"Collinas Erben" grummeln Tuta und Diaby beenden den Fairness-Rekord
16.12.2021, 14:38 Uhr

Diaby (r.) bittet um mehr, aber Schiedsrichter Stieler beruhigt den aufgebrachten Rudy.
(Foto: imago images/Treese)
Bei der Bewertung von Handspielen sind die Unparteiischen wieder in der Spur. Dafür gibt es Diskussionen über ein mögliches Abseits vor einem Mainzer Tor und über zu viel Nachsicht für einen Dortmunder Profi. Ein Fairness-Rekord wird dennoch nicht weiter ausgebaut.
Als am vorletzten Spieltag das Spitzenspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München (2:3) durch einen strittigen Handelfmeter entschieden wurde, den es nach einem On-Field-Review gab, flammte sie wieder auf, die leidige Diskussion über das Thema Handspiel im Strafraum. Dabei hatten die Unparteiischen bis dahin die vor der Saison erneut geänderte Handspielregel, bei der nun wieder die Absicht im Mittelpunkt der Bewertung steht, gut und berechenbar umgesetzt. Doch wenn etwas funktioniert, findet das in der Öffentlichkeit oftmals wesentlich weniger Beachtung als das Gegenteil.
Deshalb sei an dieser Stelle hervorgehoben, dass Handspiele an diesem 16. Spieltag von den Schiedsrichtern nachvollziehbar und regelkonform bewertet wurden. Um die wichtigsten Beispiele zu nennen:
- Im Spiel zwischen Arminia Bielefeld und dem VfL Bochum (2:0) sprang der Ball in der 86. Minute nach einer Flanke in den Strafraum der Gastgeber gegen den linken Arm von Joakim Nilsson. Der Bielefelder wurde davon überrascht, dass sein unmittelbar vor ihm positionierter Gegenspieler Anthony Losilla den Ball verfehlte. Zudem war sein Arm nahe am Körper und in einer natürlichen Haltung, am Ende versuchte Nilsson sogar noch, ihn aus der Flugbahn des Balles zu ziehen. Schiedsrichter Benjamin Brand ließ weiterspielen und lag damit völlig richtig.
- In der Partie des FC Augsburg gegen RB Leipzig (1:1) kam es wenige Minuten vor dem Ende im Leipziger Strafraum gleich zweimal zu einem Handspiel der Gäste, jeweils nach einem Eckstoß: Erst lenkte Willi Orban den Ball mit dem Arm ab, der aber fast am Körper angelegt war, danach traf Benjamin Henrichs die Kugel mit dem Ellenbogen seines erhobenen und vorgestreckten Arms. Referee Florian Badstübner entschied beide Male korrekt: Nach Orbans Handspiel ließ er weiterspielen, nach Henrichs' Handspiel dagegen gab er einen Strafstoß.
- In der Begegnung Borussia Dortmund - SpVgg Greuther Fürth (3:0) flog der Ball nach einer halben Stunde im Strafraum der Gäste nach einem Schuss von Erling Haaland gegen den ausgefahrenen Arm des Fürthers Maximilian Bauer. Schiedsrichter Daniel Schlager hatte das Handspiel auf dem Feld nicht wahrgenommen, weshalb sich Video-Assistent Günter Perl einschaltete. Das hatte seine Berechtigung, denn Bauers Armhaltung entsprach keiner natürlichen, situationstypischen Bewegung. Nach dem On-Field-Review erkannte Schlager deshalb auf Strafstoß, auch das war korrekt.
Bellingham und Diaby kommen glimpflich davon
In einer anderen Situation in dieser Partie zeigte der Unparteiische dagegen weniger Konsequenz. Hatte er Jude Bellingham nach 43 Minuten noch sehr zu Recht verwarnt, als der Dortmunder den Fürther Torwart Sascha Burchert beim Stellen der Abwehrmauer vor einem Freistoß behinderte und abzulenken versuchte, so ersparte er dem 18-Jährigen kurz vor der Pause die zweite Gelbe Karte, die den Feldverweis bedeutet hätte. Bellingham hatte sich den Ball ein Stück zu weit vorgelegt und ihn dann beim folgenden Tackling mit viel Risiko zwar noch einmal gespielt, anschließend jedoch mit voller Dynamik den Fürther Max Christiansen regelrecht abgeräumt. Gelb-Rot wäre hier zumindest eine bessere Entscheidung gewesen, denn Bellinghams Einsatz war rücksichtslos.
Dafür endete in zwei anderen Begegnungen die längste Serie an Bundesliga-Spieltagen ohne Feldverweis seit der Einführung von Gelb-Rot in der Saison 1991/92. In den vergangenen fünf Spielrunden stellten die Referees keinen einzigen Akteur vom Platz, nun traf es den Frankfurter Tuta beim 3:2-Sieg der Eintracht in Mönchengladbach und den Leverkusener Moussa Diaby beim 2:2 von Bayer 04 gegen den TSG 1899 Hoffenheim. Beide mussten wegen wiederholten Foulspiels mit Gelb-Rot den Rasen vorzeitig verlassen.
