Fußball

"Sinnbild für die ganze Saison" VfL Osnabrück versagt im Alles-oder-nichts-Spiel kläglich

Bashkim Ajdini nahm der Abstieg des VfL Osnabrück sichtlich mit.

Bashkim Ajdini nahm der Abstieg des VfL Osnabrück sichtlich mit.

(Foto: IMAGO/Revierfoto)

Eine hohe Niederlage gegen den FC Schalke 04 besiegelt das Schicksal des VfL Osnabrück. Die Lila-Weißen müssen die 2. Bundesliga nach nur einem Jahr wieder verlassen. Nach einem "Heimspiel" in einem fremden und leeren Stadion, das die VfL-Fußballer erschüttert.

Philipp Kühn wirkte merklich angefasst, Bashkim Ajdini schien den Tränen nahe, Dave Gnaase suchte spürbar niedergeschlagen und vergeblich nach einer Erklärung. Als die Fußballer des VfL Osnabrück nach der 0:4 (0:2)-Niederlage gegen den FC Schalke 04 und dem damit endgültig besiegelten Abstieg vor die Mikrofone traten, war ihnen die Enttäuschung anzusehen und anzuhören. Die folgenschwere Pleite im 480. und vielleicht bittersten Zweitliga-"Heimspiel" der langen und wechselhaften Vereinsgeschichte hatte Spuren hinterlassen.

"Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich kann mich nur bei jedem Einzelnen dafür entschuldigen. Das war heute nichts", sagte Außenverteidiger Ajdini und sprach damit die VfL-Fans an, die während der desaströsen 90 Minuten inmitten der unbesetzten Tribünen des Hamburger Millerntor-Stadions so schmerzlich vermisst wurden. "Wir wissen alle, dass die Fans vor den Fernsehern und vor den Radios saßen, und dann liefern wir so was ab."

Auf dem Papier waren die Osnabrücker zwar Heimmannschaft, in der Praxis aber glich dieses Geisterspiel mehr einem Freundschaftskick, so wenig Bundesliga-Stimmung wollte im weitgehend menschenleeren Stadion aufkommen. Trotz "Wir sind alle ein Stück VfL Osnabrück" beim Einlauf der Mannschaften, trotz einiger aufgehängter Fanclub-Banner in der ansonsten verwaisten Nordkurve, trotz eines bemühten Stadionsprechers Carsten Thye. Dieser musste diesmal bei der Mannschaftsaufstellung nicht nur die Vornamen der Lila-Weißen ansagen, sondern auch deren Nachnamen, die ihm sonst das Stadion entgegen brüllt. Ein trauriges Schauspiel.

VfL Osnabrück fehlen die Fans im Alles-oder-Nichts-Spiel

Der kurzfristige Umzug in die Heimat des FC St. Pauli war notwendig geworden, weil eine Prüfung der Dachkonstruktion in Osnabrück gravierende Schäden zutage gefördert hatte. Eine sofortige Sperrung des altehrwürdigen, aber eben auch unübersehbar in die Jahre gekommenen Stadions an der Bremer Brücke war die Folge - weshalb die Deutsche Fußball-Liga die Partie des 32. Spieltags nach Hamburg verlegt hatte. Zunächst mit der Option, Fans zuzulassen, diese mussten letztlich jedoch aufgrund "einer geänderten behördlichen Lagebeurteilung und organisatorischer Herausforderungen" draußen bleiben.

Und so musste der VfL, der im April noch sein 125-jähriges Bestehen gefeiert hatte, das Alles-oder-Nichts-Spiel ohne seine stimmgewaltige Anhängerschaft in Angriff nehmen. Nur ein Sieg hätte die Minimalchance erhalten, mit zwei weiteren Erfolgen an den letzten beiden Spieltagen das Wunder zu schaffen, als lange Zeit abgeschlagenes Tabellenschlusslicht im allerletzten Moment doch noch die Klasse zu halten. Doch es dauerte nicht einmal fünf Minuten an diesem frühlingshaft-sonnigen Dienstagabend und die lila-weißen Träume waren geplatzt.

Osnabrücks Dave Gnaase mühte sich gegen klar überlegene Schalker vergeblich.

Osnabrücks Dave Gnaase mühte sich gegen klar überlegene Schalker vergeblich.

