"Wie sollte man das gewinnen?" Als der BVB sein Heimspiel auf Schalke austragen musste
30.04.2023, 07:51 Uhr
Die Partie auf Schalke war nicht nach dem Geschmack der Dortmunder.
Der FC Schalke 04 spielt in der Saison 1976/77 fabelhaft und sorgt nicht nur durch einen großen Sieg beim FC Bayern München für ordentlich Spektakel. Im "Bierhagel" von Kaiserslautern wird die erste Partie überhaupt abgebrochen. Und der BVB befindet sich am 33. Spieltag auf einer sonderbaren Mission.
Am 15. Spieltag der Saison 1976/77 wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Fußball-Bundesliga eine Begegnung abgebrochen. Schiedsrichter Rudolf Frickel beendete die Partie des 1. FC Kaiserslautern gegen Fortuna Düsseldorf beim Stand von 0:1. "Ein Hagel von Bierflaschen", wie es am Tag danach in der Presse hieß, war es zwar nicht, der zum Abbruch führte, aber drei Fläschchen hatten auch gereicht. Für den Lauterer Trainer Erich Ribbeck waren hinterher die Düsseldorfer mitverantwortlich für den Skandal. Erbost präsentierte er auf der Pressekonferenz eine Boulevardzeitung aus der Rheinmetropole vom Vortag des Spiels. Die despektierlichen Äußerungen der Fortunen hätten die Atmosphäre unnötig "vergiftet", so der Coach der Roten Teufel. Die Begegnung wurde anschließend mit 0:2-Toren und -Punkten gewertet.
Der FC Schalke 04 gewann am neunten Spieltag mit einem deutlichen 7:0 bei den Bayern. Ein Triumph für die Königsblauen und ein rabenschwarzer Tag für die Münchner. Dieser begann schon komisch, als Schiedsrichter Linn anpfiff, obwohl nur zehn Bayern-Spieler auf dem Platz standen: Uli Hoeneß wechselte draußen gerade noch seine Schuhe. Großer Gewinner des Tages war neben den Königsblauen ein Fernsehteam des ZDF. Man drehte eine Reportage über Sepp Maier und hatte extra eine zweite Kamera auf den Bayern-Keeper gerichtet. Vorher hatte man noch verabredet, falls es zu langweilig würde und die Übermacht seiner Mannschaft zu groß wäre, solle der Sepp doch einfach ein paar Späße machen. Dazu kam es dann aber nicht: Der Weltmeister im Tor der Bayern hatte weder die Zeit noch die Lust - zu oft fischte er die Kugel hinter sich aus dem Netz!
Schalke schämt sich nach Schlammschlacht
Es war aber ohnehin nicht das Jahr des FC Bayern. Bereits nach dem zwölften Spieltag gab Nationalspieler Franz Beckenbauer im Rennen um den Titel auf. Seiner Meinung nach würde sich die Meisterschale die Borussen aus Mönchengladbach holen, es sei denn, eine Sache würde unverhofft noch eintreten, so der Kaiser: "Wenn bei Gladbach alle auf einmal eine Lungenentzündung kriegen …" Das passierte Gott sei Dank nicht. Nach 23:3 Punkten in den ersten 13 Partien reichten die 21:21 Punkte aus den restlichen 21 Spielen, um mit einem Punkt im Fotofinish-Finale vor Schalke Meister zu werden. Viel länger hätte die Saison allerdings auch nicht dauern dürfen!
Die Stimmungslage am entscheidenden 34. Spieltag auf Schalker Seite beschrieb Hannes Bongartz so: "Vor dem Spiel hatten wir noch das Gefühl, an der Steckdose geschlafen zu haben. Wie der Abpfiff kam, hat man sich einfach nur umfallen lassen. Das war so, als wenn man erschossen würde!" Ihr eigenes 4:2 gegen Dortmund reichte den Königsblauen nicht, weil zeitgleich die Gladbacher beim 2:2 in München bei den Bayern einen Zähler holen. Und obwohl die Saison so prima war, lief bei den Königsblauen eine Jahreshauptversammlung mal wieder komplett aus dem Ruder. Am Ende blieb Dr. Karl-Heinz Hütsch jedoch der Präsident auf Schalke. Die Mitglieder schämten sich trotzdem für die Schlammschlacht im Saal: "Wir haben uns schlecht benommen, so wie ein Skatklub nach Mitternacht." Woraufhin ein Journalist lustig ergänzte: "Kaum ein Skatklub wird sich so benehmen …"
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Schon in der Winterpause hatten die Königsblauen allerdings mit einem anderen Skandal zu kämpfen gehabt. Schalkes ehemaliger Präsident Oskar Siebert sollte zum 1. Januar seinen neuen Job als Manager bei den Königsblauen antreten. Doch auf der Weihnachtsfeier des Vereins war er so sauer über seine beschränkten Kompetenzen, dass er dem Vorsitzenden Hütsch vorschlug, doch am besten gleich sein Gehalt einzusparen. Dieses Angebot nahm der aktuelle Präsident gerne und auf der Stelle an. Als Siebert am nächsten Morgen wieder nüchtern war, widerrief er seine Aussage jedoch sofort, doch Hütsch ignorierte das. Siebert war verzweifelt: "Ich war so betrunken, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat."
Würmer zerfressen BVB-Rasen
Gut möglich, dass die Königsblauen in dieser Saison wenigstens ein wenig Trost bei ihrem alten Erzrivalen aus der Nachbarschaft fanden - denn am 33. Spieltag musste der BVB sein Heimspiel gegen den 1. FC Köln an einem ungewohnten Ort austragen. Würmer hatten den Rasen im Westfalenstadion zerfressen, und so absolvierte Dortmund die Partie in Gelsenkirchen. Torwart Horst Bertram erinnert sich: "Ein Heimspiel in Schalke, das fanden wir ziemlich merkwürdig. Das war ein Freitagsspiel. Da waren überall Schwarz-Gelbe, eigentlich eine ordentliche Unterstützung, aber doch kein Heimspiel in diesem Stadion. Haben wir verloren. Wie sollte man das auch gewinnen? Heimspiel in Schalke geht ja nicht!" Tatsächlich schlug der 1. FC Köln die Dortmunder mit 2:1. Die knapp 25.000 BVB-Fans, die widerwillig die Reise in die verhasste Stadt mitgemacht hatten, fuhren traurig nach Hause. Und noch etwas hatte an diesem Tag den BVB-Profi Burkhard Segler gestört. An die Rolltreppe, die im Parkstadion aus den Katakomben aufs Spielfeld führte, wollte er sich partout nicht gewöhnen: "Schalke, das ist ja wie im Kaufhof mit der Mutti."
Das entscheidende Tor für den FC hatte an diesem speziellen Tag in Gelsenkirchen übrigens der damals teuerste Spielerkauf der Bundesliga-Geschichte erzielt. Aus Belgien war vor der Spielzeit vom FC Brügge für knapp eine Million Mark der Stürmer mit dem vielversprechenden Namen Roger van Gool zum 1. FC Köln gekommen.
Und am Ende dieser abwechslungsreichen Saison ging auch noch ein ganz Großer der Bundesliga: Franz Beckenbauer wechselte nach der Spielzeit zu Cosmos New York in die USA. Und wie es sich gehört, verließ eine der schillerndsten Figuren der Bundesliga-Geschichte den FC Bayern München standesgemäß: Einen 18-Meter-Heber des Bayern-Stars köpfte der Gladbacher Wittkamp in der allerletzten Spielminute ins eigene Netz. Ein wunderschönes Eigentor. Genau die hatte ja auch der "Kaiser" während seiner Zeit in München im Repertoire!
Quelle: ntv.de