Diaby hätte für seinen "Wischer" ins Gesicht von Sebastian Rudy nach 20 Minuten statt der Gelben auch die Rote Karte sehen können. Allerdings gewährt das Regelwerk den Unparteiischen bei solchen Handlungen einen gewissen Ermessensspielraum. In der Regel 12, die sich mit "Fouls und sonstigem Fehlverhalten" befasst, heißt es: "Ein Spieler, der ohne Kampf um den Ball einem Gegner oder einer anderen Person absichtlich mit der Hand oder dem Arm an den Kopf oder ins Gesicht schlägt, begeht eine Tätlichkeit, es sei denn, die eingesetzte Kraft war vernachlässigbar." Durch die Einschränkung im letzten Halbsatz war es gerade noch zu vertreten, Diaby für sein Vergehen lediglich zu verwarnen.
Beim zweiten Mainzer Tor spricht viel für ein strafbares Abseits
Im Spiel des 1. FSV Mainz 05 gegen Hertha BSC (4:0) wiederum ließ sich trefflich über das zweite Tor der Hausherren streiten. Denn bevor Alexander Hack in der 41. Minute traf, hatte sich Moussa Niakhaté bei der vorangegangenen Flanke in der Strafraummitte im Abseits befunden und beim Versuch, mit dem Fuß den Ball zu erreichen, die Kugel nur knapp verfehlt. Der Treffer wurde jedoch anerkannt, auch aus der Videozentrale in Köln gab es keine Einwände. Dabei gab es gute Argumente dafür, Niakhatés Verhalten als Beeinflussung eines Gegners zu bewerten.
Eine solche Beeinflussung liegt laut Regelwerk beispielsweise vor, wenn ein Spieler im Abseits mit einem Gegner einen Zweikampf um den Ball führt, wenn er eindeutig versucht, den Ball in seiner Nähe zu spielen, und dadurch Einfluss auf den Gegner nimmt oder wenn er eindeutig aktiv wird und so die Möglichkeit des Gegners beeinträchtigt, den Ball zu spielen. Mit Davie Selke führte Niakhaté zweifellos einen Zweikampf um den Ball, allerdings konnte der Berliner den hinter ihm positionierten Mainzer dabei nicht sehen. Andere Herthaner in der Nähe wie Suat Serdar und Niklas Stark dagegen reagierten mit ihrem Verteidigungsverhalten auf Niakhatés Versuch, den Ball zu spielen.
Doch womöglich war Schiedsrichter Harm Osmers und auch seinem Video-Assistenten Sascha Stegemann die mögliche Beeinflussung nicht konkret, nicht greifbar genug, um die Abseitsstellung als strafbar zu bewerten. Die deutliche, ballorientierte Aktivität von Niakhaté und die Reaktion der Verteidiger darauf, auch hinsichtlich ihrer Positionierung, sprechen aber für ein ahndungswürdiges Abseits. In einer weiteren äußerst kniffligen Situation, die sich nach knapp einer Stunde zutrug, lagen der Unparteiische und der VAR dagegen völlig richtig.
Bei Starks Foul liegt der Schiedsrichter goldrichtig
Niklas Stark hatte den davoneilenden Mainzer Angreifer Karim Onisiwo an der Strafraumgrenze mit einer Grätsche zu Fall gebracht. Ob sich das Foulspiel innerhalb oder außerhalb des Strafraums ereignet hatte, war dabei extrem schwer zu erkennen. Referee Osmers verortete es außerhalb - und lag damit goldrichtig. Zwar befand sich Onisiwo mit der Fußspitze bereits auf der Strafraumlinie, die bekanntlich zum Strafraum gehört. Doch bei klassischen Kontaktvergehen wie dem Treten oder dem Beinstellen kommt es auf den genauen "point of contact" an, den exakten Ort des Treffers also.
Der lag in diesem Fall knapp außerhalb des Strafraums, denn Stark traf seinen Gegner mit dem Knie an der Fußseite, die sich anders als die Fußspitze nicht auf der Strafraumlinie befand. Das mag spitzfindig und theoretisch klingen, doch wenn technische Hilfsmittel zur Überprüfung einer Entscheidung eingesetzt werden, sind solche Details nun mal wesentlich. Und wem das zu weit geht, der wird sich vielleicht von dem Argument überzeugen lassen, dass die Bilder jedenfalls nicht zeigen, dass der Schiedsrichter mit seiner Entscheidung falsch lag.
Quelle: ntv.de