(Foto: IMAGO/Revierfoto)

Nach 102 Sekunden fiel das 0:1, nach 254 Sekunden das 0:2. Die Osnabrücker standen nun nicht mehr am Abgrund, sie befanden sich schon im freien Fall. Schließlich hatten sie in dieser Saison in keinem einzigen Pflichtspiel mehr als zwei Tore erzielt - und brauchten jetzt plötzlich drei. Doch statt eines Aufbäumens folgten 85 weitgehend trostlose Minuten. Mittelfeldantreiber Gnaase, der sich in seiner Rolle als "Aggressive Leader" bereits die 14. Gelbe Karte (Spitzenwert in den drei deutschen Profiligen) abholte, machte der Fehlstart ratlos: Er finde keine Erklärung für die Passivität der Anfangsphase.

"Wir stehen zu Recht da, wo wir stehen"

Stattdessen taugten diese fünf Minuten als "Sinnbild für die ganze Saison", wie Gnaase sagte. "Wir waren einfach von Anfang an nicht da", resümierte der 27-Jährige und zog ein Fazit, das weit über diesen einen Auftritt des VfL hinausreicht. Seit dem 4. Spieltag stehen die Niedersachsen auf einem direkten Abstiegsplatz, seit dem 13. Spieltag ununterbrochen auf Platz 18. Erst am 23. Spieltag gab es den zweiten Saisonsieg, der Rückstand zum rettenden Ufer wurde in der Rückrunde zwar mitunter verringert - jedoch nur von "riesig" auf "groß".

Auch, weil die Lila-Weißen in solch wichtigen Duellen wie gegen Schalke kaum einmal zu überzeugen wussten. So gab es laut Gnaase "viele Spiele in dieser Saison, die extrem wichtig waren, in denen wir uns viel vorgenommen haben, und in denen wir dann sehr, sehr leichte Gegentore bekommen haben". Torhüter Kühn sprach davon, "dass wir den Rückstand nie wirklich verringern konnten. Und wenn, dann konnten wir diese Spiele nie auf unsere Seite ziehen." Dabei nannte er explizit die jüngsten Niederlagen gegen die direkte Konkurrenz in Kaiserslautern (2:3) und zu Hause gegen Braunschweig (0:3).

Menschenleer: das Millerntor-Stadion beim Spiel zwischen Osnabrück und Schalke.

Menschenleer: das Millerntor-Stadion beim Spiel zwischen Osnabrück und Schalke.

(Foto: IMAGO/Revierfoto)

Ähnlich äußerte sich Ajdini, der bereits von 2016 bis 2021 für den VfL aufgelaufen und vor dieser Saison nach Osnabrück zurückgekehrt war. "Wir stehen zu Recht da, wo wir stehen", sagte der 31-Jährige schonungslos, denn "die Tabelle lügt nicht." Und so zeigte der erschreckende Auftritt vor leeren Tribünen dem Rekordabsteiger der 2. Bundesliga noch einmal schmerzhaft auf, warum er zwölf Monate nach dem sensationellen Last-Minute-Aufstieg sofort wieder in die 3. Liga zurückkehren muss.

U17-Weltmeister Assan Ouedraogo zeigt Osnabrück, wie es geht

Es war alles in allem ein Klassenunterschied: Der VfL wirkte wie eine engagierte Jugendmannschaft, Schalke dagegen wie die abgezockte Herren-Truppe, die die Jungen mal machen lässt, ohne dass es je gefährlich werden würde. Die Schalker kontrollierten nach dem frühen Doppelschlag durch Keke Topp (2. Minute) und Kenan Karaman (5.) die Partie, während die Lila-Weißen wie so oft in dieser Saison daran scheiterten, die gegnerische Defensive ins Wanken zu bringen.

An diesem 32. Spieltag blieb der VfL zum 14. Mal ohne eigenes Tor, kassierte jedoch zum 12. Mal mindestens drei Treffer: Der spielfreudige U17-Weltmeister Assan Ouedraogo (65.) wusste den vielen Freiraum im VfL-Strafraum zu nutzen und Topp vollendete wenig später (75.) ebenfalls weitgehend ungestört seinen ersten Profi-Doppelpack.

Der Endstand am Millerntor.

Der Endstand am Millerntor.

