In 800 Spielen nicht passiert Manu, der Rambo - Die denkbar schlimmste Premiere für Neuer
03.12.2024, 23:14 Uhr
Manuel Neuer sieht Rot. Zum ersten Mal überhaupt.
(Foto: dpa)
Manuel Neuer unternimmt im DFB-Pokal gegen Bayer Leverkusen einen unnötigen und fatalen Ausflug. Der Torwart des FC Bayern checkt nach 17 Minuten den Leverkusener Jeremie Frimpong um. Neuer sieht Rot und die Münchner fliegen schon wieder aus dem Pokal.
Manuel Neuer hatte bis zu diesem Dienstagabend eine erstaunliche Bilanz vorzuweisen. 878 Spiele hatte der Torwart des FC Bayern als Profi bestritten, dabei war er nie vom Platz geflogen. 28 Mal wurde ihm die Gelbe Karte gezeigt, aber Rot sah er nie. Doch dann kommt im Achtelfinale des DFB-Pokals die 17. Minute und sie endet für Neuer und die Münchner fatal. Denn tatsächlich sieht er die Rote Karte. Er kommt aus seinem Tor gestürmt und checkt Jeremie Frimpong um, den pfeilschnellen Außenspieler von Bayer Leverkusen. Frimpong war steil und zentral in Richtung Bayern-Tor geschickt worden, flankiert von zwei Münchner Verteidigern. Doch Neuer entschied sich dazu, einzugreifen, sein massiver Körper knallt in den kleinen Gegenspieler.
Schiedsrichter Harm Osmers zögerte nicht eine Sekunde, er greift sofort in die Gesäßtasche. Neuer redet kurz mit dem Unparteiischen, aber nach einer massiven Beschwerde sieht das nicht aus. Zu eindeutig ist die Szene, denn der Ball war bei der Attacke nicht im Spiel. Der hätte womöglich strafmildernd gewirkt. "Es ist für einen Torwart immer schwer", sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann in der ARD schon während der Halbzeit zur letztlich spielentscheidenden Szene. Die stark verteidigenden Leverkusener, auch in Überzahl keineswegs die bessere Mannschaft, gewannen das Spiel durch ein Jokertor von Nathan Tella (69.) mit 1:0 (0:0).
"Kein Vorwurf!" von Kimmich
Vorwürfe von Teamkollegen gab es nach der bitteren Niederlage keine. "Ich habe es nicht als spielentscheidend gesehen. Manu hat uns da schon sehr oft gerettet", sagte Nationalmannschaftskapitän Joshua Kimmich. "Zu 99,9 Prozent trifft er die richtigen Entscheidungen. Kein Vorwurf!" Vielmehr haderte er mit dem Ergebnis trotz der starken Vorstellung in der eigenen Arena: "Es war mit unsere beste Leistung. Natürlich nervt es mich extrem, dass der erste Titel weg ist. Das Aus nervt, wir spielen alle Fußball, um zu gewinnen. Aber wir sind auf dem richtigen Weg, auch wenn das Aus wehtut."
"Er hat eine ein bisschen zu tiefe Ausgangsposition - wenn er tief bleibt, hat er vielleicht ein brutales Eins-gegen-eins, das ist auch nicht angenehm. Aber Konny Laimer ist noch relativ gut im Zweikampf", analysierte der Bundestrainer weiter. Letztlich sei es "immer eine Millimeterentscheidung", der Platzverweis an sich aber "unstrittig. Die Beherrschung des Raums ist Manus große Stärke, in dem Fall wäre es vielleicht besser gewesen, zu warten. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer". Spätestens 2014 war das Torwartspiel dank Neuer um eine Komponente reicher geworden. Im WM-Achtelfinale gegen Algerien wurde "Manu, der Libero" geboren. Mit einem unfassbaren Timing rettete er die deutsche Nationalmannschaft mehrfach vor einer Blamage. Am Ende stand der Titel, dank "Manu, dem Libero". Damals war Neuer auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft.
