Fußball

Druck auf Süle und Rüdiger Schlotterbeck stürzt Flick ins Luxus-Dilemma

Schlotterbeck hat gut lachen - mit einem Makel.

Schlotterbeck hat gut lachen - mit einem Makel.

(Foto: IMAGO/Schüler)

In der 93. Minute kommt Nico Schlotterbeck glimpflich davon, muss sich aber nach dem von ihm verschuldeten Elfmeter bei Keeper Kevin Trapp bedanken. Die vorherigen 92 Minuten im DFB-Team laufen aber ganz nach dem Geschmack des Freiburgers. Das Debüt macht Lust auf mehr - auch Trainer Hansi Flick.

Der "kleine Arroganzanfall" beim Debüt in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hängt Nico Schlotterbeck nach. 92 Minuten lang hatte der Spieler des SC Freiburg ein "sehr, sehr gutes Spiel gemacht", doch dann unterlief ihm eine Unachtsamkeit, die zum Strafstoß für Israel führte. Eine, die ZDF-Experte Per Mertesacker trotz allen Lobes mit seinen Worten hart bestrafte: "Man hat nicht so viel Zeit bei Länderspielen, ein kleiner Arroganzanfall. Daraus wird er aber schnell lernen, denke ich, und sich besser umschauen, bevor der Ball kommt."

Der 22-Jährige hatte sich zu viel Zeit beim Abspiel im eigenen Strafraum gelassen, Yonatan Cohen spitzelte ihm den Ball weg, Schlotterbeck traf nur noch dessen Fuß. Pfiff, Elfmeter - gehalten von Kevin Trapp. Es blieb beim 2:0-Sieg für das Team von Hansi Flick. "Vielleicht gibt er ihm eine Apfelschorle aus", sagte Mertesacker über den fälligen Dank des Verteidigers an den Torhüter.

Der wollte den harschen Vorwurf des Ex-Nationalspielers aber nicht gelten lassen: "Würde ich nicht sagen. Das war eine Unkonzentriertheit, die mir nicht passieren darf", urteilte Schlotterbeck über die Szene, die einer seiner Vorgänger im Nationaltrikot so beschrieb: "2:0-Führung, wir haben alles im Griff. Das sind die Momente, wo man voll konzentriert bleiben muss, deswegen denke ich schon, dass es für ihn ein wichtiger Moment war. Auch für die Mannschaft, dass Kevin Trapp das Ding hält." Der Kritisierte sagte nüchtern: "Das war einfach schlecht in der Situation."

Klare Worte, die der Bundestrainer zu schätzen weiß. "Nico und ich haben über die Situation gesprochen. Er hat das auch ganz klar so analysiert wie wir als Trainerteam, das ist schon mal ein guter Schritt", sagte Flick auf der Pressekonferenz nach dem Spiel. Allerdings konstatierte er auch: "Bei einer Weltmeisterschaft kann so was in der 90. Minute tödlich sein."

"Eine gute Lehre für ihn"

Nun sind aber noch acht Monate Zeit bis zur Weltmeisterschaft in Katar. Acht geplante Spiele bis dahin. Partien, für die Schlotterbeck sicherlich wieder eingeladen wird. Denn mit den 92 Minuten vor dem Fauxpas machte er beste Werbung für sich. "Er hat ein gutes Spiel gemacht, war sehr präsent und aktiv. Die letzte Aktion war hoffentlich eine gute Lehre für ihn. Er kann aber mit seinem Debüt wirklich zufrieden sein", sagte Flick.

Seine Leistung war bemerkenswert, er knüpfte an das an, was er seit Monaten Überragendes beim SC Freiburg zeigt. Im Sommer 2020 war er nach einem Jahr Leihe vom 1. FC Union Berlin zurückgekehrt, bekommt laut eigener Aussage das "Vertrauen des Trainers und der Offiziellen". In 25 Bundesliga-Partien schoss er vier Tore, kommt auf eine Passquote von 81 Prozent und gewann 67 Prozent seiner Zweikämpfe. Gewohnt selbstbewusst sagt er: "Ich weiß, dass ich gut Fußball spielen kann und wie gut ich noch werden kann."

Nachdem er Ende des vergangenen Jahres bereits zum DFB-Lehrgang eingeladen war - "Als mich der Trainer anrief, war einfach nur ein riesiges Glücksgefühl da" -, aber noch nicht spielen durfte, belohnte ihn Flick nun. Gegen offensiv harmlose Israelis hatte er zum einen nur wenige defensive Aufgaben, zum anderen hatten er und Jonathan Tah ihre Rollen klar aufgeteilt. Tah übernahm die Absicherung, Schlotterbeck konnte sein Können im Spielaufbau beweisen. Das gelang dem Mann, der von sich selbst sagt, sehr gern Verantwortung zu übernehmen, mehr als vernünftig.

