Redelings Nachspielzeit

Redelings über Kevin Keegan Als der HSV noch Meistermacher kaufte

Kevin Keegan - geliebter Superstar beim HSV.

Kevin Keegan - geliebter Superstar beim HSV.

(Foto: imago/WEREK)

Vor 40 Jahren verpflichtet der HSV einen echten Superstar. Englands Nationalspieler Kevin Keegan wird im Eiltempo zum Fan-Liebling. Bis heute wird er in der Hansestadt verehrt. Doch am Anfang wollte er eigentlich nur ganz schnell wieder weg.

Ganz zu Beginn seiner Zeit in Hamburg sah es erst einmal gar nicht danach aus, dass das Deutschland-Abenteuer ein Erfolg werden würde. Kevin Keegan war nach den ersten Spielen von sich und den Mitspielern enttäuscht: "Die geben mir keinen Ball, also behalte ich ihn zu lange, wenn ich ihn mal habe." Als die Seelenpein gar zu groß wurde, überlegte er bereits, alles rückgängig zu machen. Der Grund klang allerdings etwas seltsam: "Ich gehe wieder nach England, weil beim HSV der Trainer in der Mitte steht, ich muss im Kreis um ihn rumlaufen. In England ist es genau andersherum."

Bei seinem Abschied aus Liverpool hatte Keegan auf eigene Kosten ein Foto 100.000-mal drucken lassen. Es zeigte ihn und seine Frau in inniger Umarmung nach dem Gewinn des Europapokals. Das Bild wurde kostenlos an seine Anhänger verteilt. Keegan schien seine Fans tatsächlich zu achten: "Kein Kind geht von mir weg, ohne dass es sein Autogramm bekommen hat. Als Kind wartete ich einmal im Regen als Einziger nach einem Spiel auf mein Idol. Keiner war da außer mir. Nach einer halben Stunde kam er und schubste mich zur Seite. Ich habe das nie vergessen. Wir sind doch auch als Erwachsene manchmal noch wie Kinder, nicht?"

In Hamburg musste sich Keegan seinen guten Ruf aus Liverpooler Zeiten erst mal neu erarbeiten. Die Mitspieler neideten ihm das viele Geld und die kostenlosen Annehmlichkeiten, die er bekam. So übernahm der HSV sechs Monate lang die Miete für ein Haus mit Swimmingpool und Tennisplatz. Als sich die Situation für Keegan im Frühling 1978 immer noch nicht gebessert hatte, sagte er: "Ich bekomme viel Geld vom HSV, aber ich verdiente es bisher nicht redlich, weil ich gar nicht oft genug den Ball bekam, um mit meiner Leistung zeigen zu können, dass ich das Geld auch wert bin. Also habe ich zu Netzer gesagt, entweder er sorgt dafür, dass ich öfter den Ball bekomme, oder er verkauft mich!"

"Kühl überlegt und dann zugeschlagen"

"Ein Tor würde dem Spiel gut tun"

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Damals sorgte auch eine andere Geschichte für Aufregung. Kevin Keegan flog bei einem Freundschaftsspiel gegen den VfB Lübeck vom Platz und wurde vom DFB für zwei Monate gesperrt. Keegans Sicht der Dinge: "Mein Gegenspieler hat mich mehrmals ungestraft gefoult, und jedes Mal grinste er mich dabei frech an. Ich wusste, dieser Mann wollte mich kaputtmachen. Und da ich vom Schiedsrichter keinerlei Schutz erwarten konnte, stand ich vor der Wahl: Entweder mir von meinem Gegner das Bein brechen zu lassen oder zurückzuschlagen und einen Platzverweis zu riskieren. Ich habe ganz kühl überlegt und dann zweimal zugeschlagen. Lieber zwei Monate Sperre als drei Monate Krankenhaus!" Ob eine Auswechslung nicht auch eine Lösung gewesen wäre, erwähnte Keegan leider nicht.

Doch Manager Netzer glaubte an die "Mighty Mouse", ließ ihn nicht im Stich und unterstützte ihn, wo er nur konnte. Es sollte sich auszahlen. Gegenspieler Ennatz Dietz vom MSV Duisburg schwärmte: "Keegan lässt sich nicht unterkriegen. Dem haut einer auf die Gräten, schon steht er wieder auf und lächelt dich an. Für einen Profi hat er noch eine unglaubliche Spielfreude. Diese Begeisterung ist mehr wert als alles andere. Dem fällt nach einem Sieg erst in der Kabine wieder ein, dass er jetzt auch noch Geld dafür kriegt. Der sagt dann: 'Ah, ja. Geld gibt’s ja auch noch!'" Und Schiri Ahlenfelder: "Der wurde gefoult, stand auf, wurde wieder getreten, aber lief immer weiter. Kein Ton, gar nichts!"

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Neben dem Platz soll sich Keegan jedoch eines Tages von einem gutmütigen, netten Burschen zu einem echten Geldhai verändert haben, wie sich Spielerberater Holger Klemme erinnert: "Er hat eine prägende Erfahrung gemacht: Ein in Süddeutschland ansässiger Spielervermittler bekniete Netzer, er möge ihm Keegan für eine Autogrammstunde zu 7500 Mark besorgen. Keegan fuhr hin. Der Spielervermittler präsentierte ihn in einem Kaufhaus, dann in einer weiteren Filiale, dann noch einer, dann bei einem vierten Termin und spät am Abend noch bei einem Tanzwettbewerb in einer Disko. Nun kam Keegan erfreut nach Hamburg zurück und verkündete überschwänglich, er habe fünfmal 7500 Mark an dem Tag verdient. Er irrte sich, denn der Vermittler überwies schließlich nur einmal die 7500 Mark, hatte aber wohl selbst fünfmal kassiert. Er sagte immer nur: 'So ist Deutschland! Wenn ich eines Tages wieder nach England zurückkehre, dann die Taschen so voll mit Geld, bis sie durchbrechen.'"

Sänger, Comic-Held, Ikone

Das gelang tatsächlich. Auch weil sich seine Schallplatte "Head over Heels in Love" europaweit schnell über 400.000-mal verkaufte. Für einen HSV-Sponsor schlüpfte der Engländer schließlich in die Rolle des "Super-Kevin" – ein Comic-Held, der für sparsamen Energieverbrauch kämpfte. Die Gage hierfür: "Weniger, als der Kino-Superman Christopher Reeve bekommen hat!" Meinte der Sponsor. Und vergaß zu erwähnen, dass der Filmheld über eine halbe Million Mark kassierte.

Als Kevin Keegan 1980 den Hamburger SV nach 90 Spielen, in denen er 32 Tore erzielte, verließ, war er nicht nur Deutscher Meister mit den Hanseaten geworden, sondern hatte auch zweimal die Wahl zu "Europas Fußballer des Jahres" für sich entscheiden können. Der Mann aus Liverpool hatte mit seiner brillanten Spielweise und feinen Art die Herzen der Hanseaten für sich erobert. Wie hatte HSV-Präsident Dr. Peter Krohn noch nach dem ersten Tor des englischen Nationalspielers für die Hamburger gesagt: "Ich bin aufgesprungen und habe mir selbst die Hand geschüttelt." Besser kann man diese Erfolgsgeschichte tatsächlich nicht in Worte fassen!

Unser Kolumnist Ben Redelings ist gerade mit seinen Programmen unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.

Quelle: ntv.de

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