Kösters Direktabnahme

Köster über Jubel-Abscheulichkeiten Rumhampeln an der Eckfahne

Zu viel Pur? Breel Embolo, Gelsenkirchen.

Zu viel Pur? Breel Embolo, Gelsenkirchen.

(Foto: imago/Sven Simon)

Da schießt einer ein Tor - und dann? Babyschaukel, akrobatische Übungen, ungelenke Tanzeinlagen. Statt einfach zu jubeln, führen die Fußballer peinliche Amateurpantomimen auf. Damit können die Fußballer gerne mal aufhören.

Der moderne Fußball hat viele Abscheulichkeiten hervorgebracht. Den Schalensitz, die Knappenkarte, den Videowürfel. Eine der widerwärtigsten Errungenschaften der neuen Zeit ist jedoch der Torjubel. Nein, nicht jene herzhafte Umarmung von einst, bei der Männer ihre Schnauzbärte aneinander rieben und triumphierend die Fäuste in die Luft streckten. Wenn im modernen Fußball ein Tor fällt, flackert die Videowand, dröhnt ein Schlager aus den übersteuerten Boxen, und auf dem Rasen beginnt die Zeit der Wappenzeiger, Babyschaukler, Schuhputzer, Eckfahnentänzer, Hemdhochreißer, Eheringküsser, Zaunkönige und Rasenrutscher.

Philipp Köster, Jubelkonservativer.

Philipp Köster, Jubelkonservativer.

(Foto: imago/STAR-MEDIA)

Kaum ein Spieler, der sich noch unspektakulär von seinen Mitspielern feiern lässt. Stattdessen halten sich selbst jene Kicker für Burgschauspieler, die damals in der Weihnachtsaufführung der Grundschule nicht einmal den Esel spielen durften. Also sehen wir Samstag für Samstag groteske Pantomimen, die dem Zuschauer im Stadion und vor den Bildschirmen vor Scham körperliche Schmerzen bereiten. Während die ganze Hertha-Mannschaft mit Jungvater Vedad Ibisevic im Berliner Olympiastadion eine Babywiege imitieren muss, hielt sich Schalkes Youngster Breel Embolo nach seinen Toren gegen Gladbach so bedeutungsvoll die Ohren zu, als habe er sich mehrere Pur-Platten hintereinander anhören müssen. Wie konnte es soweit kommen, dass jedes Wochenende aufs Neue das Showorchester Ungelenk Premiere feiert?

Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Chefredakteur und Herausgeber des Fußballmagazins "11 Freunde". In seiner Kolumne "Kösters Direktabnahme" greift er jeden Dienstag für n-tv.de ein aktuelles Thema aus der Welt des Fußballs auf. Zudem ist er seit der Saison 2016/17 Bundesligaexperte von n-tv.

Angefangen damit hat Roger Milla mit seinen Eckfahnen-Tänzchen bei der WM 1990 in Italien. Er konnte ja nicht ahnen, dass anschließend auch dutzendweise Mitteleuropäer so hüftsteif an der Eckfahne herumhampelten, dass im deutschen Tanzlehrerverband eine Krisensitzung die nächste jagte. Inzwischen wird in der Liga kaum noch ein Tor geschossen, ohne dass anschließend eine groteske Amateurpatomime abgefeuert wird. Auf jeden Fall kann in europäischen Profiligen seither keine Spielerfrau mehr schwanger werden, ohne dass sich sofort eine mannschaftsinterne Theater-AG bildet, die eine passende "Baby an Bord"-Choreografie ausarbeitet.

Heute machen sich viele Spieler offenbar deutlich mehr Gedanken über die eigene Performance nach dem Tor als vor dem Tor. Was bisweilen ein wenig lächerlich wirkt. Vor allem wenn Spieler nach simplen Abstaubern eitel auf ihre Rückennummern deuten oder die Zeigefinger bedeutungsschwanger in Richtung Himmel recken. Ganz so, als habe der liebe Gott gerade partout nichts Besseres zu tun, als beim Montagsspiel der Zweiten Liga reinzuschauen.

Die neueste Marotte unter den Jublern ist übrigens ihr Gegenteil, die Jubelverweigerung. Spieler, die nomadenartig den Verein wechseln, wenn beim neuen Klub nur 300 Euro mehr Auflaufprämie winken, wälzen sich beinahe vor Seelenschmerz auf dem Boden, wenn sie gegen einen ihrer zahllosen Ex-Vereine das Tor treffen. Deshalb sind wir sehr dankbar, wenn am Wochenende ein Spieler nach seinem Tor mal einfach nur die Arme in die Luft reißt und sich von seinen Mitspielern feiern lässt, anstatt sich im Method Acting zu versuchen. Es ist besser für alle.

Quelle: ntv.de

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