Redelings Nachspielzeit

Hoeneß wütete: "Hetzkampagne" Als die Bayern zum "Klassenkampf" beim FC St. Pauli antraten

Uli Hoeneß und der ehemalige St.Pauli-Präsident Corny Littmann.

Uli Hoeneß und der ehemalige St.Pauli-Präsident Corny Littmann.

Am heutigen Samstag spielt der FC Bayern in Hamburg beim FC St. Pauli. Ein Duell mit einer ganz speziellen Historie. Noch bevor in den 2000ern der "Weltpokalsiegerbesieger" geboren wurde und die Bayern die Kiezkicker solidarisch unterstützten, gab es Spiele mit ganz vielen Emotionen - und persönlichen Angriffen!

"Insgesamt besser, als es die Hitzköpfe wahrhaben wollten", schrieb der "Kicker" am Montag nach dem denkwürdigen Duell des FC St. Pauli vor 35 Jahren zu Hause gegen den FC Bayern München über die Leistung des Schiedsrichters Klaus Broska aus Gelsenkirchen. Der gute Mann hatte zuvor eine "emotionsgeladene Partie" der besonderen Sorte über weite Strecken souverän über die Bühne gebracht - obwohl das Spiel schon im Vorhinein tüchtig für Schlagzeilen und Erregung gesorgt hatte.

Nur ein Jahr zuvor hatte ein anderer Schiedsrichter, Hellmut Krug, bereits kurz davorgestanden, die Partie zwischen den beiden äußerst unterschiedlichen Klubs ("Zwei Welten: Arm gegen reich") abzubrechen. Nachdem eine Tomate Olaf Thon getroffen hatte und eine Bierflasche auf Ludwig "Wiggerl" Kögl geworfen worden war, hatten die Bayern angedroht den Platz zu verlassen. Nur mit Mühe und Not konnte die Begegnung am Ende über die Zeit gebracht werden. Doch die Emotionen kochten zwischen den beiden Teams noch länger hoch.

"Treten nur unter Protest an!"

ANZEIGE
Das neue Buch der Fußballsprüche
71
22,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Nun trafen der FC St. Pauli und der FC Bayern München fast genau ein Jahr später an einem Freitagabend Ende Oktober 1989 wieder aufeinander. Doch die Stimmung war nicht nur wegen des vorjährigen, impulsiven Aufeinandertreffens beider Mannschaften erhitzt, sondern vor allem auch wegen einer anderen Sache. Das "MillernTor Magazin" des Vereins zum Spiel gegen den FC Bayern hatte mit der Schlagzeile "Der Klassenkampf" auf dem Cover aufgemacht. Im Heft selbst hatte die offizielle Stadionzeitung, die in einer Auflage von 10.000 Stück erscheinen sollte, die "streng kapitalistisch ausgerichtete Glamourwelt des FC Bayern" thematisiert. Manager Uli Hoeneß witterte eine "Hetzkampagne" und verkündete mit hochrotem Kopf: "Wir treten nur unter Protest an. Das ist Volksverhetzung!"

Das Heft hatte Hoeneß am Abend vor dem Spiel im NDR-Fernsehen zum ersten Mal gesehen und direkt erbost gemeint: "Das ist eine Sauerei! Ich wehre mich mit größter Vehemenz gegen die Darstellung, dass den Bayern-Spielern alles in den Hintern geschoben wird und nur die St. Pauli-Spieler dafür arbeiten müssen." Dem vorausgegangen war eine flapsige Bemerkung von Trainer Helmut Schulte, der im Magazin gesagt hatte: "Ist doch klar, da kämpft auf dem Feld Arbeit gegen Kapital." Schulte ist es auch gewesen, der damals den Titel der anstößigen Stadionzeitung mit einer Aussage geprägt hatte: "Wer bei Pauli unterschreibt, dem ist klar, dass er dem Klassenkampf gewachsen ist."

"Anschlag auf die Pressefreiheit"

Doch Hoeneß stieß sich nicht nur an den Worten des Trainers, sondern auch an einer Stelle auf Seite 4 des Magazins, an der stand: "In einem Interview gab der Wurstfabrikant Hoeneß (›Nürnberger Bratwürstl‹) ein Gastspiel als Sozialethiker: ›Wenn ich das über Arbeitslose höre, muss ich mich totlachen. Die Hälfte, davon bin ich überzeugt, hat kein Interesse zu arbeiten.‹" Nach den Protesten von Uli Hoeneß und des FC Bayern entschloss sich schließlich der FC St. Pauli das Magazin zurückzuhalten. Man argumentierte, dass bei "Ausschreitungen Sanktionen zu befürchten gewesen" wären. Dem verantwortlichen Redakteur des Hefts, Werner Langmaack, gefiel der Verkaufsstopps allerdings ganz und gar nicht: "Das ist ein Anschlag auf die Pressefreiheit!"

Und natürlich ließ der Stadtteil-Verein aus Hamburg die Sache auch nicht so einfach auf sich beruhen. Der Politiker und Vizepräsident des FC St. Pauli, Hans Apel, meinte süffisant: "Vor 1918 gab es im deutschen Strafrecht einen Paragrafen der Majestätsbeleidigung. Offenbar glaubt das Bayern-Präsidium, dass es diesen Paragraphen immer noch gibt. Ende der Durchsage!"

Und auch die Macher des Magazins reagierten in einer Pressemitteilung auf ihre Art auf den Protest des Bayern-Managers und schrieben mit einem zwinkernden Auge: "1. Hoeneß wirkt nicht wie ein Kredithai, sondern wie ein Samariter und Bekämpfer von Armut und Hunger in der Dritten Welt. 2. Er hat keine verbitterten Gesichtszüge, sondern ein frisches, offenes und sympathisches Antlitz, seine Brille ist nicht affig, sondern todschick, seine Hautfarbe ist nicht käsig, sondern rosig, insbesondere wenn er vor Fernsehauftritten aus der Maske kommt. 3. Hoeneß verschoss bei der EM 1976 nicht den entscheidenden Elfmeter, sondern verwandelte ihn elegant und unhaltbar."

"Uli, Uli"

Nach der Partie, die die Bayern mit 2:0 gewannen, waren die Emotionen der Münchener noch nicht runtergekocht, wie die Reaktionen von Jupp Heynckes ("Rübenacker mit feindseliger Stimmung") und Ludwig Kögl ("Davon hättest du dich 14 Tage ernähren können", über die Gegenstände, die auch dieses Mal wieder auf den Millerntor-Rasen geworfen worden waren) über das Spiel zeigen. Doch dann war viele Jahre erst einmal Ruhe zwischen den beiden Klubs. Bis zur fatalen Blamage der Bayern 2002 im "Freudenhaus der Liga". Doch diese Niederlage des Rekordmeisters änderte einiges im Binnenverhältnis der beiden Klubs.

Mehr zum Thema

Denn nur ein Jahr später traten die Bayern in Hamburg zu einem Benefizspiel für den FC St. Pauli am alten Millerntor-Stadion an. Über 20.000 Zuschauer feierten an diesem Tag Uli Hoeneß, der an der Seite des strahlenden Präsidenten Corny Littmann im braunen "Weltpokalsiegerbesieger-Retter"-Shirt eine Stadionrunde drehte, mit lautstarken "Uli, Uli"-Rufen.

Das gefiel dem Bayern-Manager natürlich sehr - und in Erinnerung an die alten Zeiten meinte er: "Die Stimmung war hier früher ja genau gegensätzlich. Es ist schön, dass die Leute noch dankbar sein können. Wir wollten mit diesem Spiel hier die Leute mitten ins Herz treffen, und wir haben mit diesem Fußballfest voll getroffen." Und damit war das Kapitel "Klassenkampf" zwischen den beiden doch recht unterschiedlichen Klubs erst einmal erledigt.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen