Zwischen Ärger und Ambitionen RB Leipzigs Frauen kopieren nicht nur das Erfolgsmodell
16.04.2023, 10:54 Uhr
In der kommenden Saison will man sich in Leipzig mit der ersten Mannschaft des VfL Wolfsburg messen - anstatt wie in dieser Saison noch mit der Zweitvertretung der Rekordmeisterinnen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Bratwurstduft und Pokaleuphorie am Cottaweg: RB Leipzigs Frauen stellen an diesem Sonntag erstmals die Männer in den Schatten. Das Nahziel heißt Pokalfinale, in ein paar Jahren will Leipzig die Branchenführer angreifen.
Alles begann mit einem handfesten Skandal, sieben Jahre nach der Gründung gelingt der Aufstieg in die Bundesliga und die Spielführerin heißt Kaiser. Die Parallelen zwischen Frauen- und Männerteam bei RB Leipzig sind verblüffend. Eines haben die RB-Frauen den männlichen Kollegen sogar voraus. Während sich die RB-Profis - inzwischen Pokalspezialisten - im Cup früher regelmäßig schwertaten, haben es die Frauen bereits als Zweitligist ins Halbfinale geschafft. An diesem Sonntag (18.30 Uhr/Sky) spielt das Team um Spielführerin Johanna Kaiser, nicht verwandt mit dem langjährigen Männer-Kapitän Dominik Kaiser, gegen den aktuellen Erstliga-Sechsten SC Freiburg um den Einzug in Pokalfinale.
Die 1800 Tickets für die Partie waren innerhalb von wenigen Stunden vergriffen. Denn die Frauen spielen nicht in der 47.069 Fans fassenden Red-Bull-Arena, sondern am anderen Ufer des Elsterflut-Beckens im Nachwuchsstadion direkt an der Akademie. In dem engen Stadion ist die Atmosphäre ähnlich wie einst in der Premierensaison der RB-Männer 2009/10 in der Oberliga. Nach seinem Stadionbesuch beim 6:1 im Viertelfinale gegen Bundesligist SGS Essen schwärmte auch Männer-Cheftrainer Marco Rose: "Das hat riesigen Spaß gemacht, ich fand die Atmosphäre klasse, es hat nach Fußball und Bratwurst gerochen. Es war gute Stimmung, ein tolles Spiel, herausragende Tore." Auch die Mannschaft selbst will lieber vom Flair am Cottaweg profitieren, als dass sich 5000 bis 6000 Fans im riesigen einstigen Zentralstadion verlieren und ihr eigenes Echo hören.
"In jedem Bereich ambitionierte Ziele"
Um dem Andrang gerecht zu werden, baut RB zum ersten Mal eine mobile Tribüne für etwa 300 zusätzliche Zuschauer auf. Das soll in der kommenden Saison Standard werden, da in der 1. Liga Platz für mindestens 2000 Zuschauer vorhanden sein muss. Das Pokal-Halbfinale gilt auch für den DFB als Testlauf, um die Erstliga-Tauglichkeit der Umstände an einem Spieltag bei RB zu überprüfen. Der Aufstieg ist dem Team nur noch rechnerisch zu nehmen, 18 Punkte beträgt der Vorsprung auf Verfolger Andernach. Eines Tages soll für die Frauen und auch die bis dahin möglicherweise wieder eingeführte U23-Männermannschaft ein passendes, etwa 5000 Zuschauer fassendes Stadion entstehen. Doch das ist Zukunftsmusik.
Zunächst wollen die "Bullerinas", wie RB seine Frauen taufte, den Zuschauerschnitt von bislang etwa 300 im Stadion am Bad in Markranstädt vor den Toren Leipzigs durch den dauerhaften Umzug in die neue Heimat am Cottaweg deutlich anheben. Anders als noch vor einigen Jahren sind die Frauen deutlich näher an die Männer-Profiabteilung herangerückt. Inzwischen dürfen auch die Frauen die Vorzüge der Akademie am Cottaweg nutzen und neben der Haupttrainingsstätte an der nahen Leipziger Sportfakultät der Universität teilweise auf den Männerplätzen trainieren.
"Bereits jetzt nutzen sie unser Gelände hier für den Trainingsbetrieb. Wir befinden uns im ständigen Austausch, um weitere Prozesse und infrastrukturelle Planungen voranzutreiben", sagte Sportchef Max Eberl auf Anfrage von ntv.de. "Die Entwicklung im Frauenfußball generell ist deutlich zu spüren und auch bei uns sind die Frauenteams ein wichtiger Bestandteil des Klubs. Wir haben in jedem Bereich ambitionierte Ziele, wollen uns immer mit den Besten messen."
Proteste standen am Beginn des Weges
Begonnen hatte der Weg der Leipziger Frauen-Mannschaft 2016 wie bei den Männern mit Querelen und Protesten. In einer Spielgemeinschaft mit dem Leipziger FC 07 begann RB nicht wie angekündigt mit Jugendspielerinnen in der sächsischen Landesliga, sondern trat mit dazugekauften, ehemaligen Zweitligaspielerinnen an. Daraufhin gaben die übrigen Liga-Teilnehmer eine Protesterklärung ab. Der Bischofswerdaer FV boykottierte gar und trat aus Protest nicht an.
Der Neuling wurde aus dem Pokal ausgeschlossen, musste sich dazu bereit erklären, Auflagen zu erfüllen, eine gewisse Anzahl an Jugendspielerinnen einzusetzen und Ligaspiele zu wiederholen. Zwar betonte Ex-RB-Boss Oliver Mintzlaff bereits 2017: "Entweder wir machen Frauenfußball richtig oder wir lassen es. Halbgas ist nicht die Philosophie unseres Vereins." Doch es dauerte dennoch einige Jahre, bis das Projekt richtig Fahrt aufnahm und auch im Klub an Wichtigkeit gewann.
Das Pendent zu RB-Baumeister Ralf Rangnick ist Viola Odebrecht. Die Weltmeisterin von 2003 und dreimalige Champions-League-Siegerin mit dem VfL Wolfsburg führte mehr Professionalität sowie personell und sportlich klare Leitlinien nach dem Vorbild des Gesamtvereins ein. "Wir haben eine einheitliche Philosophie im gesamten Verein, wollen talentierte Spielerinnen weiterentwickeln und streben dabei eine ganzheitliche Förderung und Persönlichkeitsentwicklung an", erklärt Odebrecht. "Wir wollen weiterhin organisch wachsen und nicht den zweiten vor dem ersten Schritt gehen. Das heißt, dass wir step by step das nächste Level erreichen möchten, ohne verrückte Dinge zu machen." Das hätte auch Rangnick damals sagen können.
"Müssen Qualität steigern"
Doch warum nicht das Modell kopieren, das bei den Männern Erfolg brachte? Auch die Frauen setzen nicht auf Topstars wie etwa Alexandra Popp, sondern auf Talente mit Potenzial, die sich eines Tages zu solchen entwickeln könnten. Gescoutet wird auch international, bereits jetzt stehen Akteurinnen aus der Schweiz, Slowenien und Dänemark im Kader. Dass eine Spielerin wie Olympiasiegerin Anja Mittag 2019 zu RB wechselte und durch ihre Erfahrung und Klasse das Projekt anschob, ist eine absolute Ausnahme. Aktuell forciert Mittag den Weg nach oben als Co-und Offensivtrainerin und auch als Aushängeschild der Leipzigerinnen.
In der 1. Liga werden nun Etat und Gehälter steigen, bestätigt Odebrecht: "Mit einem Aufstieg müssen zum einen Lizensierungsauflagen erfüllt werden und zum anderen wollen wir natürlich auch die Qualität im und ums Team herum steigern", sagt sie. Auch die Frauen gehen immer mehr ins Detail und führen in der kommenden Saison etwa ein einheitliches Ernährungskonzept ein. Noch ist das für den Verein ein Zuschussgeschäft, aber perspektivisch soll sich das Frauenteam, mit eigenen Sponsoren selbst tragen.
Sportlich ist das Team mit dem zu Saisonbeginn neu gekommenen Trainer Saban Uzun und diversen Zugängen bereits jetzt tauglich für die obere Hälfte der 1. Liga. "Wir sind derzeit spielerisch sehr gut drauf, haben ein gewisses Selbstverständnis in unseren Abläufen entwickelt. Daher müssen wir uns auch gegen Freiburg nicht verstecken", sagt Kapitänin Kaiser selbstbewusst. "An einem sehr guten Tag können wir spielerisch mit Freiburg mithalten und haben durchaus Chancen auf den Einzug ins Finale."
Schneller Angriff aufs Establishment
Die Perspektive ist klar: Nach ein, zwei Akklimatisierungssaisons in der Bundesliga will RB auch bei den Frauen das Establishment aufrütteln und Bayern München und dem VfL Wolfsburg Konkurrenz machen. "Es liegt in unserer DNA, perspektivisch auch ambitioniertere Ziele anzugehen", bestätigt Odebrecht. "Wir möchten langfristig schon im oberen Drittel der Bundesliga mitspielen und damit auch im Kampf um die internationalen Plätze ein Wörtchen mitreden."
Bereits aktuell gehören sieben Spielerinnen aus der eigenen Kaderschiede dem Zweitliga-Team an. "Es ist doch super, wenn Spielerinnen aus Mitteldeutschland nicht die Region verlassen müssen, um hochklassigen Fußball zu spielen", sagt Odebrecht. Eberl betont, dass mit fünf weiblichen Nachwuchsteams inklusive einer U20, die als zweite Mannschaft perspektivisch den Sprung in die 2. Bundesliga schaffen kann, bereits jetzt "ein stabiler Unterbau" vorhanden sei. Auf Spitzenniveau stabiler gar als bei den Männern, da RB dort gerade nach Möglichkeiten sucht, wieder eine zweite Mannschaft zu etablieren.
Der Einzug ins Finale in Köln am 18. Mai würde den RB-Frauen weiteres Renommee einbringen. Dann wird nicht vor 1800 Fans gespielt, sondern mit über 30.000 Anhängern soll ein neuer Zuschauerrekord für ein Spiel bei nationalen Vereinsspielen der Frauen aufgestellt werden. Es würde gut zum Klub passen, wenn RB Leipzig als Zweitligist daran beteiligt wäre. Klubintern träumen sie bei RB vom gemeinsamen Einzug ins Pokalfinale, auch die RB-Männer müssen im Semifinale gegen den SC Freiburg ran.
Quelle: ntv.de