"Individuell schlampig" Tuchel schimpft über Bayern-Stars, Schiris und sich selbst
01.10.2023, 13:51 Uhr
Tuchel mit Kane und Kimmich.
(Foto: IMAGO/Sven Simon)
Wieder gewinnt der FC Bayern ein Topspiel nicht, wieder kassieren die Münchner mehrere Gegentore. Trainer Thomas Tuchel ist anschließend bedient und übt gleich mehrfach Kritik. Der Bundesliga-Dauermeister muss viele Probleme auf einmal lösen.
Thomas Tuchel bediente sich nach dem nächsten verpatzten Bundesliga-Hit einiger Formulierungen, die man üblicherweise eher im Abstiegskampf hört. Sein FC Bayern habe Charakter, Stolz und eine Reaktion gezeigt, habe eine Niederlage nicht akzeptieren wollen. "Deshalb ist das Fazit eher positiv", sagte der Münchner Trainer nach dem 2:2 bei Rasenballsport Leipzig. Nach "Mia san mia" hört sich das nicht gerade an und der Blick auf die Tabelle macht nach sechs Spieltagen schon klar: Die vergangene Saison war kein Zwischentief, von der absoluten Dominanz ist Abo-Meister Bayern aktuell weit entfernt.
Einen Ehrgeizling wie Joshua Kimmich nervt so etwas richtig, weshalb der Fußball-Nationalspieler deutlich kritischere Worte als Tuchel wählte. "Wir laden sie ein und geben ihnen Futter, um ins Spiel zu kommen", sagte der 28-Jährige. Diese Einladungen seien ein Problem, das sie schon länger verfolge. "Wir haben momentan noch Probleme, gegen die Topteams das über 90 Minuten konstant zu gestalten", meinte Kimmich. Bereits gegen Tabellenführer Bayer Leverkusen kam der FCB nicht über ein 2:2 hinaus.
In Leipzig zeigte sich die Defensive wieder anfällig und sorgte bei Tuchel für Verzweiflung. Die Gegentore, schimpfte der Bayern-Coach, habe man durch "individuell schlampiges Verteidigungsverhalten" kassiert. Dass sich Bayern in der ersten Halbzeit schwer tat, habe "vielleicht" am Plan gelegen, räumte Tuchel ein: "Das nehme ich auf meine Schultern, kein Problem."
Doch mit Kritik sparte er nicht. Beim zweiten Gegentor spielten für den 50-Jährigen noch eher das Schiedsrichterteam ("Natürlich keine Ecke"), Keeper Sven Ulreich ("Unterschätzt den Ball") sowie die anschließende Unachtsamkeit ("Sind trotzdem noch drei gegen eins beim Kopfball") eine Rolle. Beim ersten Leipziger Treffer stand jedoch ausgerechnet das wieder genesene Abwehr-Duo Min-Jae Kim und Dayot Upamecano im Fokus, auf dessen Rückkehr Tuchel noch vor der Partie gehofft hatte.
Tuchel macht vier Meisterschafts-Konkurrenten aus
Für Kim gebe es "keinen Grund, in den Zweikampf zu gehen", sagte Tuchel, der auch Upamecanos Verhalten in dieser Situation kritisierte: Statt Kim zu sichern, gehe der Franzose "raus, und dann geben wir genau den Raum auf". Immerhin, betonte der Trainer, habe die Mannschaft "eine Reaktion, Stolz und Charakter gezeigt" und es "nicht akzeptiert, zu verlieren".
Die anstehende Reise nach Kopenhagen in der Champions League dürfte den Bayern ganz willkommen sein, um etwas Abstand zum bescheidenen Liga-Alltag zu bekommen. Natürlich ist Platz drei mit zwei Punkten Rückstand zu Leverkusen nach sechs Spieltagen keine fürchterliche Bilanz, doch es ist eben nicht Bayern-like. Zumal man sich mit dem Statement-Transfer von Harry Kane für 100 Millionen Euro deutlich mehr erhofft hatte.
Der Superstar trifft regelmäßig - so auch in Leipzig - doch Schrecken verbreiten die Bayern gerade nicht. "Der Unterschied zur letzten Saison ist, dass uns die Spiele nicht komplett entgleiten", sagte Tuchel. In Leipzig hatte es schon nach 26 Minuten 0:2 gestanden. Eine Wiederholung der Supercup-Schmach, als die Bayern im eigenen Stadion 0:3 verloren, wurde immerhin vermieden.
Dass der zwölfte Meistertitel nacheinander noch schwieriger werden dürfte als Nummer elf, ahnt Tuchel bereits. Der Trainer erwartet einen Mehrkampf um den Titel, sieht neben Borussia Dortmund auch Leverkusen und Leipzig bis zum Ende oben dabei. "Diese Mannschaften spielen sehr gut, sind gefährlich und erfolgreich", sagte der 50-Jährige. "Wir wollen am Ende vorne sein, die ganze Zeit vorn dabei sein."
Ist Jérôme Boateng wirklich eine Lösung?
Die Baustellen, die der Ende März installierte Tuchel zu bewältigen hat, sind seitdem nur bedingt kleiner geworden. Zu langsam und fehlerhaft im Spielaufbau war man in Leipzig - mal wieder. Und die Gegentore fielen nach einem Einwurf und einer Ecke, was per se erst einmal nicht schwer zu verteidigen klingt.
Wie es um den FC Bayern steht, verdeutlicht wohl die sich anbahnende Rückkehr des 35 Jahre alten Jérôme Boateng am besten. Der Ex-Nationalspieler trainierte am Sonntagvormittag an der Säbener Straße, kam direkt hinter Tuchel auf den Trainingsplatz. Der vereinslose Innenverteidiger hat seit Juni kein Spiel mehr bestritten, war bei seinem Ex-Klub Lyon ohnehin eher Bankdrücker als Stammspieler.
Schlagzeilen schrieb er abseits des Feldes. Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte vor Kurzem die Verurteilung Boatengs wegen Körperverletzung und Beleidigung aufgehoben, der Prozess wird neu aufgerollt. Der Verteidiger war wegen Angriffen auf seine Ex-Freundin zu einer Geldstrafe von insgesamt 1,2 Millionen Euro verurteilt worden.
Quelle: ntv.de, tsi/dpa/sid