Fußball

Fans flüchten während Demütigung Wütender BVB verschwindet nach Debakel ins Mögliche

0e0a86cafc74b8f383aa4363af9409aa.jpg

(Foto: IMAGO/RHR-Foto)

Der BVB fährt mit großen Hoffnungen nach München und geht unter. Diesmal zaubert Keeper Gregor Kobel ein Jahrhunderttor hervor und lässt seine Mannschaft zerbrechen. Kaum jemand nimmt noch Notiz von diesem Duell an Rande des Klamauks. Alles dreht sich um den FCB. Doch wer lacht am Ende?

Die ersten Fans hatten nach 45 Minuten genug. Unheilvolle Dreiklänge: "Yabadabadoo!", Cancan, Lichtshow. "Stern des Südens", "BVB, Hurensöhne" und "Super Bayern". Immer diese ultimativen Demütigungen. Schon wieder kein Schuss ins Herz der Bayern, so wie Nuri Şahin damals im Februar 2011. Stattdessen verhöhnt und innerhalb von nur zehn Minuten alles verspielt. Weil der Weltklasse-Keeper Gregor Kobel an diesem Tag nicht einmal den Kasten eines Kreisliga-C-Klubs sauber gehalten hätte. Weil er den Ball mit dem Fuß nicht treffen konnte, weil er nicht den Mut hatte, ihn ein Stück weiter hinten mit der Hand aufzunehmen. Da lachte auch Stadionsprecher Stephan Lehmann aus vollem Herzen. Das hatte er, der schon so viel zu feiern hatte, noch nie gesehen.

Dabei war eigentlich alles wie immer. Die obligatorischen Pleiten im Klassiker unterscheiden sich nur in der Art des Untergangs. Diesmal also Torwartpatzer, Kontrollverlust, ein ganzer Haufen Alibiläufe, noch mehr nutzloser Ballbesitz und ein erschütterndes Maß an Passivität. Zwischen der 13. und 23. Minuten hatte der FC Bayern die Machtverhältnisse im deutschen Fußball geradegerückt und alle Zweifel am kommenden Meister ausgeräumt. Drei Tore hatten sie der Borussia ins Netz gelegt. Hatte der BVB sich ins Netz gelegt. Denn diesmal hatten sich die Dortmunder in Form von Kobel für die dümmstmögliche Art eines ersten Gegentors entschieden. Neun Liga-Niederlagen in Folge. Bald wird's zweistellig.

Mit dem 2:4 (0:3) sind es jetzt 37 Tore, die der BVB während dieser monumentalen Pleiteserie in München kassiert hat. Das erste Tor am Samstag, eingeleitet durch einen langen Schlag von Dayot Upamecano an diesem 1. April 2023, war dabei das mit Abstand absurdeste. "Wir haben uns nicht vorgestellt, auf diese Art in Rückstand zu geraten", kommentierte Trainer Edin Terzić. Niemand hatte sich das vorgestellt. Es war ein Tor wie ein Programmierfehler in einer Fußballsimulation.

Emre Can mit Knallhart-Analyse

Sauer war auf den Schweizer aber niemand. Die Spieler warfen sich nach dem Spiel vor ihn und schützten ihn. Weil sie ihn noch brauchen werden. "Greg hat uns diese Saison so oft den Arsch gerettet. Deswegen können wir nicht sauer auf ihn sein", sagte zum Beispiel Emre Can nach dem Spiel. Der Nationalspieler war am Boden zerstört. Die Borussen wollten doch endlich mal gewinnen. Einmal nur. In München. Aber es sollte nicht sein. Kobel trat neben den Ball und der BVB brach auseinander.

Was so lange gut war, ging dahin: Das Selbstvertrauen, das Selbstverständnis, den Gegner zu kontrollieren und die Kompaktheit. Die Stars der Borussia machten ihr Ding. Mal lief Jude Bellingham an, mal versuchte Can etwas und irgendwo in der Luft hing der Rest der Offensive. Sie führten keine Zweikämpfe mehr, sie bewegten sich nicht mehr. Sie schenkten im Aufbau die Bälle her. Und Bayern traf, weil Julian Brandt nach einer Ecke am langen Pfosten schlief. Und weil Julian Ryerson vor dem 3:0 der Münchener nur eine bewegungslose Masse an BVB-Spielern sah und den Ball zum Gegenspieler brachte.

"Das darf nicht passieren", sagte Can: "Gerade nicht hier in München." Die Bayern machten es sich derweil meist mit Thomas Müller in den klaffenden Lücken der Zwischenräume gemütlich und auf der Tribüne verhöhnten die Anhänger der Bayern die Dortmunder. Sie sangen die Lieder von der Dortmunder Meisterschaft, die sie so gerne auf der anderen Seite angestimmt hätten. Aber wie immer, wenn der BVB in München zu Gast ist, blieben den Schwarzgelben hoch oben in der Allianz Arena nur die Trotzgesänge.