(Foto: Torben Siemer)

Die Kombination aus schwächstem Angriff und schwächster Abwehr lässt den Abstieg fast schon logisch erscheinen. Ajdini resümierte hinterher so niedergeschlagen wie treffend: "Es war von der ersten bis zur letzten Minute heute nichts drin." Hätten die Königsblauen ihre weiteren aussichtsreichen Chancen konsequenter genutzt, wäre auch ein 0:5 oder 0:6 möglich gewesen. "Wir wissen genau, es musste in der ganzen Saison immer alles passen, damit wir ein Spiel gewinnen", sagte Ajdini, und "sobald irgendwo etwas nicht gepasst hat, hat sich das auch im Ergebnis widergespiegelt."

Osnabrücks Trainer Uwe Koschinat hatte schon am Vortag des Spiels geahnt, dass ein Sieg gegen Königsblau schwierig werden würde: "Wenn du überlegst, wie du als VfL Osnabrück den FC Schalke 04 schlagen willst, dann spielt die Bremer Brücke mit 14.000 Lila-Weißen im Rücken eine Rolle." Nach der herben Pleite im leeren und leisen Millerntor-Stadion sprach er nun am Sky-Mikrofon davon, dass die gerade erlebten 90 Minuten "einfach eine große Chancenlosigkeit" verdeutlicht hätten. Dabei "spielen sicher auch die Umstände eine ganz, ganz große Rolle", so Koschinat, der diese jedoch nicht als Ausrede verwenden wollte.

Wie geht es weiter an der Bremer Brücke?

Torhüter und Fanliebling Kühn bemängelte, dass "solche Spiele mit Mentalität, mit Leben" zu füllen sind, "da waren wir nicht auf der Höhe heute. Es ist brutal traurig, dass schon wieder vorbei ist, was wir uns im letzten Jahr erarbeitet haben." Dass es nicht gelungen ist, die Euphorie des im Mai 2023 mit Toren in der 94. Minute und 96. Minute errungenen Aufstiegs in Punkte umzuwandeln, tue "unfassbar weh". Auch er wollte die fehlenden Fans nicht als Erklärung für die schwache Leistung gelten lassen.

Ajdini indes sprach nicht nur explizit an, dass ihm die Fans gefehlt hatten - sondern fand es angesichts "der Leistung, die wir gebracht haben, einfach nur schade, dass die Fans sich nicht im Stadion äußern konnten." Die Verbindung zwischen Mannschaft und Fans ist eng, der Heimbereich war an jedem Spieltag ausverkauft, auswärts begleiten stets Tausende den VfL. "Natürlich hätten wir uns heute alles anhören müssen, ich sage bewusst 'müssen'", erklärte Ajdini und versicherte, dass er sich nach Abpfiff trotz aller Enttäuschung gestellt hätte: Denn "was die Fans in dieser Saison geleistet haben", sei schlicht herausragend.

Mehr zum Thema

Um die Fans allerdings müssen sich die Osnabrücker dieser Tage dringend, intensiv und nachhaltig kümmern. Einerseits, um kurzfristig zumindest das Heimspiel gegen Hertha BSC am 34. Spieltag (Sonntag, 19. Mai/Sky und im Liveticker bei ntv.de) an der Bremer Brücke austragen zu können. Und andererseits, um das Stadion im Osnabrücker Osten mindestens mittel- und bestenfalls langfristig wieder profifußballtauglich zu machen. Der Abriss des maroden Daches über der Ostkurve steht aktuell zur Diskussion, ist wegen des darin verbauten Asbestzements jedoch mit großem Aufwand verbunden.

Eine umfassende und somit millionenschwere Modernisierung scheint unausweichlich, das weiß auch Geschäftsführer Michael Welling, der in einer Vereinsmitteilung von einem "sichtbar gewordenen dringenden baulichen Handlungsbedarf an der Bremer Brücke" spricht. Diskutiert wird darüber in Osnabrück allerdings schon seit Jahren, ohne, dass bislang eine Lösung gefunden oder gar umgesetzt worden wäre. Jetzt drängt die Zeit, in weniger als drei Monaten will der VfL wieder regelmäßig zu Hause spielen - der erste Spieltag der Drittliga-Saison 2024/25 ist für Anfang August angesetzt. Bis dahin muss rund um die Bremer Brücke noch einiges passieren.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen