Infantinos Mega-WM als Mega-Murks Wie der Fußball noch zu retten ist
10.01.2017, 12:16 Uhr
Egal, was geschieht: Miroslav Klose wird nicht mehr dabei sein. Aber für seine Zwillinge, Luan und Noah, könnte die WM 2026 ein Ziel sein.
(Foto: imago/Chai v.d. Laage)
Die Aufstockung der WM maximiert den Gewinn der Fifa - und verwässert die Qualität. Doch es gibt Hoffnung, sagt Leandro Shara. Der Matheexperte hat ein Modell zur Quadratur des Fußballs: Mehr Teams - und das Turnier wird dennoch besser.
Mehr Teams, mehr Spiele - und noch viel mehr Geld: Fifa-Präsident Gianni Infantino ist am Ziel. Seit Monaten hatte er scheindemokratisch die Aufblähung der Fußball-WM vorbereitet. Nun hat es das Fifa-Council beschlossen: 48 statt wie bisher 32 Teilnehmer werden es ab der Weltmeisterschaft 2026 sein - gegen alle Widerstände außerhalb der Fifa, ungeachtet der fundierten Kritik. Die Erfahrung mit der qualitativ verwässerten EM 2016 lässt nur einen Schluss zu: Sportlich wird Infantinos Mega-WM ein Mega-Murks.

"Bei einer WM mit 42 Teams müsste das Turnier nur um zwei Tage verlängert werden": Leandro Shara.
(Foto: Thomas Søndergaard/Play the Game)
Dabei könnte die WM-Revolution so einfach sein, sagt zumindest Leandro Shara. Der chilenische Unternehmer und Matheexperte ist im Weltsport ein unbeschriebenes Blatt und sich sieht sich dennoch als eine Art Revoluzzer im Wartestand. Schon in der Schule hat Shara angefangen, Sportturniere zu entwerfen. Mit seiner Firma Matchvision entwickelt er seit mehreren Jahren neue, flexible Turnierformate und versucht, sie den Sportgroßverbänden zu verkaufen. Auch bei der Fifa bemühte sich Shara um einen Termin - und blitzte ab. "Die Fifa wollte keinem Treffen zustimmen", sagte Shara gegenüber n-tv.de: "Sie haben gesagt, sie haben die Lösung und eigene Experten, die daran arbeiten."
Allerdings: Was Shara der Fifa mit seinem Turnierformat in Aussicht stellt, trägt durchaus revolutionäre Züge. Er beschränkt sich nicht auf mehr Teams, mehr Spiele, mehr Geld wie bei Infantinos Erweiterungsplänen. Mit seinem WM-Konzept ließen sich auch die sportlichen Kollateralschäden der Fifa-Modelle in Vorteile verwandeln, sagt der Chilene: Also mehr Spannung statt mehr Langeweile, dazu mehr Tore sowie mehr Fairness durch weniger Gelegenheit zu Match-Fixing. Und das alles, ohne das Turnier wesentlich zu verlängern. "Bei einer WM mit 42 Teams müsste das Turnier nur um zwei Tage verlängert werden", rechnet Shara vor.
Nach Jahren des Anpreisens hat er Routine darin entwickelt, sich öffentlich zu begeistern und deshalb rollt erstmal eine Zahlen- und Wahrscheinlichkeitslawine über jeden, der der sich mit ihm über seine Revolution unterhält. Dabei basiert seine Quadratur des Fußballs auf einer simplen Prämisse. Sie lautet: "Die Gruppenphase tötet jeden Sport." Alles, argumentiert Shara, hat sich im Sport in den vergangenen hundert Jahren weiterentwickelt, von den Regeln bis hin zu Sportmedizin und Training. Nur eines sei weitgehend gleich geblieben: die Turniermodi mit ihren Gruppenformaten und deren bekannten Schwächen.
Man muss in den Geschichtsbüchern gar nicht bis zur Schande von Gijon bei der Fußball-WM 1982 zurückblättern, um Beispiele zu finden. Der Blick zur Copa 2011 genügt, als Paraguay ohne ein Spiel zu gewinnen ins Finale einzog. Oder zum Badminton-Skandal bei den Olympischen Spielen 2012 in London, als mehrere Teams absichtlich verloren, um in der nächsten Runde Topgegnern aus dem Weg zu gehen. Oder zur Fußball-WM 2014. Dort wurde der letzte Spieltag in der Vorrundengruppe A mit Brasilien nach den Entscheidungen in Gruppe C ausgespielt - damit sich der Gastgeber seinen Achtelfinalgegner quasi aussuchen konnte, wie Shara mutmaßt.
Seine Lösung ist ein völlig neues Turnierformat
Von nachträglichen Strafen, wie sie für allzu offensichtliches Abschenken bereits verhängt wurden, hält Shara nichts. Er findet: "Die Sportler sind nicht das Problem." Sondern der Modus, der taktische Niederlagen erst ermöglicht und vorteilhaft macht. Seine Lösung ist ein völlig neues Turnierformat, das er sich bereits 2006 als Pot System hat lizenzieren lassen. Dabei werden die Turnierteilnehmer nicht mehr in Gruppen aufgeteilt, sondern in gleich große Töpfe. Die könnten zum Beispiel entsprechend der Weltranglistenplatzierungen der Teams befüllt werden, erklärt Shara, ähnlich wie bislang die Töpfe für die Gruppenauslosungen. Im ersten Topf wären dann Spitzenmannschaften wie Deutschland, Argentinien, im letzten Topf WM-Debütanten oder notorische Fußball-Zwergriesen wie Nordkorea.