Der BVB zerbricht, der FC Bayern streitet

Doch etwas war anders an diesem für den BVB doch so fatalen Abend. Die Tabellenführung hergeschenkt, die Bayern wieder einmal davonziehen lassen. Alles dahin also. Doch nicht die Dortmunder flogen nach dem Spiel auseinander, sondern die Sieger. Zwar konnten sie die Hoheit über ihre sportliche Zukunft zurückgewinnen, aber neben dem Platz gingen die Nickeligkeiten weiter. Oliver Kahn musste es mal wieder mit der Welt aufnehmen. Lothar Matthäus und das Management des gefeuerten Trainers Julian Nagelsmann warfen neue Glaubwürdigkeitsfragen auf und die Borussen leckten Blut.

"Das war ein bitterer Tag. Der tut weh", sagte Sportdirektor Sebastian Kehl und gab sich doch kämpferisch: "Wir sind sehr enttäuscht, aber die Meisterschaft ist heute nicht entschieden worden." Eben das war anders. Der BVB lag nicht am Boden. Er war wütend auf die eigene Dummheit, auf den Verlust der Kontrolle und des Vertrauens. Denn die Borussia war mit dem Selbstvertrauen von 28 Punkten aus zehn Spielen in das Spiel gestartet. Sie hatten die nervösen Bayern hoch gepresst, Torhüter Yann Sommer angelaufen und eine gute Chance herausgespielt. Alles wirkte leicht. Aber schon in dieser später als "gute zehn Minuten" in den Himmel gelobten Phase war alles angelegt, was die Borussia ins jährliche München-Unglück laufen ließ.

Denn bereits vor dem ersten, letztendlich fatalen Gegentreffer fehlte den Aktionen die Schärfe. Als sie sich auf der linken Seite freigespielt hatten, legte Raphael Guerreiro den Ball nicht in den Lauf des in den Strafraum startenden Marco Reus, sondern in den Rücken. Und dann das Gegentor. Es folgte dem Muster der Bayern, die immer wieder Leroy Sané gegen den vollkommen überforderten Julian Ryerson ins Duell schickten und sich so Kontrolle erarbeiten wollten. Auch Upamecano hatte den Nationalspieler gesucht, doch dann kam es ja anders. Die Borussia lebte von Beginn an gefährlich, ohne dass sie es zu ahnen schienen. Als es auseinanderflog, war es zu spät.

Dortmund nur im Rahmen der Möglichkeiten

Doch etwas war eben anders. Niemand interessierte sich für die, die nach München gekommen waren, um eben wieder nur zu verlieren. Alle schauten auf Thomas Tuchel, den Erlöser der Bayern und alle starrten gebannt auf den Kindergartenstreit der Münchener. Der BVB war nur bemitleidenswertes Beiwerk. Er hatte es eben wieder nicht geschafft, das Unmögliche zu schaffen.

Ähnlich war ihnen bereits beim Auswärtsspiel bei Chelsea widerfahren. Nur ist das in dieser Saison des Lernens nicht das Thema der Borussia, an die ohnehin niemand ernsthaft geglaubt hat. Ihre Wankelmütigkeit jedoch ist im Jahr 2023 vorhersehbar. Sie tritt bislang nur in den größten Spielen auf. In der Champions League, im Derby und in München. Der BVB 2023 macht das Mögliche möglich, das Unmögliche bleibt unerreichbar. So öffnet sich am Ende doch noch die Tür zur größten Unmöglichkeit - die Tür zur Meisterschaft.

Mehr zum Thema

Noch sind die Borussen ja sogar in zwei Wettbewerben vertreten, müssen sich im Pokal bereits am Mittwoch mit den strauchelnden Leipzigern messen und erwarten dann Union Berlin. Es sind Spiele, die der BVB des Jahres 2023 gewinnen kann und natürlich auch muss. Ganz anders also als dieses Spiel in München, das traditionell verloren geht und bei dem sich die Borussia immer wieder neue Wege ausdenkt. Der einst klappernde Riese braucht sich nach dieser Demütigung in der Allianz Arena nicht zu fürchten. Sie bleiben nach der Katastrophen-Leistung weiter in der Spur.

So wie die Bayern nur auf die Fehler der Borussia lauern mussten, so verharrt der Double-Sieger von 2012 irgendwo im weiten Feld und wartet auf das, was in München auch unter dem Heilsbringer Tuchel nicht ausgeschlossen werden kann: Die Langeweile des Seriensiegers, der außerhalb des Platzes immer wieder in Turbulenzen gerät und auf dem Platz nicht in den Topspielen, aber sonst immer wieder den Fokus verliert. Noch hat die Bundesliga ihr Titelrennen. Auch wenn es die Fans der Dortmunder, die in der Halbzeit flüchteten, nicht wahrhaben wollten.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen