Fußball

Für die Stars und den CL-Titel? Tuchel verwirft seine Idee von Fußball

Spielerisch konnte Tuchel der Mannschaft auch nach zwei Jahren noch nicht seinen Stempel aufdrücken.

Spielerisch konnte Tuchel der Mannschaft auch nach zwei Jahren noch nicht seinen Stempel aufdrücken.

(Foto: dpa)

Hochkarätig besetzt ist Paris St. Germain dank der Millionen aus Katar schon seit Längerem. Wirklich erfolgreich war der französische Serienmeister auf internationaler Ebene nie. Das könnte sich in diesem Jahr durch Teamgeist und ein wenig Losglück ändern.

Und plötzlich ist alles anders. "Wir sind bereit, Geschichte zu schreiben", sagte Superstar Neymar erst vor ein paar Tagen. Nachdem der brasilianische Fußballer immer wieder mit einem Wechsel kokettiert hatte und Paris St. Germain unbedingt verlassen wollte, stimmt der 28-Jährige nun ganz andere Töne an. Statt seinen Klub lediglich als Übergangsstation und Wohltat für sein Bankkonto zu betrachten, möchte er nun mit den Franzosen die Champions League gewinnen. Erste Etappe auf dem Weg zum Titel beim Knock-out-Turnier in Lissabon ist am Abend das italienische Überraschungsteam Atalanta Bergamo.

Die Königsklasse ist so etwas wie der Kryptonit für PSG. Nahezu Jahr um Jahr scheidet die Star-Truppe aus der französischen Metropole mal spektakulär, mal sang- und klanglos aus. Am berühmten Henkelpott mit all seinen Dellen und Fingerabdrücken von legendären Fußballern und Finalfeiern konnten der Klub noch nicht einmal schnuppern. Die aberwitzig vielen Millionen, die der Mehrheitseigner Qatar Investment Authority seit 2011 in den Verein pumpt, sorgten bislang nur für die deutlich weniger prestigeträchtige Meisterschaft. Ihr Effekt schien aber im Wettbewerb mit den ganz Großen des Fußballs zu verpuffen.

Stets musste sich PSG den Vorwurf anhören, dass der Klub über keine Einheit auf dem Rasen, sondern nur über ein - entweder wahllos oder allenfalls mit mittelmäßigem Plan - zusammengekauftes Starensemble verfüge. Trainer gerieten von Tag eins an mit Diven auf Kollisionskurs. Thomas Tuchel, der aktuelle Chef, der bei seiner Ankunft 2018 nicht einmal die nötigen Vorschusslorbeeren wie zuvor beispielsweise Carlo Ancelotti mitbrachte, stand eigentlich von Amtsantritt an mit einem Bein schon wieder auf der Straße.

Neymar spricht von "Familie"

Aber mit Geduld und einem überraschend dicken Fell hat sich Tuchel nun rund zwei Jahre über Wasser gehalten und es bis hierher geschafft - ins Viertelfinale der Champions League. Es ist die Runde der acht besten Teams Europas, aus der PSG schon dreimal ausschied. Warum sollte es in diesem Jahr anders sein?

Da wäre zunächst Tuchel selbst. Er hat im Umgang mit seinen Superstars - allen voran Neymar und Kylian Mbappé - mittlerweile so viel Zuckerbrot und Peitsche verteilt, dass er wahlweise eine zweite Karriere als Konditor oder Pferdedresseur anstreben könnte. Seine Stars und er pflegen ein Verhältnis, wie man es nur sehr selten im professionellen Fußball sieht und was von außen betrachtet so wirkt wie eine wilde Ehe, die regelmäßig in Klatschspalten des Boulevards landet. Im Wochentakt fauchen sie sich gegenseitig an, um sich anschließend wieder in den Armen zu liegen. Abwechselnd prügelt der eine auf den anderen verbal ein. Mal ist Tuchels Zeit in Paris zu Ende, mal sitzt einer der Stars schon auf gepackten Koffern.

Zu allem Überfluss schielt noch Sportdirektor Leonardo durch die Kabinentür und schmiedet, glaubt man französischen Zeitungen, seine eigenen Pläne. Er soll den Italiener Massimiliano Allegri bevorzugen und kürzlich ohne Kenntnis von Tuchel einen Teamarzt sowie einen medizinischen Mitarbeiter gefeuert haben. Wenn Neymar und Mbappé die aufmüpfigen Pubertierenden sind, die Papa Tuchel tüchtig auf der Nase herumtanzen, dann ist Leonardo der intrigante Onkel.

Trotz aller Widrigkeiten hat es Tuchel geschafft, immer mehr Sympathien zu gewinnen. Die Corona-Pause nutzte er, um ein besseres Verhältnis zu seinen Spielern aufzubauen. Plötzlich spricht Neymar davon, dass das Team "wie eine Familie" für ihn sei. Mauro Icardi und Marquinhos laden derweil zum Teamabend ein. Und auch ansonsten herrscht, zumindest für kurze Zeit, traute Glückseligkeit am Camp des Loges.

Machbare Gegner warten

Spielerisch konnte Tuchel der Mannschaft auch nach zwei Jahren noch nicht seinen Stempel aufdrücken. Und es scheint so, als hätte er dieses Unterfangen mittlerweile aufgegeben. Stattdessen verteilt er an seine Offensivstars viel Lob und ermahnt sie nur noch selten, dass sie doch bitte auch mal nach hinten arbeiten sollen. Wenn es um die Titel geht, wie zuletzt im Pokalfinale gegen AS Saint-Étienne, dann sind sogar Neymar und Mbappé ganz vorn beim Pressing dabei. Die Defensivkräfte werden es ihnen danken, denn die waren in so manchem schnöden Ligaspiel allein auf weiter Flur und mussten zu viert oder fünft Anstürme der Gegner abwehren.

Für ein erfolgreiches Abschneiden in der Champions League in diesem Jahr spricht aber nicht nur der neugewonnene Teamgeist und die an den Tag gelegte Ernsthaftigkeit eines Neymar, sondern auch die Auslosung und das Knock-out-System. PSG ist eine Mannschaft, die aufgrund ihrer individuellen Klasse in einer einzelnen Partie jeden Gegner schlagen kann, der aber eben aufgrund des nicht immer kohärenten Spielsystems die Konstanz über längere Phasen abhandenkommt.

Im Viertelfinale wartet mit Atalanta Bergamo ein unangenehmer Gegner aus der Serie A, der aber von der Qualität der Einzelspieler Paris bei Weitem unterlegen ist - und das, obwohl Mbappé nach einem harten Foul im Pokalfinale noch immer nicht wieder ganz fit ist. Allerdings kommt er offenbar zumindest für einen Kurzeinsatz infrage. Wahrscheinlicher wäre aber eine Rückkehr erst nach einem Weiterkommen und dann entweder gegen das beinharte Atlético Madrid oder das Werner-lose RB Leipzig. Also auch im Halbfinale warten machbare Aufgaben. Es spricht viel für eine erstmalige Finalteilnahme der Pariser. Es würde allerdings wohl auch niemanden überraschen, wenn PSG einmal mehr mit viel Brimborium aus der Champions League ausscheiden würde.

Quelle: ntv.de

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