Bittere Talentflucht aus Bremen Der SV Werder verzockt seine Zukunft
05.04.2024, 06:40 Uhr
Weg sind sie: Nick Woltemade (links) und der nach Heidenheim ausgeliehene Eren Dinkçi verlassen Werder Bremen zum Saisonende.
(Foto: IMAGO/Nordphoto)
Werder Bremen erlebt eine schlimme Woche, Trainer Ole Werner hat "kein Grinsen" im Gesicht. Der Grund: die Abgänge der beiden Juwelen Eren Dinkçi und Nick Woltemade. Früher Sprungbrett für Talente, droht nun eine bittere Zukunft. Haben Jungstars keinen Bock mehr auf Werder?
"Hier werden Stars gemacht und nicht gekauft", heißt es in der Bremer Vereinshymne "Wir sind Werder Bremen". Die Worte begleiteten den Klub aus der Hansestadt lange als eine Art Leitspruch. Und dieses Motto, so dachte man an der Weser, könne man endlich mal wieder aufleben lassen. Doch nichts da, während sich Werder Stars ohnehin längst nicht mehr kaufen kann, flüchten nun junge Juwele aus der Hansestadt, bevor sie überhaupt zu Topspielern geformt werden können. Die zwei jüngsten Beispiele Eren Dinkçi und Nick Woltemade lassen die Alarmglocken statt des Nebelhorns an der Weser schrillen.
Das Prinzip ist bekannt: Ein talentierter Jungspieler wird von einem Bundesligisten an einen unterklassigen Verein oder eine als schwächer bewertete Mannschaft ausgeliehen, um dort Spielpraxis und Selbstvertrauen zu sammeln. So geschehen schon X-mal in der Historie der Fußball-Bundesliga. Auch in der Historie von Werder Bremen. So geschehen auch bei Eren Dinkçi. Das 22-jährige Eigengewächs liehen die Hanseaten bis Saisonende an Aufsteiger FC Heidenheim aus. Doch statt nach einer überaus erfolgreichen Leihe (acht Tore und vier Vorlagen bisher) zurückzukehren an die Weser, wechselt Dinkçi zur kommenden Spielzeit zum SC Freiburg.
Haben Talente keinen Bock mehr auf Werder? Nick Woltemade durchlief seit er acht Jahre alt war alle Mannschaften bei den Bremern. Nun läuft der Vertrag des heute 22-Jährigen aus, er wird wohl zum VfB Stuttgart wechseln. Werder hatte es verpasst, schon früher, etwa nachdem er von einer Leihe zum SV Elversberg im vergangenen Sommer zurückgekehrt war, mit ihm zu verlängern, um nun wenigstens eine Ablöse zu generieren. Während Dinkçi aufgrund einer Aufstiegsklausel bitter nötig fünf Millionen Euro in die Vereinskasse spült, bringt Woltemade nach seiner langen Ausbildung im Verein keinen Cent ein.
Özil-Sprungbrett-Zeiten sind vorbei
Bremens Fußball-Chef Fritz bleiben nur die gleichen Standard-Sätze. Er und Frank Baumann stehen in der Hansestadt nun verstärkt in der Kritik. "Wir haben ihm ein sehr gutes Angebot unterbreitet und eine Perspektive hier bei Werder Bremen aufgezeigt", sagte Fritz, Leiter am Dienstag über Woltemade. "Wir finden es sehr schade". Zwei Tage später ließ der Profifußball-Leiter bezüglich Dinkçi ähnlich hilflos verlauten: "Wir bedauern es sehr, dass sich Eren gegen Werder Bremen entschieden hat. Wir haben Eren in den Gesprächen aufgezeigt, welche Rolle wir für ihn in der nächsten Saison vorgesehen haben und haben ihm auch wirtschaftlich ein gutes Angebot unterbreitet. Leider ist seine Entscheidung gegen uns ausgefallen."
Werder war lange ein Sprungbrett in Deutschland für Talente, bevor es den BVB mit Jürgen Klopp gab, die es zu einem Weltverein schaffen wollen. Mesut Özil ist das schillerndste Beispiel, der die Grün-Weißen als eine Art Ausbildungsverein für seine spätere Weltkarriere nutzte. Jüngst schaffte es auch Niclas Füllkrug in die Nationalmannschaft, zur WM in Katar und dann zum BVB, wo er im Viertelfinale der Champions League gegen die Besten der Welt kickt.
