Fußball

Max Kruse verändert Union BerlinViel zu gut, um der Depp der Nation zu sein

03.11.2020, 09:53 Uhr
imageVon Tobias Nordmann
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Max Kruse fühlt sich wohl. (Foto: dpa)

In der vergangenen Saison mischte Union Berlin die Bundesliga als Aufsteiger überraschend auf. Und in der zweiten Spielzeit im Fußball-Oberhaus läuft es bislang ebenfalls prächtig, auch weil sich Max Kruse als genau der Coup entpuppt, der er sein sollte.

Als Max Kruse in der vierten Minute der Nachspielzeit plötzlich ganz allein - und ganz allein meint wirklich auch ganz allein - auf das Tor der TSG Hoffenheim zuläuft, da weiß er, "wenn ich schieße, ist der Ball zu 99 Prozent drin". Das klingt nach einer sehr vernünftigen Gelegenheit, um sein Torkonto in der Bundesliga von zwei auf drei zu stellen. Doch Max Kruse - das ist für einen leidenschaftlichen Poker-Spieler durchaus überraschend - ist offenbar eher der Typ "Sicherheitskegler". Weil nämlich Cedric Teuchert, übrigens auch ganz allein, mitgesprintet war, schob Kruse den Ball zu seinem Teamkollegen - und der vollendete zum 3:1-Erfolg des 1. FC Union Berlin bei der TSG Hoffenheim. "Wenn ich rüberlege, ist er zu 100 Prozent drin, da habe ich mich für die 100 Prozent entschieden", erklärte der 32-Jährige später bei DAZN. "Wir sind Teamsportler und wollen zusammen gewinnen", befand er auch noch.

Allerdings kam es ihm auch sehr gelegen, dass Teuchert den Weg bis zum Tor gemacht und nicht vorzeitig abgebrochen hatte. Denn ein ganz kleines bisschen schwang bei Kruse die Sorge mit, mit der Ein-Prozent-Chance auf einen nicht erfolgreichen Abschluss auf der langen Liste der kläglichsten Tor-Weigerungen der Liga-Historie notiert zu werden. "Wenn ich den dann nicht mache und wir bekommen noch das 2:2, dann bin ich der Depp der Nation." Nun, diese Schmähung bleibt dem offensiven Schlüsselspieler der Eisernen erspart. Er hatte in den 93 Minuten zuvor auch wirklich sehr viel dafür getan, eher bestaunt als belächelt zu werden. Starke Ballverteilungen, gefährliche Pässe in die Tiefe, maßgenaue Flanken - hätten sich seine Kollegen im Abschluss nicht lange schwergetan, hätte Kruse nun Gott weiß wie viele Scorerpunkte.

So sammelte er an diesem Montagabend immerhin drei, denn an allen Toren der Berliner war er beteiligt. Die Führung besorgte er selbst aus elf Metern (60.), nachdem Hoffenheims Robert Skov seinen Gegenspieler Sebastian Griesbeck im Strafraum geschubst - und danach Rot gesehen hatte. "Das kommt uns natürlich entgegen, nichtsdestotrotz kann es natürlich auch ärgerlich sein, dass wir dann das 1:1 kriegen. Im Endeffekt haben wir die Chancen gut ausgespielt und in den entscheidenden Momenten getroffen." Kruse schrieb mit seinem zweiten Tor in dieser Saison eine erstaunliche Geschichte vom Punkt fort, im 15. Versuch war er zum 15. Mal erfolgreich. "Ich will die Elfmeter schießen, ich will sie reinmachen und solange das gut klappt, bin ich wahrscheinlich auch der, der als nächstes schießt."

Wie viel Coup ist dieser Coup wirklich?

Erstaunlich ist tatsächlich auch die Geschichte von Kruse und Union, denn ein Spieler mit so viel Potenzial in alle Richtungen auf und neben dem Platz haben die Berliner wohl nie zuvor in ihrer Mannschaft gehabt. Und so blickte die Fußball-Welt in diesem Sommer doch ziemlich verwundert nach Köpenick und fragte sich, wie viel Coup dieser Coup wirklich ist.

Denn die erschöpfend erzählten Geschichten von legendären Pokernächten, von vergessenen Tausenden Euros im Taxi, von einer ausgeprägten Vorliebe zu süßem Brotaufstrich, sie tauchen eben immer wieder auf, wenn Max Kruse irgendwo in den Fokus rückt. Und dass er bei seinem Comeback in der Bundesliga in den Fokus rücken würde, das war ohnehin klar. Das wäre auch in Augsburg oder sonst wo passiert. Nun wunderte man sich aber weniger über die Wahl der Stadt - denn dass Kruse Berlin sehr mag, wurde bereits zu seiner Wolfsburger Zeit dank kurzer ICE-Verbindung bekannt - wohl aber wunderte man sich über die Wahl des Klubs. Das "Big City Club"-Experiment der Hertha, es schien irgendwie passender, als die Heimeligkeit rund um die Alte Försterei. Denn dort war bislang eher Kampf die Maxime und nicht die Kunst, die ein so bemerkenswerter Fußballer wie Kruse allzu oft abrufen kann, wenn er sich wohlfühlt.

"Er braucht auch seine Mitspieler"

Dazu gehört vermutlich auch, dass man akzeptiert, dass eine Spielzeit mit Kruse nicht nur für sportlichen Gesprächsstoff sorgt. Auch in Berlin haben sie bereits erfahren, dass der 32-Jährige ein Typ ist, der sein Leben abseits des Platzes enthaltsam gestaltet. Mitte Oktober fing sich der Starspieler von Sportdirektor OIiver Ruhnert eine Rüge, nach einem Ausflug in eine Berliner Bar. "Wir wollen diese Aktionen nicht, wir finden sie auch falsch." Kruse hatte bei Instagram die Einladung in eine Bar veröffentlicht. "Er hat sich mit vier Leuten an einen Tisch gesetzt und sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bewegt", erklärte Ruhnert indes. Im Rahmen der Berliner Corona-Verordnung habe sich Kruse also "korrekt verhalten". Das Hygienekonzept der Deutschen Fußball-Liga war zu diesem Zeitpunkt in vielen Punkten allerdings strikter als die gesetzlichen Corona-Verordnungen der Bundesländer. Nun, sei's drum.

Was Kruse bereits nach sechs Spieltagen geschafft hat: Seine Mannschaft fühlt sich an seiner Seite sehr wohl. "Er hat eine brutale Erfahrung und bringt Ruhe rein", lobte Sebastian Griesbeck. Trainer Urs Fischer erwähnte ausdrücklich die fünf Scorerpunkte, die Max Kruse seit seinem Wechsel von Fenerbahçe Istanbul zu den "Eisernen" bereits gesammelt hat, und vermied so die undefinierbare Floskel von einem Unterschiedsspieler: "Ich glaube, er alleine macht den Unterschied nicht. Er braucht auch seine Mitspieler, um den Unterschied zu machen. Aber natürlich hat man beim 2:1 und 3:1 die Qualität von Max gesehen." Den zweiten Treffer, erzielt von Joel Pohjanpalo, legt er mit einem scharfen Querpass im Strafraum ebenfalls sehenswert vor.

Das Maximum bei Kruse ist aber aus Sicht der Unioner längst nicht erreicht: "Dass er 90 Minuten gespielt hat, hilft ihm auf dem Weg zurück. Bei der Fitness ist er noch nicht da, wo wir hin wollen, aber er ist auf einem guten Weg", erklärte Fischer. Aber: "Er hat ein Tor gemacht und zwei aufgelegt - da muss er vom Trainer ein Kompliment bekommen."

Quelle: ntv.de

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