"Scheiße, wir steigen auf" Union Berlin will jetzt die ganze Bäckerei
21.03.2017, 11:44 Uhr
Erstklassig.
(Foto: picture alliance / Soeren Stache)
Der 1. FC Union Berlin thront an der Spitze der zweiten Fußball-Bundesliga. Und nun? Steigen die Köpenicker etwa auf? Das Selbstbewusstsein haben sie, der Klassenkampf ist eröffnet. "Jetze weiß man: Da ist doch mehr drinne."
Sie mussten lange warten, und vielleicht hatten sie sich vorher auch einfach nicht getraut. Aber als das 1:0 gegen den 1. FC Nürnberg um 22.09 Uhr dann feststand, so mühselig es auch war, ließen sie es raus: "Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey!" Es war die helle Freude, die bei diesen Jubelrufen mitklang. Das gibt es schließlich nicht alle Tage: Der 1. Fußballclub Union Berlin steht neun Spieltage vor dem Ende der Saison an der Tabellenspitze der zweiten Bundesliga - einen Punkt vor dem VfB Stuttgart, drei Zähler vor Eintracht Braunschweig und vier vor Hannover 96. Dort steht das nächste Spiel der Unioner an, und so dürfen sie sich im Südosten der Hauptstadt mindestens bis zum 1. April über den Platz ganz oben freuen.
Den Fans der Köpenicker, die am Montagabend für das wohl stimmungsvollste Spiel in dieser Saison gesorgt hatten, kommt das alles nahezu unwirklich vor. "Ich weiß gar nicht, wie ich die nächsten zwei Monate überstehen soll", sagte nach dem Spiel einer von ihnen auf dem Weg zur S-Bahn. "Das ist schon krass." Allerhöchstens und eher heimlich hätten sie im Fanklub auf Platz drei gehofft, der am Ende der Saison dazu berechtigt, zwei Partien gegen den Drittletzten der Bundesliga zu bestreiten. "Jetze weiß man: Da ist doch mehr drinne." Das soll heißen: Nach sechs Siegen hintereinander soll's der direkte Aufstieg sein. Spätestens jetzt, spätestens nach diesem Erfolg, ist der Klassenkampf eröffnet: Die Unioner geben sich nicht mehr mit einem Stück des Kuchens zufrieden - sie wollen die ganze Bäckerei.
"Fuck, wir können Erster werden"
Schon vorher hatte Trainer Jens Keller dem "Kicker" gesagt: Wenn ein Klub so spät in der Saison dort stehe, "wo wir stehen, kann keiner leugnen, dass wir da hingehören". Danach betonte er: "Zu feiern gibt es nichts. Wir haben noch neun Spiele." Auch er hatte gesehen, dass sich seine Mannschaft gegen gut organisierte und konsequent verteidigende Nürnberger schwer tat: "Man hatte schon so das Gefühl: Fuck, wir können Erster werden." Von Leichtigkeit keine Spur: Aber das ist auch nicht das, was die Berliner auszeichnet. Es ist die ihnen eigene Stabilität und Beharrlichkeit, die sie nach oben geführt hat. Es ist der Wille, sich nicht um den Lohn der Arbeit bringen zu lassen. Das ist nicht immer schön anzusehen, aber erfolgreich.
Wer am Montag zur Alten Försterei in den Südosten der Hauptstadt gefahren war, um zu sehen, was für einen Fußball diese Mannschaft denn so spielt, dürfte erst einmal enttäuscht gewesen sein. Auch Keller räumte im Bezahlfernsehen ein: "Die Mannschaft hatte am Anfang Respekt vor der Situation, das hat uns ein bisschen gelähmt." Die größte Stärke der Köpenicker an diesem Abend war, dass sie sich nicht von den eigenen Unzulänglichkeiten beeindrucken ließen. Das wiederum spricht für das enorme Selbstbewusstsein, mit dem das Team mittlerweile auftritt.
Die nicht unverdiente Konsequenz war das Tor, das der zehn Minuten zuvor eingewechselte Philipp Hosiner in der 83. Minute nach einem der insgesamt zwei durchdachten Angriff der Unioner schoss. Beim ersten gescheiten Vorstoß drei Minuten zuvor hatte Sebastian Polter den Ball an den Pfosten gesetzt. Es schien, als hätten die Berliner in einem intensiven, aber für den neutralen Beobachter eher langweiligen Spiel die etwas kurios anmutende Auszeit des Schiedsrichters Dr. Jochen Drees besser genutzt als die Nürnberger. Der Unparteiische war nach 75 Minuten zur Verwunderung der 21.210 Zuschauer im nicht ganz ausverkauften Stadion plötzlich verschwunden. Vier Minuten später war er dann wieder zurück. Während der "Tagesspiegel" berichtete, Drees sei auf dem Klo gewesen, teilten die Berliner mit, ihr Mannschaftsarzt habe den Schiedsrichter am Oberschenkel behandelt.
Wie dem auch sei: Union drehte danach auf, der Club hingegen haderte. "Die Verletzungspause des Schiedsrichters hat uns aus dem Tritt gebracht", sagte Trainer Michael Köllner. "Bis zu der Phase haben wir das Spiel eigentlich super im Griff gehabt. Die längere Unterbrechung hat Union in die Karten gespielt." Wenn dem so war, ist das noch eine zweite Stärke der Berliner, dass sie auch solche Situationen ausnutzen. "Jetzt sind wir da oben, jetzt wird die Mannschaft wieder entspannter", sagte Keller. Was fehlte an diesem Abend, als der 1. Fußballclub Union Berlin die Tabellenspitze übernahm, war die Tapete, die noch beim Heimsieg gegen die Würzburger Kickers im Stadion gehangen hatte: "Scheiße, wir steigen auf." Nun aber nehmen sie sich, was sie kriegen können.
Quelle: ntv.de