Die Zahl der Töpfe richtet sich nach der Zahl der Vorrundenspiele, die jedes Team austragen soll. Bleibt es wie bisher bei drei Partien pro Team, benötigt man folglich drei Töpfe. Der Clou ist: Es ist im Prinzip unerheblich, in welchem Topf ein Team landet, denn: Jedes Team spielt in der Vorrunde gegen einen Gegner aus jedem Topf. Ebenfalls neu: Weil es keine Gruppen gibt, wird in Sharas System eine Gesamt-Vorrundentabelle erstellt. In die nächste Runde ziehen dann die entsprechend dieser Tabelle besten acht oder sechzehn Teams ein, je nachdem ob die K.o.-Runde mit dem Achtel- oder Viertelfinale beginnen soll. Dort träfe dann in einem Achtelfinale der Vorrundenbeste auf die Nr. 16, der Zweite auf die Nr. 15, usw. Das heißt: Eine gute Vorrundenplatzierung wird belohnt.
Im Vergleich zum traditionellen Gruppensystem ergeben sich laut Shara mehrere Vorteile:
- Es gibt keine vom Los bestimmten Todesgruppen mehr und keine schwachen Gruppen
- Alle Teams konkurrieren direkt miteinander, auch wenn sie nicht direkt aufeinandertreffen. Damit wird es wesentlich riskanter, Spiele abzuschenken, da die Endplatzierung in der Vorrunden-Gesamttabelle Einfluss auf die Stärke des Gegners in der K.o.-Runde hat.
- Da laut Shara "praktisch jedes Team bis zu seinem letzten Spiel die Chance aufs Weiterkommen hat", gibt es keine bedeutungslosen Vorrundenspiele mehr. Für alle Teams besteht bis zum Schluss ein Anreiz, Spiele zu gewinnen
- Die Vorrundenspiele werden attraktiver, da die Topteams aus Topf 1 schon in der Vorrunde gegeneinander spielen
- Es sind weniger Parallelspiele nötig dank der Gesamttabelle. Damit können die einzelnen Spiele lukrativer vermarktet werden (TV, Sponsoren).
- Die mathematische Wahrscheinlichkeit von Match-Fixing und taktischem Verhalten (Stars schonen, auf Remis spielen) ist wesentlich geringer als im Gruppenformat, wo sie strukturell begünstigt wird.
Anwenden lässt sich Sharas Pot System in verschiedenen Sportarten, umgesetzt worden ist es bei kleineren Turnieren bereits im Fußball, Beachvolleyball, Tischtennis oder Futsal. Mit Blick auf eine Erweiterung der Fußball-WM schlägt Shara ein Turnier mit 36 Teams vor, so wie es ursprünglich schon für die WM 2006 eingeführt werden sollte. Das Vorhaben scheiterte damals daran, dass sich laut Fifa keine faire Lösung für die Bestimmung der 16 Achtelfinalisten aus den 36 Teilnehmern finden ließ.
Ein Problem, das Shara längst gelöst hat, einige Boni inklusive. Nr. 1: Die Wahrscheinlichkeit für Match-Fixing läge bei Sharas 36er WM mathematisch unter 8 Prozent - verglichen mit 50 Prozent bei der traditionellen 32er WM mit Vierergruppen oder sogar 67 Prozent bei der Fußball-EM 2016 mit 24 Teilnehmern. Nr. 2: Die Zahl der Spiele würde zwar von 64 auf 70 steigen, die Spielanzahl pro Team (mindestens drei, maximal sieben) aber ebenso wie die WM-Dauer von 32 Tagen unverändert bleiben. Bonus Nr. 3: Auch WM-Turniere mit 40, 42 oder 48 Teams ließen sich mit dem Pot System realisieren.
Wobei Shara den Sprung der Teilnehmerzahl von 32 auf 48 Mannschaften für einen "Fehler" hält. "Niemand wächst auf einen Schlag um 50 Prozent. Das ist nicht gesund." Die Fifa teilt diese Bedenken offenbar nicht. Und Sharas Modell wird wohl nicht das Modell des Weltverbandes werden. Infantinos Fifa sperrt sich, so wie zuvor schon die Uefa - an deren EM-Aufstockung auf 24 Teams Infantino als damaliger Generalsekretär ebenfalls beteiligt war.
Der Probleme einer WM-Erweiterung unter Beibehaltung der Gruppenphase - mehr Spiele und ein längeres Turnier bei höheren Belastungen und sinkendem Niveau - ist sich die Fifa aber sehr wohl bewusst. In einer internen Studie folgerte sie der Nachrichtenagentur AP zufolge: Eine WM mit 48 Teams und 16 Dreiergruppen garantiert den größten wirtschaftlichen Vorteil, also den größten Gewinn. Die sportliche Qualität wird freilich von einer anderen Variante maximiert: der bisherigen WM mit 32 Teams. Aber dafür ist es nun zu spät.
Quelle: ntv.de