Er trieb das Spiel an, lieferte gekonnte Pässe hinter die Viererkette des Gegners, harmonierte auf Links wunderbar mit Außenverteidiger David Raum, der schon fast als Außenstürmer durchging. Bereits in der 10. Minute hatte Schlotterbeck selbst eine Kopfballchance, der gute israelische Keeper Ofir Marciano faustete den Ball aber weg. In der Tor-Statistik taucht der Name Schlotterbeck letztlich nicht auf, doch am 1:0 hatte er durchaus seinen Anteil. Die Ecke, die zum Kopfballtor von Kai Havertz führte, war nur fällig geworden, weil das deutsche Team Druck machte. Schlotterbeck hatte den Ball an der Mittellinie erobert und Havertz rechts in den Strafraum geschickt. Der Keeper konnte da noch halten, aber eben nur zur Ecke klären. Die Hereingabe von Raum verwandelte Havertz zur Führung.

Schlotterbeck blieb weiter aktiv, verteilte kluge Bälle und schloss auch in der 81. Minute selbst noch einmal ab. Sein Linksschuss aus der Distanz wurde allerdings abgefälscht und Marciano konnte ihn parieren.

"Großer Fan von Süle"

Schon vor dem Spiel hatte Mertesacker - der "Experte für schlaksige Innenverteidiger", wie Jochen Breyer seinen ZDF-Kollegen nannte - Schlotterbeck gute Chancen auf eine anhaltende Karriere im DFB-Team vorhergesagt. "Einen Linksfuß hatten wir lange nicht mehr. Der letzte war, glaube ich, Holger Badstuber als Linksfuß und Innenverteidiger. Das gibt Hansi nochmal bessere Möglichkeiten, auf dieser Position zu schauen."

In der Innenverteidigung, die zuletzt als Problemzone des DFB-Teams ausgemacht wurde, hat der 22-Jährige allerdings gewichtige Konkurrenz: Tah spielte, weil Abwehrchef Antonio Rüdiger wie viele Etablierte eine Pause erhielt. Mats Hummels spielt in den Überlegungen von Flick offenbar keine Rolle mehr, am DFB-Innenverteidiger Nummer drei, Matthias Ginter, dürfte Schlotterbeck mit dieser Leistung schnell an ihm vorbeiziehen. Dessen mittelmäßige Saison toppt der 22-Jährige laut "Kicker"-Notendurchschnitt um eine ganze Note. Hummels künftiger Dortmunder Teamkollege Niklas Süle wäre wohl dabei, wenn er nicht aktuell an einem Muskelfaserriss laborieren würde. Vom Noch-Bayern-Spieler schwärmt auch Schlotterbeck: "Ich bin ein großer Fan von Niklas Süle, von seiner Spielweise und wie er das alles handhabt. Er ist ein ruhiger Spieler, der auf dem Feld total seriös ist", sagte der Freiburger vor seinem Debüt. Und zog selbstbewusst auch eine Parallele zu sich selbst: "Er bringt wirklich immer sehr gute Leistungen und war auch im jungen Alter wie ich beim DFB."

Bereit für den Härtetest gegen die Niederlande?

Gut möglich, dass die beiden künftig sogar zusammenspielen. Denn obwohl Schlotterbeck mit seinem SC Freiburg auf Europapokal-Kurs ist, hält er seinen Wechsel für "sehr wahrscheinlich". Bei Sport1 sagte er: "Ich mache meine Entscheidung davon abhängig, wie ich im Sommer den nächsten Schritt mache." Der BVB soll großes Interesse an ihm zeigen, er könnte Hummels ablösen, doch auch der FC Bayern soll Avancen machen. Mertesacker gab den Weg vor: "Er muss natürlich sehen, dass der Sommer für ihn gut funktioniert. Eventuell mit Vereinswechsel, dass er da beim neuen Verein wirklich häufig spielt. Das wird wichtig sein, um in die Mannschaft zu rücken."

Der Fauxpas aus der 93. Minute wird Schlotterbeck wohl nicht so schnell noch einmal passieren. Die restliche Spielzeit hat er gute Werbung für sich gemacht. "Ich könnte mir vorstellen, dass Schlotterbeck auf der Position am Dienstag wieder spielt", sagte denn auch Mertesacker versöhnlich. Dann geht es gegen die Niederlande, ein echter Härtetest. Wohl auch für Schlotterbeck, der nach seinem Debüt trotz des Dämpfers stolz sein kann.

Quelle: ntv.de

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