Redelings Nachspielzeit

Weltpokalsiegerbesieger-Ekstase Die fatale Blamage der Bayern im "Freudenhaus"

Das "Weltpokalsiegerbesieger"-Shirt schaffte den Sprung aus dem Fußball heraus.

Das "Weltpokalsiegerbesieger"-Shirt schaffte den Sprung aus dem Fußball heraus.

Uli Hoeneß war auch Tage nach der Niederlage des FC Bayern am Millerntor nicht zu besänftigen. Der FC St. Pauli habe seine Bayern "in der eigenen Hälfte festgenagelt". Bis heute unvergessen ist der legendäre Sieg des FC St. Pauli aber vor allem wegen einer genialen Marketing-Idee.

"Ich habe mich noch nie so geschämt. Die Paulianer sind gerannt, ich glaube, da liegen heute noch welche unterm Sauerstoffzelt. Und bei uns werden 30 Minuten nach Spielschluss schon wieder Karten gespielt und Sprüche geklopft. Die Spieler essen Scampis und ich habe eine schlaflose Nacht." Uli Hoeneß konnte die historische Niederlage auch am Tag danach noch immer nicht fassen - und dabei wusste er da noch nicht einmal, dass dieser Abend durch seinen besonderen Beinamen auch viele fußballbegeisterte Generationen später noch immer in aller Munde sein würde.

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Denn noch in der Nacht nach dem Triumph fanden der Chef des Fanladens und der Merchandising-Boss des FC St. Pauli freudetrunken und nicht mehr ganz nüchtern den genialen, wie unsterblichen Namen für das gerade Erlebte. Sie tauften ihren Klub nach dem Sieg über den mächtigen FC Bayern München in "Weltpokalsiegerbesieger" um.

"Wir hatten gehofft, dass die Bayern uns ein bisschen unterschätzen. Wir hatten die Schwachstellen in der Bayern-Defensive ausgemacht - und gefunden." St. Paulis damaliger Coach Dietmar Demuth erinnerte sich zehn Jahre nach der historischen Nacht recht nüchtern an die unglaublichen Ereignisse des 06. Februar 2002. Der damalige Spieler und spätere Trainer, Holger Stanislawski, fasst da die legendären neunzig Minuten am Millerntor schon etwas emotionaler zusammen: "Es war zwar die totale Erschöpfung, aber ein geiles Gefühl!"

"Hatte einfach nur ein geiles Gefühl"

Bereits nach einer knappen halben Stunde führte der FC St. Pauli, der als Tabellenletzter in die Partie gegangen war, mit 2:0 gegen die Bayern. Die beiden Torschützen Thomas Meggle und Nico Patschinski sicherten sich an diesem Abend durch ihre Treffer auf ewig einen Platz im Herzen der St.-Pauli-Fans - wie alle dreizehn eingesetzten Spieler dieser unvergesslichen Partie. Und hätte Oliver Kahn im Kasten der Bayern nicht einen Sahnetag erwischt gehabt - es hätte zur Halbzeit noch viel düsterer für den amtierenden Meister und Weltpokalsieger (knapp drei Monate zuvor, im November, hatten die Münchener durch ein 1:0 gegen Boca Juniors diesen Titel geholt) ausgesehen.

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Doch auch so glich die damals von Journalisten häufig als "Freudenhaus der Liga" bezeichnete Heimspielstätte des FC St. Pauli zur Pause einem Tollhaus, wie sich Holger Stanislawski noch immer gerne erinnert: "Auf dem Weg in die Kabine feuerten uns die Fans an, als gäbe es kein Morgen. 'Weiter so' und 'Weltklasse' brüllten sie von allen Seiten. Als wir in der Kabine saßen, hatte ich einfach nur ein geiles Gefühl. Selbst wenn wir das Spiel noch verloren hätten: Wir wären mächtig stolz auf diese erste Halbzeit gewesen!"

Und das vollkommen zurecht, wie auch Uli Hoeneß am nächsten Tag - noch immer mit hochrotem Kopf - kompromisslos eingestand: "Der Tabellenletzte hat uns in der eigenen Hälfte festgenagelt. Wir haben einen Dreck gespielt. Alle dachten, es geht hier mit Hacke, Spitze, eins, zwei, drei!" Das klappte in der Tat nicht. Auch in der zweiten Halbzeit dominierten lange die Hamburger, bevor es nach dem Anschlusstreffer von Willy Sagnol in der 87. Minute kurzfristig noch einmal spannend wurde. Doch die Spieler des FC St. Pauli kämpften aufopferungsvoll und brachten das 2:1 schlussendlich über die Zeit.

Saison endet mit Schrecken

Die Zuschauer im Stadion am Millerntor konnten ihr Glück kaum fassen. Noch eine Stunde nach Spielschluss standen die Fans in den Kurven und schauten sich sprachlos an. Dann wurde die Nacht zum Tag gemacht. Doch nicht alle konnten diesen Moment so richtig auskosten. Die Spieler tranken nur noch ein schnelles Bier in der Kabine und gingen dann nach Hause, wie Holger Stanislawski immer noch etwas bedauernd erzählt: "Wir mussten ja schon drei Tage später wieder auf Schalke ran."

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Was den Helden dieses Abends verwehrt blieb, reizten andere bis in die frühen Morgenstunden aus. Gott sei Dank! Denn ansonsten wäre wohl nie diese geniale Idee mit dem Shirt "Weltpokalsiegerbesieger 2002" entstanden, wie sich Marketing-Chef Hendrik Lüttmer einmal an die Feier nach der Partie erinnerte: "Wir haben über das Spiel geredet, und ein Wort gab das andere. Wer jetzt 'Weltpokal' gebracht hat und wer 'Weltpokalsieger' gesagt hat und wer daraus 'Weltpokalsiegerbesieger' gemacht hat, weiß ich nicht mehr. Aber zum Glück habe ich mich am nächsten Tag noch an das Wort erinnert."

Wie wahr! Denn das mit dem Wappen bedruckte, braune Shirt mit dem Schriftzug "Weltpokalsiegerbesieger 2002" hat sich mittlerweile weit über 100.000 Mal verkauft - und versüßte am Saisonende wenigstens etwas den bitteren Abstieg, der auch durch diesen unvergesslichen Sieg vor zwanzig Jahren über die Bayern nicht mehr zu verhindern war.

Quelle: ntv.de

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