Fußballer als "wandelnde Apotheken" VfB-Trainer: "Der hat doch was genommen!"
05.03.2015, 11:01 Uhr
"Ich dachte mir auch schon oft, wenn da welche eingelaufen sind - ich möchte keine Namen nennen -, die sahen aus, so dass mancher sagen musste, der hat doch was eingenommen!" Jürgen Sundermann, hier ein Bild aus dem Jahr 1980.
(Foto: imago sportfotodienst)
Fast alle in der Bundesliga wussten von den verbotenen Mitteln. Auch beim VfB Stuttgart. Das zeigt ein brisantes Zitat von Ex-Trainer Jürgen Sundermann. Und doch will sich keiner an Doping erinnern. Noch immer sagt nur einer die Wahrheit.
Das menschliche Hirn neigt zum Vergessen. Das ist normalerweise nichts Schlimmes, hier und da bei bestimmten Ereignissen ist es sogar sehr nützlich. Problematisch wird es immer dann, wenn man von anderen auf Sachen gestoßen wird, an die man selbst tatsächlich kaum bis gar keine Erinnerung mehr hat. So wie jetzt im "aktuellen" Dopingfall.
Bis heute wird beim Thema Doping in der Fußball-Bundesliga immer wieder aufs Neue das 1987 erschienene Buch "Anpfiff. Enthüllungen über den deutschen Fußball" von Toni Schumacher zitiert. Ist es doch ein Paradebeispiel dafür, wie die Protagonisten im Fußball seit jeher mit diesem Thema umgehen. Damals wie heute spricht sich fast die gesamte Bundesliga nahezu empört von dem Vorwurf frei, dass irgendjemand zu irgendeinem Zeitpunkt verbotene Substanzen genommen habe. Michel Meyer, französischer Autor des Schumacher-Buchs, zeigte sich im Jahr 1987 resigniert angesichts der verlogenen Reaktionen: "Ich bin verblüfft über die heuchlerische Haltung des DFB. Ich denke seit einigen Tagen an ein Chanson von Guy Béart, wo der Refrain beginnt: Er hat die Wahrheit, drum müssen wir ihn hinrichten."
Die aktuell aufgetauchten Ergebnisse, liegen tatsächlich zu weit zurück, als dass sich die damals Aktiven noch an Einzelheiten daran erinnern müssten. Die Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin, die sich mit der Doping-Vergangenheit an der dortigen Universität beschäftigt, hat offenbar Beweise für einen neuen westdeutschen Dopingskandal gefunden. Konkret betreffen sie den damaligen Zweitligisten SC Freiburg und den Erstligisten VfB Stuttgart. Dort seien die Spieler in den "späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren" systematisch mit Anabolika gedopt worden. Das ist lange her. Aber den unmittelbar Beteiligten sollte dennoch bewusst sein, dass das Thema in diesen Tagen nicht zum ersten Mal diskutiert wird.
"Da wirft man sich vor dem Spiel eine Kapsel ein"
In einem Interview mit dem "Fußball-Magazin" machte der damalige VfB-Trainer Jürgen Sundermann, der den Spitznamen "Wundermann" hatte und die Stuttgarter 1977 von der zweiten Liga zurück ins Oberhaus geführt hatte, im September 1980 aus heutiger Sicht eine höchstbrisante Aussage: "Wir haben Beobachtungen gemacht und lange Gespräche mit Professor Dr. Klümper in Freiburg geführt, der weiß Bescheid. Ich dachte mir auch schon oft, wenn da welche eingelaufen sind - ich möchte keine Namen nennen -, die sahen aus, so dass mancher sagen musste, der hat doch was eingenommen! Das ist nur heute noch nicht beweisbar!" Da nicht mehr "auszuschließen (sei), dass irgendwas im Rohr ist" und "tatsächlich schon viel darüber gemunkelt" werde, forderte Sundermann im Sommer 1980 die sofortigen Doping-Kontrollen im Fußball.
Tatsächlich wurde in der Bundesliga viel "gemunkelt". Auch der ehemalige Bremer Spieler Per Røntved klagt in seinem 1979 erschienenen Buch "Die Kehrseite" den Dopingkonsum in der Bundesliga an: "Ich weiß, dass sich einige Spieler von Werder Bremen ständig dopen. Ich glaube aber, dass sie diese Mittel nicht von unserem Vereinsarzt bekommen, sondern sie sich aus anderen Quellen beschaffen." Und der Hamburger Nationalspieler Manfred Kaltz erzählt im Juli 1982 ebenfalls im "Fußball-Magazin" eher beiläufig: "Auf die Dauer bringt es nichts, wirft man sich vor dem Spiel eine Kapsel ein. Man läuft mehr, hat jedoch kein Gefühl mehr für den Punkt, wo man eigentlich kaputt ist und seine letzten Reserven angreift." Kaltz kam zu dem Schluss, dass man als Bundesligaspieler "lieber die Finger von den Tabletten lassen" solle.
Jahre später schrieb Schumacher in seinem viel beachteten Buch: "Es gab Nationalspieler, die waren im Umgang mit der 'Stärkungschemie' regelrecht Weltmeister. Unter ihnen ein Münchner Spieler, den wir als 'wandelnde Apotheke' zu bezeichnen pflegten." Dieser habe "einiges von Medizin" verstanden und "die Wirkung seiner Spezialpräparate an sich selbst" ausprobiert. Wer dieser Profi damals gewesen sein könnte, ist nicht allzu schwer zu erraten. Auch wie Doping in der Praxis aussieht, wussten sie damals nur zu gut. Dem Schotten Willie Johnston wurde bei der WM 1978 in einem Doping-Test die Einnahme von Steroiden nachgewiesen. Obwohl er seine Unschuld beteuerte, schickte man ihn nach Hause und belegte ihn mit einer internationalen Spielsperre von einem Jahr. Damals behauptete Johnston, er habe Medikamente gegen Fieber genommen. Später jedoch gab er sein Vergehen zu. Seine Rote-Karten-Bilanz spricht jedenfalls Bände: In seiner zwölfjährigen Karriere schaffte es Johnston, beeindruckende zwanzig Mal vom Platz gestellt zu werden.
Es bleibt abwarten, was die Veröffentlichung der Freiburger Untersuchungskommission an konkreten Ergebnissen bringen wird. Bisher hat ja nur einer der Forscher ohne Absprache mit den Kollegen geplaudert. Doch eines - und einzig darum geht es - wird wohl wieder auf der Strecke bleiben: Die Wahrheit! Und so werden Toni Schumachers ehrlichen Worten aus dem Jahr 1987 wohl keine weiteren folgen. Dabei könnte man das späte Geständnis ebenso humorvoll verpacken, wie einst der Kölner Nationalkeeper. Wegen der Einnahme zahlreicher Mittelchen während seiner Zeit als Torhüter sagte Schumacher einmal: "Wenn ich mal sterbe, könnt Ihr auf meinem Grab keine Blumen pflanzen, denn die wachsen nicht." Über das Thema Doping in der Bundesliga wird wohl so schnell auch kein Gras wachsen. Dafür müsste es mehr Schumachers geben, die nicht alles vergessen haben. Und ehrlich dazu stehen.
Quelle: ntv.de