Reis-Effekt und Kuchen-Gate Schalke 04 feiert, bis das Monster kommt
10.11.2022, 07:42 Uhr
Paaaarty auf Schalke.
(Foto: IMAGO/RHR-Foto)
Die abgekämpften Schalker um Simon Terodde lassen sich von ihren Fans ausgiebig feiern. Nach sieben Bundesliga-Niederlagen in Serie jubeln die Königsblauen mal wieder. Der Sieg macht dem Tabellenletzten Hoffnung, aber es gibt auch eine schlechte Nachricht.
Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Und wenn sie rar geworden sind, dann eben auch ein wenig exzessiver, so wie am späten Mittwochabend in der bebenden Arena des FC Schalke 04. Dort hatten endlich mal wieder die Fußballer und Fans einen gemeinsamen Nenner gefunden, um ekstatisch zu eskalieren. Nach dem 1:0-Erfolg in der Fußball-Bundesliga gegen den FSV Mainz 05 sind die Königsblauen zwar weiterhin Tabellenletzter, doch der kollektiven Glückseligkeit tat das keinen Abbruch. Vor der Nordkurve hüpften die erschöpften Knappen, auf den Tribünen sangen die erlösten Fans. Schalke 04 lebt. Schalke 04 begeistert die Massen.
Noch vor ein paar Wochen war das undenkbar. Die Lage beim Aufsteiger war nicht nur sportlich miserabel, sondern auch atmosphärisch am Boden. Schalke, gerade erst aus der eigenen Asche auferstanden, taumelte in Richtung eines zweiten schnellen Knockouts, sprich, in Richtung des direkten Wiederabstiegs. Mit Trainer Frank Kramer, der, wenn man ehrlich ist, von vorneherein zum Scheitern verurteilt war, weil im Umfeld des Traditionsklubs fast niemand daran glaubte, dass er den Neuaufbau im Oberhaus stemmen könnte. Und weil Sportdirektor Rouven Schröder völlig überraschend hinwarf. Ende Oktober war Chaos auf Schalke. Wieder einmal.
Doch dann kam Thomas Reis. Der Sehnsuchtstrainer. Der schon im Sommer vom VfL Bochum losgeeist werden sollte, was aber nicht klappte und sich zu einem bizarren Theater beim Revierrivalen auswuchs. Mit Reis kam die Hoffnung zurück. Der Mann, der in Bochum für zwei Fußballwunder verantwortlich war, soll in der Nachbarschaft Gleiches vollbringen. Zwei Spiele Anlauf brauchte er, um die Hoffnung mit Leben, sprich Punkten zu füllen. Schon gegen Werder Bremen am vergangenen Wochenende stimmte die Leistung, gegen Mainz auch die Ausbeute.
Mainzer Boss zerlegt seine Fußballer
Simon Terodde traf gegen die Mannschaft von Bo Svensson bereits nach zehn Minuten. Es war erst die dritte 1:0-Führung der Gelsenkirchener - im 14. Saisonspiel (!). Der starke Mittelfeldspieler Alex Kral spielte Terodde an, der Stürmer nahm den Ball elegant mit der Hacke mit und ließ Torhüter Robin Zentner keine Chance. Es war, obwohl gerade einmal zehn Minuten gespielt war, eine Führung, die sich angedeutet hatte. Nicht nur, weil Florent Mollet 60 Sekunden zuvor einen Freistoß nur ans Außennetz gezirkelt hatte. Die Schalker hatten ihr Malocherhemdchen angezogen und große Lust auf Attacke. Die Mannschaft Reis setzte die Mainzer früh unter Druck, ein Ansatz, mit dem der Trainer auch beim VfL erfolgreich war. Allerdings dort mit deutlich schnelleren Spielern.
Es war ein Ansatz, der den Gästen nicht gefiel. Der Überfall der Schalker, das Donnern der Tribünen, die Mainzer wirkten schwer beeindruckt - zwar bemühten sie sich, den Druck nach dem Rückstand zu erhöhen, aber tauglich waren die Versuche nicht. Der fassungslose Sportdirektor Martin Schmidt schimpfte: "Wir haben zu wenig getan - in allen Bereichen." Und so blieb Schalke mit schnellen Gegenangriffen stets gefährlicher, die Handschrift von Reis. "Er lebt es vor, wir sind deutlich mutiger", sagte Stürmer Marius Bülter, über den später noch zu reden sein wird, "wir schaffen es, Torchancen herauszuarbeiten, besser ins letzte Drittel zu kommen. Wir verteidigen nun aktiver, gewinnen die Bälle weiter vorne." Und exakt so war das Tor von Terodde eingeleitet worden. "Es war wichtig, zu zeigen, dass wir noch leben. Das macht Mut. Die letzten beiden Spiele waren ein Schritt in die richtige Richtung", sagte der Torjäger bei Sky, der mit der Art des Treffers mal wieder die Mär widerlegte, dass er 1. Liga nicht könne.
Tatsächlich war nicht nur dem Stürmer (immer wieder) die Tauglichkeit für das Oberhaus abgesprochen worden. Solche Knallhart-Urteile waren von vielen polternden Talkrunden-Experten formuliert worden. Reis hatte schon in seinen ersten Tagen gesagt, dass es nun an ihm und seinen Spielern liege, das zu widerlegen. "Uns war klar, dass wir dieses Spiel gewinnen müssen, um vor der Pause nicht den Anschluss komplett zu verlieren", betonte Bülter: "Aber im Endeffekt war es ein ganz kleiner Schritt, wir stehen immer noch an letzter Stelle. Trotzdem tut's gerade einfach mal gut, dieses Gefühl von einem Sieg wiederzuhaben." Und auch Reis war sehr zufrieden. Vor allem mit der Art und Weise: "Wir waren von Anfang an sehr griffig. In den 90 Minuten auf dem Platz kann man immer Gas geben. Das hat die Mannschaft hervorragend umgesetzt." Dass die Mannschaft topfit und willig sei, habe er auch seinem Vorgänger zu verdanken, betonte Reis und schickte damit beste Grüße an Frank Kramer.
Kuchen-Gate!
Bülter hätte diesen Sieg noch höher gestalten können. Doch statt auf 2:0 zu stellen (86.), sorgte er erst für den größten Fauxpas und später den größten Lacher des Abends. Bülter hatte bereits Zentner umkurvt, doch der Ball landete nicht im leeren Tor, sondern am Pfosten. Bitter, aber in Summe egal. Und er kommentierte das so: "Ich habe vor dem Spiel ein Stück Kuchen gegessen." Kuchen! Kuchen-Gate! Auf Schalke. Vor dem Spiel hatte die "Sport Bild" die Geschichte aufgebracht, dass Sportvorstand Peter Knäbel Ersatzkeeper Ralf Fährmann ermahnt hatte, in der Kabine nicht zu viel von den Naschereien zu sich zu nehmen. Eine skurrile Posse, die Stefan Backs, der Berater des Torwarts, gegenüber ntv.de süffisant kommentierte. "Ralf wird keinen Kuchen mehr essen und hofft auf diese Weise, Schalke zum Klassenerhalt zu verhelfen."
Bessere, weil mutmaßlich erfolgreichere Idee: Chancen wie jene aus der 86. Minute zu nutzen. Zum Beispiel am Samstagabend, im Topspiel um 18.30 Uhr. Das einzige Problem: Der Gegner kommt aus München, er heißt FC Bayern, ist das derzeit gefräßigste Monster der Liga und kennt keine Gnade mit seinen Kontrahenten. Aber die Sache ist ja so: ungeplante Feste sind meistens eh die besten.
Quelle: ntv.de