Im Finale gegen Argentinien sorgte er allerdings mit einer harten Aktion für Aufsehen, die mit dem Check gegen Frimpong vergleichbar ist. Im Strafraum ging er gegen Gonzalo Higuain All-In, faustete den Ball weg, rammte den Stürmer aber auch gnadenlos ab. Das blieb allerdings ohne Folgen. Nun ist die Gemengelage anders. Neuers Handlungsschnelligkeit lässt nach. Es wird häufiger über ihn diskutiert und häufiger wird er verteidigt.
Karriere ohne Zweifel auf der Zielgeraden
So aber nahm das Unheil seinen Lauf und der FC Bayern setzt seine fürchterliche Serie im Pokal fort. Seit dem Triumph in der Saison 2019/20, gegen Bayer Leverkusen (4:2), gab es für den Rekordsieger nur Blamagen und Enttäuschungen. Unter anderem gegen den damaligen Zweitligisten Holstein Kiel und gegen den Drittligisten 1. FC Saarbrücken. Die knappe Niederlage nun ist trotz der guten Leistung in Unterzahl ein erster Dämpfer auf die bislang vor allem in der Bundesliga herausragende Saison der Münchner.
Die erste von drei Titelchancen für Kompany und den FC Bayern ist damit futsch. Und damit vielleicht auch die letzte Chance für Neuer, den Pokal, den er sechs Mal holte, noch einmal zu gewinnen? Seine Karriere befindet sich ohne Zweifel auf der Zielgeraden. Auf einer sehr langen. Im kommenden Sommer läuft der Vertrag des 38-Jährigen aus, ebenso wie der von Thomas Müller. Der alte FC Bayern könnte zerbrechen, die letzten Helden von gleich zwei erfolgreichen Generationen gehen. Während bei Müller, der sportlich immer weniger berücksichtigt wird, vor allem gemessen an seinem Top-Gehalt, die Anzeichen eher auf Trennung stehen, wurde über Neuer berichtet, dass die Tendenz eher zur Verlängerung geht.
Aber in die Verhandlungen spielt viel mit rein. Alter, Anfälligkeit und Stärke. Noch ist nichts in Stein gemeißelt. Zumal mit Alexander Nübel der Nachfolger beim VfB Stuttgart zu einem Topmann reift. Er ist ausgeliehen, eigentlich soll das bis 2026 zu sein. Aber die Münchner könnten ihn Medienberichten auch früher zurückholen. Das macht es für den Klub entspannter, für Neuer nicht unbedingt.
Zahn der Zeit nagt an Neuer
Tor: 1:0 Tella (69.)
München: Neuer - Laimer (73. Boey), Upamecano, Kim (84. Tel), Davies - Kimmich, Goretzka (73. Pavlović) - Sané (19. Peretz), Olise, Coman (73. Gnabry) - Musiala; - Trainer: Kompany.
Leverkusen: Kovar - Mukiele (61. Arthur), Tah, Tapsoba, Hincapie - Andrich (46. Schick), Xhaka, Palacios, Frimpong, Grimaldo - Wirtz; - Trainer: Alonso.
Schiedsrichter: Harm Osmers (Hannover)
Gelbe Karten: Upamecano, Goretzka - Tapsoba (2), Wirtz, Kovar
Rote Karte: Neuer wegen groben Foulspiels (17.)
Zuschauer: 75.000 (ausverkauft)
In diesem Sommer, nach der Heim-EM, war er aus der Nationalmannschaft zurückgetreten. Schon vor dem Turnier mehrten sich die Stimmen: Ist er wirklich noch die unangefochtene Nummer eins? Doch Neuer machte erst danach den Weg für seinen ewigen Ersatzmann Marc-André ter Stegen frei. Dessen Geschichte sich dann dramatisch fortsetzte. Schwer erleichtert und bestens gelaunt, dass er nicht mehr nur für den FC Barcelona glänzen darf, sondern auch für Deutschland, wurde er rasch brutal auf den Boden gerissen. Er verletzte sich schwer und fällt für den Rest der Saison aus.
