Redelings Nachspielzeit

Redelings über Torwart-Eskapaden Als Kahn in Rostocks Strafraum durchdrehte

3. März 2001: Oliver Kahn bringt im Rostocker Strafraum irgendetwas durcheinander.

3. März 2001: Oliver Kahn bringt im Rostocker Strafraum irgendetwas durcheinander.

(Foto: imago/Camera 4)

Frankfurts Lukas Hradecky ist in der Fußball-Bundesliga mit seinem Missgeschick wahrhaft nicht alleine. Ein Torhüter klaut Brillen, ein anderer legt sich die Kugel selbst ins Netz und ein dritter sitzt bei Anpfiff noch auf dem Klo. Unglaublich.

Sagen wir es einfach so: In der Szene am Wochenende in Leipzig sah Frankfurts Keeper Lukas Hradecky etwas unglücklich aus. Aber dabei sollten wir es auch belassen. Denn wie jedermann weiß: Linksaußen und Torhüter ticken seitjeher ein wenig anders als die anderen Akteure auf dem Spielfeld. Oder wie der legendäre Trainer Tschik Cajkovski es einmal ausdrückte: "Die Torhüter spinnen alle ein bisschen. Ich kannte mal einen, der schrieb einen Brief deshalb langsam, weil er wusste, dass seine Mutter nur langsam lesen konnte."

Da hätte man ahnen können, dass Tim Wiese mal zum Wrestling wechselt: Bremens Torhüter am 7. Mai 2008 gegen den Hamburger Ivica Olic.

Da hätte man ahnen können, dass Tim Wiese mal zum Wrestling wechselt: Bremens Torhüter am 7. Mai 2008 gegen den Hamburger Ivica Olic.

(Foto: imago sportfotodienst)

In der Geschichte der Fußball-Bundesliga ereignete sich so manch kurios-verrückte Aktion, bei der ein Torhüter mitten im hell erleuchteten Rampenlicht stand. Und natürlich muss man instinktiv sofort an Oliver Kahn denken. Einen seiner bizarrsten Gedankenblitze hatte Kahn im Jahr 2001. Anfang März lag der FC Bayern in Rostock mit 2:3 hinten, als in der Nachspielzeit der Münchner Torhüter beim Eckball nach vorne rannte und die Kugel im Strafraum mit beiden Fäusten ins Hansa-Tor boxte. Eine seltsam irritierende Situation für alle. Am schnellsten schaltete Schiedsrichter Dr. Markus Merk und zeigte Kahn die Gelb-Rote Karte.

Auch Bremens Tim Wiese sorgte einmal für weit aufgerissene Augen beim Publikum. In der Spielzeit 2007/2008 sprang er am 32. Spieltag dem HSV-Profi Ivica Olic beim Derby in Hamburg (0:1) mit einem Kung-Fu-Tritt ins Gesicht. Später wurde gegen den Torhüter gar wegen "versuchten Totschlags" ermittelt. Wiese zeigte sich entsetzt: "Derjenige, der mich angezeigt hat, forderte, ich solle die gerechte Strafe bekommen. Wahrscheinlich meinte er Knast." Am elften Spieltag der Saison 1981/1982 fiel in Bochum eines der seltsamsten Tore der Bundesliga-Geschichte. VfL-Keeper Ralf Zumdick traf bei seinem Abstoß genau den Kopf von Stuttgarts Didier Six - und von dort sprang der Ball zum 3:3-Endstand ins Netz. Zumdick war mit den Nerven am Ende: "Ich wollte nur noch nach Hause!"

Und Nigbur sitzt auf dem Klo

Eines der ungewöhnlichsten Eigentore eines Torhüters fiel in der Spielzeit 1982/1983. Als Frankfurts Jürgen Pahl am 16. Spieltag in Bremen den Ball abwerfen wollte, sah er im letzten Moment, dass Adressat Ralf Falkenmayer gar nicht mehr zu ihm zurückschaute, sondern nur nach vorne. Doch der Keeper konnte den abgebremsten Schwung nicht richtig kontrollieren. Pahl driftete mit dem ganzen Körper Richtung Boden ab, und die Kugel kullerte aus seiner Hand - ins Tor hinein. Und das bereits nach drei Spielminuten.

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Am Ende gewann Werder mit 3:0 und Pahl hatte sich zur Halbzeit auswechseln lassen. Trotzdem versuchte er sich die spektakuläre Aktion im Nachhinein mit einem lockeren Spruch schönzureden: "Solche Eier passieren nur großen Torhütern." Kurioses Detail am Rande: Ein Jahr zuvor hatte der Eintracht-Keeper, der nebenbei für eine Immobilien- und Anlageberatungsgesellschaft arbeitete, in der Frankfurter Stadionzeitschrift vollmundig geworben: "Schießen Sie kein Eigentor, kommen Sie zu mir, ich berate Sie gerne!"

Ein anderer Torhüter-Fauxpas ist bis heute eine Legende. Schalkes Norbert Nigbur hatte 1974 im Derby beim VfL Bochum auf dem Klo sitzend den Anpfiff zur zweiten Halbzeit überhört. Als der Keeper sein Missgeschick bemerkte, hastete er über die Baustelle des neuen Ruhrstadions auf der Suche nach dem Platz. Dort spielten sich unterdessen seine Schalker Mannschaftskollegen in der eigenen Hälfte, komplett auf Sicherheit bedacht, den Ball immer wieder hin und her. Ein riesiges Pfeifkonzert brandete auf. Denn keinem der Zuschauer war Nigburs Fehlen bis zu diesem Moment aufgefallen. Der Schalker Torwart hatte unterdessen seine ganz eigenen Probleme. Als er versuchte, an einem der Ordner vorbei aufs Feld zu laufen, hielt dieser ihn mit den Worten zurück: "Nicht jetzt. Das Spiel läuft doch schon." Schiedsrichter Volker Roth musste, als er das Fehlen endlich bemerkte, das Spiel in der 48. Minute abpfeifen. Und irgendwann tauchte dann auch der Torwart des FC Schalke 04 in einer Ecke der Baustelle des Ruhrstadions völlig aufgelöst auf, und das Publikum lachte aus vollen Kehlen. Am Abend in der "Sportschau" blickte Norbert Nigbur schließlich treuherzig in die Kameras und sagte: "Man wird doch wohl noch einmal müssen dürfen."

Einer darf bei dieser Aufzählung natürlich nicht fehlen. Jens Lehmann legte in seiner letzten Bundesligasaison 2009/2010 im Trikot des VfB Stuttgart die Messlatte für kommende Torwart-Generationen noch einmal sehr hoch. Mit einer Reihe von außergewöhnlichen Aktionen sorgte er in der Liga nicht nur für Schlagzeilen, sondern trug maßgeblich zum Unterhaltungswert der Spielzeit bei. So stieg Lehmann dem Mainzer Bancé absichtlich auf die Füße, klaute am selben Tag einem FSV-Anhänger die Brille, schmiss den Schuh des Hoffenheimers Ibisevic hoch auf sein Tornetz, zeigte den Fans des VfL Wolfsburg den Stinkefinger, pinkelte während eines Champions-League-Spiels hinter eine Werbebande und legte sich zu guter Letzt auch noch mit einem Balljungen an. Der hatte beim 0:1 der Stuttgarter in Hannover dem heranstürzenden VfB-Keeper die Kugel nicht wie erwartet in die Hände geworfen, sondern über den Kopf. Lehmann verlor daraufhin das Gleichgewicht und stolperte gegen die Bande. Der Balljunge rechtfertigte sich anschließend schulterzuckend: "Ich habe nur meinen Job gemacht. Ich habe ihm den Ball hoch zugeworfen und er kam dann auf seinem Kopf runter. Lehmann hat mich dann gefragt: Was soll der Scheiß?"

Der 40-jährige VfB-Torhüter wollte sich auch nach Spielschluss nicht beruhigen. Wütend stand er vor den TV-Kameras und sagte in die Mikrofone: "Wir machen Fehler, wir werden mit Fehlern von anderen Leuten konfrontiert. Die Balljungen spielen auf Zeit. Damit muss man in der Bundesliga leben. Am meisten hat mich heute die Kultur des Zeitspielens und des Betrügens gestört. Ich muss jetzt gehen. Ich muss nach Hause, meine Kinder gut erziehen, damit die sich korrekt verhalten." Interessant. Tschik Cajkovski hätte sich zu diesen Sätzen wohl so seine ganz eigenen Gedanken gemacht!

Das aktuelle Buch unseres Kolumnisten Ben Redelings: "Bundesliga-Album: Unvergessliche Sprüche, Fotos, Anekdoten" bei Amazon bestellen. Außerdem ist er unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.

Quelle: ntv.de

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