Neue Härte gegen Schwalben Premier League schreckt Simulanten ab
12.12.2017, 13:28 Uhr
Schwalben-Jubel gegen den Ruf als Schwalbenkönig: Jürgen Klinsmann im August 1994.
Im englischen Fußball sind Schwalben das höchste Übel - sofern sie nicht von Engländern begangen werden. Seit dieser Saison können Simulanten strenger bestraft werden. Eine gute Idee mit Schwächen in der Praxis, findet unser Autor.
Als Jürgen Klinsmann nach der Weltmeisterschaft 1994 nach England kam, löste er bei der Jugend einen Verfall der Sitten aus. Der deutsche Nationalstürmer galt als Schwalbenkönig, was eine böse Beleidigung ist in dem Land, das sich als Geburtsstätte des Fußballs sieht. In England gehören Ehrenhaftigkeit und Fairplay zu den wichtigsten Werten im Sport. Wer sich fallen lässt, um zu gewinnen, wer den Schiedsrichter und das Publikum täuscht, wird mit allgemeiner Missgunst gestraft.
Klinsmann wusste nicht so richtig, wie er mit seinem Ruf umgehen sollte, doch sein Mitspieler Teddy Sheringham hatte eine Idee. Er riet dem Zugezogenen, der Situation mit Humor zu begegnen. Als Klinsmann also seine ersten Tore für den neuen Klub Tottenham Hotspur schoss, rutschte er mit dem Bauch über den Rasen, die Arme voran. Seine Schwalben-Jubel, der Diver, wurde sein Erkennungszeichen. Auch Kinder im Park hätten ihre Tore auf diese Weise gefeiert, berichtete Klinsmann später vergnügt.
Als Klinsmann kam und Owen fiel
Im Kern war es schon immer so und wird es wohl auch immer bleiben, dass Schwalben in England geächtet sind - allerdings nur, wenn sie von Ausländern begangen werden. Von dem Viertelfinale von Englands Nationalmannschaft bei der WM 1998 gegen Argentinien, einer der dramatischsten Partien in der Geschichte des Teams (die im Elfmeterschießen verloren ging), sind das sensationelle Solo-Tor von Michael Owen und die Rote Karte gegen David Beckham nach seinem halbherzigen Tritt gegen Diego Simeone in Erinnerung geblieben.

Hendrik Buchheister, Jahrgang 1986, ist freier Journalist, schreibt nicht nur über Fußball und berichtet seit dieser Saison aus Manchester über das sportliche Geschehen in England. Just ist sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven" erschienen.
(Foto: Verena Knemeyer)
Weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen wurde der Umstand, dass auch Owen in dem Spiel eine Schwalbe produzierte, die zu einem Strafstoß führte. Wenn ein Engländer simuliert, um sich einen Vorteil zu verschaffen, wird das von Fans, Fachleuten und Medien leicht verschämt verschwiegen. Wenn ein Spieler aus dem Ausland die gleiche Tat begeht, deutet das auf die Zersetzung des englischen Spiels durch fremde Einflüsse hin.
Natürlich, die Ansichten sind mittlerweile nicht mehr ganz so radikal wie noch in den 1990-Jahren, als Klinsmann nach England kam und Owen fiel, was daran liegt, dass die Premier League eine internationale Liga geworden ist. Die Klubbesitzer kommen aus Thailand, den USA und Abu Dhabi, die wichtigsten Spieler der Topteams aus Belgien, Spanien, Brasilien und Argentinien, die Zuschauer sitzen auf der ganzen Welt vor den TV-Geräten. Aber grundsätzlich sind Schwalben immer noch verrufen - und können seit dieser Saison sogar strenger bestraft werden.
"Die Bestrafung sollte die gleiche sein"
Spielern, die in den Verdacht der Täuschung geraten, drohte eine nachträgliche Sperre für zwei Partien. Die Entscheidung darüber trifft eine Jury aus einem Schiedsrichter, einem Ex-Profi und einem Ex-Trainer, dich sich - jeweils einzeln - das zur Verfügung stehende Videomaterial anschauen und dann zu einem Urteil kommen. Der erste Spieler, dem die zweifelhafte Ehre zuteilwurde, im Nachgang für eine Schwalbe gesperrt zu werden, war Evertons Angreifer Oumar Niasse. Er holte beim 2:2 seines Teams bei Crystal Palace Mitte November einen Elfmeter durch Schauspielerei heraus, wie das Expertenkommando hinterher urteilte.
In der Theorie ist die neue Härte gegen Simulanten eine gute Idee, weil sie abschrecken und der Haltung entgegen wirken soll, dass Schwalben nun einmal zum Spiel gehörten, dass sie ein Zeichen von Cleverness seien. In der Praxis hat sie allerdings Schwächen, wie beim Manchester-Derby zwischen dem roten (United) und dem blauen (City) Teil der Stadt am Wochenende zu beobachten war. In der ersten Halbzeit ging Citys Angreifer Gabriel Jesus nach einem Zweikampf mit Uniteds Mittelfeldmann Ander Herrera zu Boden, als wäre ihm übel zugesetzt worden. Schiedsrichter Michael Oliver ließ das Spiel weiterlaufen. In der zweiten Halbzeit hob Herrera nach einem Duell mit Nicolás Otamendi im Strafraum ab, er wurde noch am Tatort überführt und mit der Gelben Karte bestraft.
Während Herreras Vergehen also abgehandelt ist, könnte Gabriel Jesus nachträglich gesperrt werden, zumindest theoretisch. Dabei haben sich beide des gleichen Vergehens schuldig gemacht. Der Unterschied besteht allein in der Bewertung von Schiedsrichter Oliver. "Das ist ein Ungleichgewicht. Die Bestrafung sollte die gleiche sein", schrieb der ehemalige Premier-League-Referee Mark Clattenburg in der "Times" und hat natürlich Recht mit dieser Auffassung. Das muss besser werden. Sonst ist das neue Vorgehen noch weniger hilfreich als, sagen wir: mit einem Schwalben-Jubel gegen den Ruf als Schwalbenkönig zu kämpfen.
Quelle: ntv.de