Doch in der Regel sind diese Zeiten schon 15 bis 20 Jahre vorbei. Die "aufgezeigten Perspektiven" genügen nicht mehr. Aber gerade in dieser Saison schienen sich die Bremer wieder gefangen zu haben. Der junge, seriöse und erfolgreiche Trainer Ole Werner, eine erfrischend aufspielende Mannschaft, das gesicherte Bundesliga-Mittelfeld mit hauchzarten Blicken nach oben, dazu noch der Überraschungscoup gegen Bayern München; all das sollte eigentlich positiv auf Juwele wie Dinkçi und Woltemade wirken. So dachten sie zumindest in Bremen.
Fritz verschließt die Augen
Beide Talente kamen unter Werner nur selten zum Zug und konnten sich kaum über einen längeren Zeitraum beweisen. Woltemade erhielt in dieser Saison zwar vermehrt Chancen, die er nicht nutzte (22 Liga-Partien in dieser Spielzeit, kein Tor), hatte es aber immerhin zum U21-Nationalspieler geschafft. Fritz hatte ihm in den Vertragsverhandlungen für die kommenden Jahre mehr Spielanteile versprochen, bleiben wollte der Angreifer trotzdem nicht. Dinkçi erinnerte sich bei Werder wohl eher an die wenigen Einsatzminuten hinter Füllkrug und Marvin Ducksch als an sein Traum-Debüt kurz vor Weihnachten 2020: das erste Mal im Kader, erste Einwechslung, erster Ballkontakt und erstes Tor. Freiburg auch ohne Trainer Christian Streich war attraktiver als der Heimatverein.
Zwar beteuerte Fritz am Donnerstag, er mache sich "keine Sorgen", dass Werder nicht mehr attraktiv für Jungstars sein. Aber ein Trend ist klar erkennbar. Die Eggestein-Brüder, Florian Grillitsch oder Josh Sargent konnten ebenfalls nicht gehalten werden, bevor ein richtiger Durchbruch an der Weser über Jahre genossen werden konnte. Auch Neu-Nationalspieler Deniz Undav spielte viele Jahre bei Bremen in der Jugend. Manch einer wird Fritz vorwerfen, die Augen zu verschließen, wenn er bei den beiden jüngsten Abgängen nun nur von einer "Momentaufnahme" spricht. Realitätsferne ist im harten Bundesliga-Business immer gefährlich.
Ein Glück haben wir noch Justin Njinmah, werden sie an der Weser sagen. Doch auch der Senkrechtstarter dieser Saison im Bremer Kader wäre fast abgewandert, schließlich war er an Borussia Dortmund mit einer Kaufoption ausgeliehen worden. Kein guter Schachzug der Werder-Bosse. Der Stürmer wollte auch gerne beim BVB bleiben, wo er in der Saison 2022/23 sein Bundesliga-Debüt feierte. Doch den Schwarz-Gelben war die Option zu teuer und Njinmah kehrte letzten Sommer nach Bremen zurück. Nun fällt er wegen einer Sprunggelenkverletzung länger aus, am Donnerstag wurde er operiert.
Werder-Hymne wie ein schlechter Witz
Vor dem Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt an diesem Freitag (20.30 Uhr/DAZN und im Liveticker auf ntv.de) herrscht Krisenstimmung in Bremen. Es wartet ein bitterer Rest der Saison. Fünf Spiele ohne Sieg und vier Niederlagen in Folge stehe zu Buche. Ole Werner und sein Team können sich glücklich schätzen, dass im Tabellenkeller derzeit auch nicht viel mehr Punkte gesammelt werden. Er sei die Tage "nicht mit einem Grinsen nach Hause gefahren", knurrte der Trainer am Donnerstag. "Das hätten wir uns alles natürlich anders gewünscht."
Dass diese Entscheidungen alle gegen Werder fallen, bedeutet nichts Gutes für die Zukunft, obwohl in Bremen doch wieder zart nach oben geschaut werden sollte. "Hier geht´s uns gut, denn Werder zaubert, siegt und lacht", heißt es in der Werder-Hymne. "Kein Geld der Welt wird hier verschenkt, verpfändet oder falsch gelenkt." Angesichts der schlimmen Woche klingt dies wie fieser, norddeutscher Sarkasmus.
Quelle: ntv.de