Experten im englischen Fußball Wenn TV-Moderatoren plötzlich strippen
19.12.2017, 10:47 Uhr
Bei der WM-Auslosung behielt Gary Lineker seine Kleidung an.
(Foto: imago/Xinhua)
Die Fußball-Fachleute im englischen TV sind abwechslungsreicher als in Deutschland - zudem fachkundiger und lustiger. Sogar gestandene Ex-Profis sind sich für keinen Spaß zu schade, beobachtet und goutiert unser Kolumnist.
Neulich hatte sich im verglasten Studio des englischen Bezahlsenders Sky Sports großer Besuch eingefunden. Um der herausragenden Bedeutung des Manchester-Derbys zwischen Spitzenreiter City und dem Tabellenzweiten United Gerecht zu werden, hatte die Anstalt für einen Nachmittag Noel Gallagher verpflichtet, der als Gründer von Oasis ein mindestens genau so wichtiger Botschafter der Stadt ist wie die Fußballklubs. Von dem Auftritt des unbekehrbaren City-Fans wird für die Nachwelt nicht viel mehr in Erinnerung bleiben als ein Witz.

Hendrik Buchheister, Jahrgang 1986, ist freier Journalist, schreibt nicht nur über Fußball und berichtet seit dieser Saison aus Manchester über das sportliche Geschehen in England. Just ist sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven" erschienen.
(Foto: Verena Knemeyer)
Gallagher deutete auf seinen rechten Nebenmann Graeme Souness, Ende der 1970er und Anfang der 1980er drei Mal Europapokalsieger mit dem FC Liverpool, und sprach davon, was es für eine Ehre für ihn sei, neben einer Legende des Fußballs sitzen zu dürfen. Und neben Garry Neville natürlich. Neville, immerhin zwei Mal Gewinner der Champions League mit United, nahm den Spaß gelassen hin.
Wirklich nötig war der Auftritt des Musikers allerdings nicht. Die Fernseh-Fachleute, die an jedem Wochenende - und beim bevorstehenden Premier-League-Hochamt um die Weihnachtstage und den Jahreswechsel - bei den Live-Spielen auf zwei Bezahlsendern und bei der Sportschau-ähnlichen Höhepunkte-Sendung "Match of the Day" in der BBC das Publikum unterhalten, ragen auch so heraus mit Fachkenntnis, Stil und Humor. Nicht nur auf dem Platz ist Englands Liga die vielleicht beste Liga der Welt, sondern auch daneben, in den TV-Studios. Auch ohne Noel Gallagher.
Wieso scheitern die Three Lions ständig?
Auffällig sind die große Zahl der Experten und die Vielfalt. Bei Sky dürfen neben Ex-United-Profi Gary Neville (und seinem Bruder Phil) unter anderem Jamie Carragher, Jamie Redknapp und Thierry Henry ihre Erkenntnisse unter das Fußball-Volk bringen, wobei man leider anmerken muss, dass Henry in seiner zweiten Karriere nicht annähernd so überzeugt wie in seiner ersten als Stürmer für Arsenal und die französische Nationalmannschaft. Aber immerhin haben in England auch die schlechten TV-Fachleute Klasse.
Bei Skys Konkurrenzsender BT Sport sitzen unter anderem Martin Keown, Owen Hargreaves, Steve McManaman und die heilige Dreifaltigkeit, so die interne Bezeichnung, aus Rio Ferdinand, Frank Lampard und Stephen Gerrard im Studio. Alles klingende Namen aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit. Während es in Deutschland fast schon zwingend für die Berufung zum Experten ist, dass man den FC Bayern im Lebenslauf stehen hat, haben die Fachleute in England verschiedene Hintergründe. Sie kommen von Arsenal, Liverpool, Chelsea und Manchester United. Oder, wie im Fall von Matt Le Tissier, vom FC Southampton.
Manchmal werden in den TV-Studios sogar Rätsel und Mythen aufgeklärt. Ferdinand, Lampard und Gerrard gehörten in ihrer aktiven Zeit einem starken Jahrgang an, einer goldenen Generation, wie es so schön heißt. Sie waren Teil eines Nationalteams mit Spielern wie John Terry, David Beckham, Michael Owen und Wayne Rooney, das eigentlich für große Aufgaben gemacht war. Dieser Überzeugung war jedenfalls die Öffentlichkeit. Doch die Mannschaft konnte dieser Erwartung nicht gerecht werden.
Woran das lag, haben Ferdinand, Lampard und Gerrard neulich vor laufenden Kameras berichtet. Sie sprachen mit verblüffender Offenheit darüber, dass der Verein immer wichtiger gewesen sei als die Nationalmannschaft, dass die Spieler der großen Klubs einander nichts gegönnt hätten, dass vielleicht auch ein Trainer mit einer eigenen Philosophie gefehlt hätte. Vor allem aber zeigten sie sich selbstkritisch und nachdenklich. Es war ein faszinierendes Gespräch über das ständige Scheitern der englischen Nationalmannschaft, wie man es sich bei einer Fußball-Übertragung in Deutschland nicht vorstellen kann. Was nicht nur daran liegt, dass sich die deutsche Elf das ständige Scheitern abgewöhnt hat.
Lineker hält, was er verspricht
Natürlich wird auch im englischen Fernsehen Unsinn geredet. Im Moment zum Beispiel debattieren die Experten, ob Manchester Uniteds Stürmer Romelu Lukaku nach seinen Toren ausgiebiger jubeln sollte. Doch darüber lässt sich hinwegsehen in Anbetracht der vielen Höhepunkten, die Englands Fachleute liefern. Und zwar auf höchst unterschiedliche Weise.
Ebenfalls ungewöhnlich war Gary Linekers Auftritt zu Beginn der vergangenen Saison. Er moderiert nicht nur im Dienste der Fifa wie neulich die WM-Auslosungen in Russland, sondern jeden Samstagabend auch "Match of the Day", und er macht das mit einer angenehmen Mischung aus Fußball-Wissen, Empathie - und Humor. Als sein Heimatverein Leicester City in der Saison 2015/2016 Richtung Titel marschierte, war Lineker skeptisch. Sollte der Verein tatsächlich zum Meister gekrönt werden, würde er die erste Sendung der neuen Saison nur in Unterhose moderieren. Tja. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Und Lineker hielt sein Striptease-Versprechen.
Dass ein anerkannter Fachmann fast nackt im Fernsehen auftritt, verlangt eine große Portion Selbstironie. In dieser Disziplin sind die Engländer unschlagbar, das war auch am Wochenende des Manchester-Derbys wieder zu beobachten. Weil bei Sky Oasis-Gründer Gallagher im Studio saß, versuchte der ehemalige Arsenal-Profi Paul Merson in einer anderen Sendung beim gleichen Sender, so viele Oasis-Songnamen wie möglich in seinen Ausführung unterzubringen. Er nahm seine Aufgabe sehr ernst.
Quelle: ntv.de