Fußball

Der Bundesliga-Check: Darmstadt Nur der nächste "Pissverein"?

Er hat den Hut auf: Dirk Schuster.

Er hat den Hut auf: Dirk Schuster.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Der Kader nicht erstligareif, das Stadion eine Bruchbude, das Saisonziel wie von Wolfgang Schäuble diktiert: Der SV Darmstadt hat sich in die Bundesliga verirrt, nun müssen sie es durchziehen. Am Ende wird es so oder so ein Erfolg.

Was für ein Teufelsritt: Vor genau 435 Tagen war der SV Darmstadt 98 noch Drittligist. Ein völlig wahnsinniges Relegations-Rückspiel und eine noch viel wahnsinnigere Zweitliga-Saison später spielen die Hessen in der Fußball-Bundesliga. "Wir haben in der 1. Liga eigentlich nichts zu suchen", sagte Trainer Dirk Schuster noch wenige Wochen vor dem "Wunder vom Böllenfalltor". Also schon wieder einer dieser "Pissvereine", wie Braunschweigs Trainer Torsten Lieberknecht die hoffnungslosen Underdogs in seinem legendären Wutausbruch nannte? Es deutet, Verzeihung liebe Darmstädter, viel darauf hin. Auch wenn Präsident Rüdiger Fritsch die Bezeichnung "die kleinste Wurst der Bundesliga" bevorzugt.

Was gibt’s Neues?

Nichts, was soll schon sein? Wieder mal aufgestiegen, wieder mal Außenseiter. Wieder mal zum Trainingslager nach Baiersbronn im Schwarzwald gefahren statt nach China. Ob sich so viel ändern wird, wussten die Spieler nach dem Aufstieg erst einmal auch nicht. Wobei, Florian Jungwirth hatte da so eine Ahnung: "Wahrscheinlich werden wir merken, was passiert ist, wenn uns Arjen Robben sieben Knoten in die Beine gespielt hat". Das wird nach Lage der Dinge am 5. Spieltag sein, wenn die Bayern am Böllenfalltor gastieren. Damit die Elitekicker in der charmanten Bruchbude keinen Kulturschock bekommen, hat Präsident Rüdiger Fritsch versprochen, vorher nochmal durchzuwischen. Eine nette Geste, aber seriös betrachtet brauchen sie ein komplett neues Stadion - die Stehplatztribünen sind noch auf Kriegsschutt erbaut, die letzte große Sanierung datiert vom letzten Bundesliga-Aufstieg 1981, da installierten sie eine Flutlichtanlage. Die Planungen für das neue Böllenfalltor sind schon angelaufen, vor 2018 wird es aber wohl nicht eröffnet.

Auf wen kommt es an?

Ja, Dirk Schuster hatte schon immer große Ambitionen. Er wollte unbedingt einmal einen Bundesligisten trainieren. Dass er sein Ziel allen Ernstes mit dem SV Darmstadt erreicht hat, ist ein bisschen so, als wäre Sebastian Vettel schon im Toro Rosso Weltmeister geworden. Eine außerordentliche Leistung, mit der sich Schuster nun eine außerordentliche Aufgabe eingebrockt hat: eine Mannschaft ohne Erstligareife vor dem Abstieg bewahren. Gefragt sind zunächst einmal seine Fähigkeiten als Sportlicher Leiter. Die Aufgabe übernimmt er in Ermangelung eines Managers ja gleich mit. Seine Devise schon in den vergangenen Jahren: Lange warten, dann auf der Resterampe zugreifen. Vor allem Stürmer werden dringend gesucht, auch in der vergangenen Saison erzielte das Team nur 44 Tore, noch nie gelang einem Verein mit so wenig Treffern der Aufstieg. Andere Vereine könnten sich bei Transfers eine Fehlerquote von 50 Prozent erlauben, sagte Schuster unlängst der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Bei uns müssen von acht bis neun Transfers sieben sitzen." Nur dann besteht eine Chance auf den Klassenerhalt.

Wie gut kennen Sie sich mit den "Lilien" aus?
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Was fehlt?

Man kann es nicht häufig genug betonen: Dieser Kader ist nach allem Ermessen nicht erstligareif. Ganze 457 Bundesliga-Spiele hat das Team von Dirk Schuster auf dem Buckel. Aber was heißt hier das Team? Acht Spieler sind schon einmal in der Bundesliga aufgelaufen, drei davon in mehr als 34 Spielen. (Achtung, kann sich ändern, wenn Diaz etc. kommen sollten!) Die "Welt" zog vor Kurzem einen erhellenden Vergleich: Der Marktwert der Darmstädter beläuft sich auf geschätzte 16 Millionen Euro, der von BVB-Ersatzmann Sokratis allein auf 18 Millionen Euro. Schuster will noch nachbessern, richtig viele Argumente kann er potenziellen Zugängen aber nicht präsentieren. Darmstadt hat mit einem Etat von 20 Millionen Euro geplant, bei Weitem der niedrigste der Liga. Kein Wunder, dass Schuster, darauf angesprochen, immer wieder sein Mantra abspult: "Wir müssen als Team funktionieren, mit unseren Darmstädter Tugenden: Bereitschaft, Willensstärke, Kampfkraft."

Wie lautet das Saisonziel?

"Take the money and run": Rund 24 Millionen Euro Fernsehgelder nehmen die "Lilien" in dieser Saison ein, in der Zweiten Liga waren es noch 5 Millionen Euro. Ein sattes Plus also, das der Verein gleich mal unter die Leute bringen könnte – wenn, ja wenn in Wirtschaftsjurist Rüdiger Fritsch nicht ein Gesinnungsbruder von Wolfgang Schäuble den Boss spielen würde. Er hat die Mission ausgegeben für diese Saison und sie lautet: Nicht absteigen und falls doch, wenigstens ordentlich Geld mit in die Zweite Liga nehmen, damit sich der Verein sanieren und in die Infrastruktur investieren kann.

Die n-tv.de-Prognose

Darmstadt wird die Liga bereichern wie der angegraute Großcousin mit Post-Scheidungs-Alkoholproblemen die Familienfeier: Erst lachen alle über seine derben Witze und klatschen mit bei den schweißtreibenden Tanzeinlagen, aber spätestens ab Mitternacht blicken die Ersten beschämt zu Boden. Dieser Abend wird kein gutes Ende nehmen, was dem Großcousin aber so was von herzlich egal ist. Das gilt aller Voraussicht nach auch für die Saison der Darmstädter. Sie werden absteigen, ihren Spaß haben – und sich, wenn sie klug sind, ein finanzielles Polster zulegen.

Quelle: ntv.de

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