Auch Neuer hatte sich vor zwei Jahren schwer verletzt. Nach dem Weltmeisterschafts-Debakel von Katar hatte er einen folgenschweren Skiausflug unternommen und war dabei gestürzt. Das Leiden zog sich ewig hin, begleitet von der bangen Frage: Wird er noch einmal der Alte? Wird er überhaupt noch einmal? Er wurde, vielleicht nicht mehr ganz der Alte, aber auf jeden Fall wieder unumstrittene Nummer eins. Doch das Alter griff in den vergangenen Wochen und Monaten immer mehr nach Neuer. Die Unhaltbaren, die er früher hielt, waren plötzlich unhaltbar. Und auch in der Spieleröffnung offenbarte er immer wieder Schwächen. So etwa beim Topspiel in der Bundesliga am vergangenen Samstag bei Borussia Dortmund (1:1).
Peretz kommt für Neuer, Sané geht
Trainer Vincent Kompany muss nach Neuers Attacke gegen Leverkusen reagieren, bringt Ersatzmann Daniel Peretz. Um die Unterzahl zu gewährleisten, nimmt er Feldspieler Leroy Sané runter, auch der kämpft wie Neuer um seinen Verbleib in München über den Sommer hinaus. Sané akzeptiert die Entscheidung ohne Murren. Sven Ulreich, der eigentliche Ersatz von Neuer, fehlt derzeit aus persönlichen Gründen. Peretz hat in München bislang kaum Spielpraxis erhalten, hatte aber zuletzt in der Nations League für Israel gespielt und geglänzt.
Nach dem Platzverweis änderte sich die Statik des Spiels sofort. Bayer Leverkusen, überraschend defensiv von Trainer Xabi Alonso aufgestellt, bemühte sich um mehr Kontrolle. Die Bayern blieben aber giftig oder wurden sogar noch giftiger, warfen sich in jeden Zweikampf rein. Es wurde heiß und hitzig. Schon vor der Neuer-Szene gab es ein erstes Rudel. Es gab viele Fouls, viele Diskussionen.
Neuer selbst findet den Platzverweis "okay"
Vor allem Kompany hatte immer wieder Redebedarf, wurde von Osmers dann auch ermahnt, es etwas ruhiger an der Seitenlinie angehen zu lassen. Und er konnte durchaus zufrieden sein, mit dem, was er sah. Denn die Münchner hatten die besseren Chancen. Nach 32 Minuten knallte Konrad Laimer den Ball aus kurzer Distanz ans Außennetz. Danach scheiterte Leon Goretzka per Kopf an Matej Kovar im Bayer-Tor und dann grätschte Granit Xhaka den freien Laimer gerade noch im Strafraum ab, was für eine große Szene. In der zweiten Halbzeit blieben die Münchner im Spiel, ohne Topchancen zu kreieren. Das Fehlen von Topstürmer Harry Kane, verletzt gegen Dortmund, war nicht zu kompensieren. Auch nicht von Michael Olise, der als Ersatzmann aufgeboten war. Bayer verteidigte clever, ohne zu dominieren. Doch dann kam Tella, Peretz war chancenlos. In der Nachspielzeit zog Olise für die Bayern knapp vorbei, danach war das Aus besiegelt.
Und Neuer? "Es war nach dem Platzverweis nicht so leicht, das Spiel weiterzuführen", sagte er nach dem Abpfiff bei Sky. Natürlich schon geduscht. "Wir haben alles investiert. Der Platzverweis tut weh", sagte Neuer. Er zweifelte nicht an der Roten Karte. "Es war keine Aktion, wo ich versuche, ihm aktiv wehzutun. Dadurch, dass ich den Ball nicht treffe, ist es für mich okay", erklärte er. Über die Schlüsselszene mochte er in der Bayern-Kabine nicht noch einmal sprechen. "Das wissen die Kollegen ja. Ich habe mich auf dem Platz schon entschuldigt bei dem einen oder anderen." Am Ende habe er aber doch auf den VAR gehofft: Vielleicht doch eine Abseitsstellung, vielleicht noch irgendwas? Doch nichts gab es dergleichen.
Quelle: ntv.de, tno