Fußball

Doppelpack für Doppel-Ektase Popps Déjà-vu stachelt DFB-Hype weiter an

Popp hoch zwei: Ihre Treffer bringen den Sieg gegen Frankreich.

Popp hoch zwei: Ihre Treffer bringen den Sieg gegen Frankreich.

(Foto: IMAGO/Picture Point LE)

Zwei Monate ist die Fußball-EM in England her, das Sommermärchen der deutschen Nationalelf von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg weitet sich zu einem Herbst-Feuer aus. Bei der Neuauflage des Halbfinals gegen Frankreich ist vieles gleich - und doch so anders.

Deutschland gewinnt 2:1 gegen Frankreich, Alexandra Popp erzielt beide deutschen Tore, mehr als 25.000 Fans sind im Stadion. Das gilt für das Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft in England, das am 27. Juli in Milton Keynes stattfand. Und das gilt nun erneut für das Freundschaftsspiel in Dresden, den 2:1 (1:0)-Sieg über Frankreich, gut zehn Wochen später. Doch es gibt entscheidende Veränderungen - und die sitzen zumeist außerhalb des Platzes.

Die Partie ist das erste Heimspiel des DFB-Teams seit dem Hype, den es bei der EM entfacht hat. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg und ihre Spielerinnen haben sich in England dieses Spiel verdient: am Freitagabend zur besten Sendezeit, gegen hochkarätige Gegnerinnen, vor berauschender Kulisse. 26.835 Fans sind ins Rudolf-Harbig-Stadion in Dresden gekommen. "Ich konnte bei der Nationalhymne, als alle mitgesungen haben, nicht aufhören zu grinsen. Ich musste mich ein bisschen konzentrieren, dass ich weitersinge. Es war einfach Gänsehaut pur", so Lena Oberdorf nach dem Spiel. "Als Kind träumt man genau von dieser Kulisse." Ihre Kapitänin Popp sagt: "Die Atmosphäre war Wahnsinn, sie hat uns beflügelt."

Schon am Nachmittag deutet sich an, dass in der Stadt noch etwas vor sich gehen wird. Zwar sind Menschen in Trikots der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auch fernab der Turniere Normalität im Stadtbild. Trikots der deutschen Fußball-Nationalelf der Frauen dagegen fallen schon deutlich mehr auf - erst seit kurzem haben sie dasselbe Design. Und an diesem Freitag sitzen gleich einige in den Trikots mit den zwei Sternen über dem Adler in den Cafés und Restaurants der Stadt. Unverkennbar wird es dann vor dem Stadion der Stadt. Schon um 18.15 Uhr stehen zahlreiche Fans vor den geschlossenen Stadiontoren. So viele, dass über die Lautsprecher die Ansage kommt, die Tore würden um 18.30 Uhr geöffnet, Anpfiff ist um 20.30 Uhr.

Sie sind da, um einen guten Abend zu verleben, ihre gute Laune überschwappen zu lassen, gut zu sein zum eigenen Team, aber nicht nur. Vor dem Anstoß feiern sie die Mädchen, die die Fahnen auf dem Rasen hochhalten und bei den Nationalhymnen auf dem Platz stehen, sie applaudieren bei der französischen Nationalhymne, sie sind komplett still während der Schweigeminute für die Opfer der Stadion-Katastrophe in Indonesien. Faires Publikum, besetzt mit genau denen, die Voss-Tecklenburg sehen will: "Viele junge Mädchen, auch die Jungs, die Familien, die Menschen, die Lust haben, unsere Nahbarkeit zu begleiten und zu unterstützen. Wir haben das die ganze Woche in der Stadt bemerkt. Es ist ein Miteinander", resümiert sie zufrieden nach dem Spiel.

Popp lässt Stadion eskalieren

Zum Miteinander trägt ihre Spielführerin maßgeblich bei. Die Frau mit der Binde um den Arm ist dieselbe wie beim Halbfinale in England, doch wegen Verletzungen wie bei Giulia Gwinn, die sich laut Voss-Tecklenburg am Mittwoch im Training "vermutlich" erneut einen Kreuzbandriss zugezogen hat, Marina Hegering und Sara Däbritz oder einer Corona-Infektion bei Lina Magull fehlen mehrere Stammspielerinnen der EM. Zudem hatte die Bundestrainerin vorab angekündigt, einige Spielerinnen, die nicht regelmäßig Einsätze auf dem Leistungsniveau haben, testen zu wollen. Im Vergleich zum WM-Qualifikationsspiel gegen Bulgarien steht mit Linda Dallmann nur noch eine gleiche Spielerin in der Startelf. So ist zunächst deutlich zu sehen, dass auf dem Feld eine Elf steht, die nicht perfekt eingespielt ist. Die Abstimmung passt nicht hundertprozentig, die Pässe kommen nicht alle an, Laufwege stimmen nicht immer. Es liegt auch an den Gegnerinnen, die Französinnen stehen hoch, spielen offensiv und mit Drang. Der Stimmung auf den Rängen tut das keinen Abbruch, jede gute Aktion des DFB-Teams wird mit lautem Raunen oder Jubel begleitet.

Die Stimmung beflügelt das Team, das sich nach gut 20 Minuten besser findet, das nach und nach mehr fürs Spiel tut. Als es kurz vor der Pause gerade etwas ruhiger wird, sorgt Popp dann für die umso extremere Kulisse: Ein - wie kann es anders sein - wuchtiger Kopfball der 31-Jährigen nach einer Ecke von Felicitas Rauch trifft ins Tor. "Wir machen zum richtigen Zeitpunkt das 1:0 mit einem Spielzug, den wir genau so spielen wollten. Dass es so aufgeht, ist fantastisch", so Voss-Tecklenburg. Das Stadion entlädt sich in einem lauten Jubelschrei, die großzügig ausgeteilten Deutschland-Fahnen werden zur Tormusik geschwenkt.

"Es boomt gerade"

Es ist auch Popp, die nach der Pause dafür verantwortlich ist, dass die ausgelassene Stimmung anhält. Nach brillanter Vorarbeit der gerade erst eingewechselten Jule Brand, die den Ball konsequent nach vorn treibt, ist es Svenja Huths Diagonalpass von rechts, den Popp - diesmal per Grätsche - verwandelt. "Deutschland, Deutschland"-Rufe schallen nach dem 2:0 durchs Stadion, sogar die La-Ola läuft nach einigen Versuchen souverän durchs Rund. Dass die Französinnen in der 85. Minute einen Elfmeter zugesprochen bekommen, erzürnt nicht nur die vermeintliche Verusacherin Merle Frohms, auch das gellende Pfeifkonzert von den Rängen steht der Entscheidung der Schiedsrichterin Tess Olofsson entgegen. Frohms schwört laut Voss-Tecklenburg, Lindsey Thomas bei ihrer klärenden Grätsche nicht berührt zu haben. Es hilft nicht, die frühere Bayern-Spielerin Vivian Asseyi verwandelt zum 2:1, es ist zugleich der Endstand.

"Oh, wie ist das schön, so was hat man lange nicht gesehen" wird noch vor dem Abpfiff angestimmt - und das stimmt sogar. So ein Hype, so eine Euphorie, so eine grandiose Kulisse gab es bei einem DFB-Spiel zuletzt unmittelbar vor der EM 2013. Damals waren mehr als 46.000 Fans zum Testspiel gegen die damaligen Weltmeisterinnen aus Japan in die Münchner Allianz Arena gekommen. Die Aufbruchstimmung nach der Heim-WM 2011 flachte wieder ab, der Fußball der Frauen verschwand wieder in eine Nische.

Das soll diesmal nicht passieren, darin sind sich alle einig. "Es boomt gerade, genau da müssen wir dran bleiben. Dass es jetzt keine einmalige Sache war, sondern dass zum nächsten Heimspiel vielleicht sogar schon 30.000 Fans kommen", so Oberdorf. Es geht um Nachhaltigkeit, keine kurzfristige Sensation. "Ich hoffe natürlich, dass die kommenden Heimspiele genauso angenommen werden, wir wollen das aufrechterhalten. Es liegt an uns, es liegt auch an attraktiven Spielen in der Champions League, wo unsere Nationalspielerinnen mehrheitlich unterwegs sind", so Voss-Tecklenburg.

Autogramme vom Fahrersitz des Teambusses

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Ihre beliebteste und bekannteste Spielerin, ihre Kapitänin, gehört mit dem VfL Wolfsburg zu den Champions-League-Teams. Ihre Popularität ist nach sechs EM-Toren, nach dem irren Verletzungs- und Coronadrama vor dem Turnier so groß wie nie. Sie wird noch eine Nummer lauter gefeiert, nicht nur bei der Auswechslung in der Nachspielzeit, die die Bundestrainerin ihr gönnt. Während des Spiels kann Popp die Stimmung gut filtern und die Kulisse ausblenden, erklärt sie. Doch nach der Auswechslung "gehen die Scheuklappen auf", es sei "ein schönes Gefühl, wenn das ganze Stadion jemanden bejubelt", sagt die Doppeltorschützin. Um dann gleich wieder aufs Team zu verweisen: "Ich glaube, das haben wir uns als Mannschaft erarbeitet."

Sie haben es sich verdient, dass viele Fans lange nach Abpfiff vor dem Stadion ausharren, dass sie den Mannschaftsbus belagern, in dem Voss-Tecklenburg kurzerhand auf den Fahrersitz geklettert ist und durch das heruntergelassene Fenster Autogrammkarten verteilt, dass sie die Spielerinnen noch bejubeln, als diese in den Bus einsteigen. Das alles liegt auch am EM-Halbfinale gegen Frankreich. Dieses ist gerade einmal zehn Wochen her - doch in der Wahrnehmung liegen Welten.

Quelle: ntv.de

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