch ohne Lemke nicht möglich gewesen wäre: das Double 2004. Die Geschichte aus andere Zeiten des Fußball-Business' zeigt auch, was Klaus Filbry, Vorsitzender der Geschäftsführung von Werder Bremen, meint, wenn er nun mit folgenden Worten trauert: "Willi Lemke gehört zweifellos zu den größten Persönlichkeiten in der Geschichte des deutschen Fußballs. Er hat beim SV Werder in vielen Bereichen Pionierarbeit geleistet und für immer Spuren hinterlassen. Ohne seine langjährige Arbeit wäre der Klub nicht das, was er heute ist. Sein Engagement für Werder, Bremen und den weltweiten Sport bleibt für immer unvergessen. Willi Lemke wird uns fehlen."
Werder erlebte unter Lemke und Trainer Otto Rehhagel seine erfolgreichste Zeit. Gefährdete Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre sogar die Vormachtstellung des FC Bayern München. Wuchs zum größten Konkurrenten und Erzfeind heran. Ohne Lemke hätte all das nicht funktioniert. Als Visionär formte er Werder nach der Abstiegssaison 1979/80 zu einem deutschen Spitzenklub. Zur Weltmarke. Mit geringsten Mitteln, die mit denen des FC Bayern, aber auch etwa Bayer Leverkusen, niemals mithalten konnten.
"Manche Vereine sparen und drehen die Mark zweimal um. Bei Werder wird sogar jeder Pfennig geröntgt", sagte Lemke einst. Trotzdem gelang es dem Manager immer wieder, mit bescheidenen Mitteln Spieler zu holen, die zu Stars wurden: Verteidiger und Libero Rune Bratseth zum Beispiel. "Sein Verein aus Trondheim wollte 600.000 Mark für ihn, aber Rune hat uns gesagt: 'Keine Sorge, die haben mir versprochen, dass ich wechseln darf. Überzieht das nicht mit der Ablöse.' Am Ende haben wir ihn für 200.000 bekommen - den weltbesten Abwehrspieler", erzählte Lemke mal.
Lemke fetzt und versöhnt sich mit Hoeneß
1992 verhandelte Lemke so intensiv mit Rapid Wien, bis er den 23-jährigen Andreas Herzog loseisen konnte. Auch dieser Transfer hatte wichtige Folgen für Werder, schließlich begründete Herzog an der Weser eine Spielmacher-Tradition, auf die Größen wie Johan Micoud, Diego und Mesut Özil folgen sollten. Spätere Größen wie Rudi Völler (1982 von 1860 München), Karl-Heinz Riedle (1987 von Blau-Weiß 90 Berlin) und Torsten Frings (1997 von Alemannia Aachen) warb er kleineren Klubs ab. Zwei von ihnen wurden auch dank Werder Weltmeister, der dritte im Bund erlebte das Sommermärchen 2006. "Er hat mich sogar zu meiner Vorstellung in Rom begleitet. Bis zuletzt ist der Kontakt zwischen uns nicht abgebrochen", sagte Völler nun über den Verstorbenen, dessen "großartige Persönlichkeit" er hervorhob. Auch seinen späteren Nachfolger Klaus Allofs holte Lemke 1990 nach Bremen.
Höhepunkt der Manager-Amtszeit war der Triumph im Europapokal der Pokalsieger 1992. Dazu kamen die Meisterschaften 1988 und 1993 und die drei Pokalsiege 1991, 1994 und 1999. Dank Lemke und Rehhagel spielte Werder bei den Großen mit. 1994 hatte der Visionär mit Stefan Effenberg schon alles geklärt, der Transfer war quasi fix. Aber der damalige Spieler von der AC Florenz forderte nachträglich mehr Gehalt und der Deal platzte.
Bekannt wurde Lemke aber auch durch seine Dauerfehde mit Uli Hoeneß. Der Bremer verstand es, dem so mächtigen wie großtönigen Bayern-Patron Paroli zu bieten und sich als Verfechter der Chancengleichheit und sozialdemokratischer Gegenspieler des reichen Münchners zu positionieren. Damit nervte er Hoeneß so sehr, wie niemand sonst in dessen Karriere. Noch Jahre nachdem der Werder-Manager sich 1999 in die Politik verabschiedet hatte (schon vor seiner Zeit im Fußball war er bei der SPD), schimpfte Hoeneß: "Dem Lemke würde ich heute noch nicht mal die Hand geben." Lemke konterte in einem Interview, das in dem Werder-Buch "Das W auf dem Trikot..." erschien: "Uli Hoeneß glaubt, mit Geld und Macht, Leute niederbügeln zu können." Deshalb habe er "von mir immer volles Rohr Gegenwind gekriegt, und das ist er nicht gewöhnt".
Als Werder am sonnigen Nachmittag des 8. Mai 2004 im Münchner Olympiastadion die Bayern mit 3:1 blamierte und die Meisterschaft eintütete, freute sich abseits der Spieler wohl niemand so sehr über den Erfolg gegen den ewigen Konkurrenten wie das damalige Aufsichtsratsmitglied Lemke. "Ich sehe nicht, was Uli Hoeneß sagt, weil ich den Fernseher immer abschalte, wenn er auf dem Bildschirm erscheint", hatte er noch vor dem Duell gesagt.
"Doppelagent" Lemke und der KGB
Später aber versöhnten sich die beiden Streithähne. Dass Münchens Ehrenpräsident nun derart betroffen auf den Tod seines ehemaligen Widersachers reagierte, spricht auch für den Menschen Lemke. "Die Nachricht hat mich traurig gemacht", sagte Hoeneß dem SID. "Willi Lemke war ein Mann der Kontroverse: Jeder weiß, dass wir oft diskutiert und gestritten haben. Aber er war auch ein Mann des Dialogs, und letztlich haben wir zu einem guten Verhältnis gefunden." Lemke habe "die Bundesliga und den deutschen Fußball sehr bereichert." Auch Hoeneß weiß, was er an Lemke hatte. Dass dieser seinen FC Bayern zu wichtigen Höchstleistungen trieb und auf neue Level hob, weil er Werder so gut managte.
Jahre später zog es Lemke aus der beschaulichen Hansestadt gar in die Weltpolitik. Unter UN-Generalsekretär Ban Ki-moon war er acht Jahre lang ehrenamtlich UN-Sonderberater für Sport. Sein Motto war seit jeher: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Anfang der 70er Jahre hatte er gar einen "Doppelagent" gespielt und sich für den Verfassungsschutz auf Kontakte mit dem russischen Geheimdienst KGB eingelassen. "Ich habe ja gesehen, dass es den Leuten in der DDR dreckig ging", sagte er einst in einem Interview. "Ich bekam Krim-Sekt, Aalbrot und frisches Obst bei meinem Besuch serviert. Und meine Verwandten in Rostock hatten seit Jahren keine Aale mehr gegessen, da sie alle in den Westen exportiert wurden."
Mit Willi Lemke geht ein Visionär, der Werder Bremen groß gemacht hat und für Menschlichkeit, Leidenschaft und Teamgeist stand. Im modernen Fußball mit seinen kommerziellen Auswüchsen ist für solche Werte immer weniger Platz. "Das Getue, das Theater heutzutage, das Spieler machen, wenn sie neu bei einem Verein sind, kann ich kaum ertragen", sagte er im Januar noch im Interview mit "Münchner Merkur/tz". Bei Ailton hatte er damals nur eines zugelassen: "Bremen bom".
Quelle: ntv.de