Redelings Nachspielzeit

"Bayern gelang Husarenstück!" Das verrückteste Spiel der Bundesliga-Geschichte

Hermann Gerland - damals als Spieler des VfL Bochum.

Hermann Gerland - damals als Spieler des VfL Bochum.

(Foto: imago/Horstmüller)

An diesem Wochenende spielt der VfL Bochum gegen den FC Bayern München - und Hermann Gerland wird sich mal wieder die Geschichte vom "Spiel, das nie aufhört" anhören müssen. Das 5:6 des VfL gegen die Bayern vom 18. September 1976 ist ebenso legendär wie einzigartig. Ein echtes "Jahrhundertspiel".

"Boah, das Spiel habe ich mindestens hundertfünfzig Mal verloren. Einmal hätte mir gereicht", sagt die Bundesliga-Legende Hermann Gerland in seinem Buch "Immer auf'm Platz" über ein "Spiel, das nie aufhört". 5:6 verlor der VfL Bochum am 18. September 1976 zu Hause gegen den großen FC Bayern München. An sich schon ein besonderes Ergebnis - das aber noch viel außergewöhnlicher wird, wenn man die Umstände dieses Tages näher beleuchtet. Denn die lange Zeit als "unabsteigbar" gefeierten Bochumer führten tatsächlich an diesem unvergesslichen Nachmittag nach 53 Minuten bereits mit 4:0. Bis heute einmalig in der Bundesliga, dass eine Mannschaft diesen Rückstand noch in einen Sieg verwandeln konnte.

Und obwohl der VfL diese Partie am Ende noch verlor, wählten die eigenen Fans mit ihrem speziellen Hang zum ironischen Leiden die Begegnung zu ihrem "Jahrhundertspiel". Denn schließlich war dieser besondere Moment die Geburtsstunde eines Klubs, für den kein Zwischenergebnis zu hoch sein kann, um eine Partie am Ende nicht noch zu verbaseln.

Gerland hat viele Bayern-Trainer kommen und gehen sehen

"Ich weiß nicht, ob wir das halten können", soll VfL-Trainer Heinz Höher damals beim Stand von 3:0 zur Halbzeit auf dem Weg in die Kabine vor sich hingemurmelt haben. Genau dieses Gefühl der unbewussten Angst, ein scheinbar sicheres Ding noch aus der Hand geben zu können, hat sich über die Jahre tief in die DNA des Klubs eingebrannt. Und so wird man heutzutage keinen Bochumer mehr in einem Stadion antreffen, der nicht selbst bei einem klaren 5:0-Vorsprung in der 89. Minute noch angstvoll auf die Uhr blickt und sagt: "Das ist hier noch nicht gewonnen!"

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Jedes Mal, wenn zu den Bayern ein neuer Trainer kam - ob Louis van Gaal, Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti -, musste Hermann Gerland die Geschichte dieses Tages erneut erzählen: "Hermann, wie war das denn damals? Als ihr 4:0 geführt und noch verloren habt. Wie konnte das passieren?" Gerland hatte eigentlich keine Lust mehr ("Hör auf!") von diesem Tag zu berichten, tat es schließlich immer wieder aufs Neue.

Bayern-Trainer Dettmar Cramer hat die Partie damals das "Spiel der offenen Tore" genannt. Und genau das war es. Zuerst waren die Bochumer dran, die wie entfesselt aufspielten und in der ersten Hälfte in einem Sturmlauf eigentlich noch viel mehr Treffer hätten erzielen müssen. Doch auf fast wundersame Weise stand es zur Halbzeit nur 3:0 für den VfL. Bayerns Torjäger Gerd Müller reichte das dennoch. Nur eine Woche zuvor hatte er beinahe im Alleingang Tennis Borussia Berlin beim 9:0 mit seinen fünf Treffern abgeschossen. Nun saß er ernüchtert in der Kabine und hatte nur noch Spott und Galgenhumor für sich und seine Mannschaft übrig: "Lasst sie doch noch das vierte schießen, dann legen wir los!"

Und tatsächlich geschah in der 53. Minute genau das. Der VfL traf zum 4:0 - doch dann war es vorbei mit der Bochumer Herrlichkeit. Im Überschwang der Gefühle und im Glauben an den sicheren Sieg wollte nun jeder VfL-Spieler am liebsten ein Tor erzielen. Und so kam es, wie es kommen musste. Nur zehn Minuten später hatten die Bayern auf 4:3 verkürzt. "Wir riefen von hinten den anderen immer wieder zu, sie sollten zurückkommen. Aber die spielten fröhlich aufs fünfte Tor. Die sind alle abgehauen nach vorne", erinnert sich Hermann Gerland. Und so führten die Bayern nur zwanzig Minuten nach dem vierten Treffer der Bochumer plötzlich mit 5:4 im Stadion an der Castroper Straße.

Husarenstück des FC Bayern

Der "Fußball-Krimi von Bochum in der Bundesliga ohne Beispiel" schrieben die Zeitungen am nächsten Tag und auch VfL-Trainer Heinz Höher war sich später sicher: "So etwas erlebe ich nicht noch einmal". Und obwohl die Bochumer noch einmal zum 5:5 ausglichen, schoss Uli Hoeneß an diesem verrückten Nachmittag kurz vor Schluss zum Endstand ein. "4:0 - dann 5:6! Diesen Fußball hält keiner aus. Bochum gegen Bayern war die Fußballschlacht des Jahres", titelte eine Zeitung und für Hermann Gerland brach damals eine Welt zusammen: "Eine Katastrophe. Ich wollte nicht mehr leben. Das konnte doch nicht wahr sein. Und die großen Bayern haben sich gefreut wie kleine Kinder, dass sie gegen den kleinen VfL Bochum gewonnen hatten. Danach war Totenstille in unserer Kabine."

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Die Presse feierte die Partie allerdings laut und in großen Lettern: "Das verrückteste Spiel des Jahres. Bayern gelang tolles Husarenstück." Allen, die damals im Stadion waren, war sofort bewusst, bei welch einzigartigem Ereignis sie dabei gewesen waren. Auch wenn Bochums Doppeltorschütze Jupp Kaczor in diesen stillen Sekunden und Minuten danach nur einen Gedanken hatte: "Ich traue mich nicht nach Hause. Mein Vater macht mich zur Schnecke." VfL-Rekordspieler Ata Lameck meinte einmal: "Auch Stunden später hatten wir immer noch nicht realisiert, was da passiert war."

Und Hermann Gerland? Für den war die Partie genau wie für seinen Verein ein Wendepunkt: "Es war ein Spiel, das man als Spieler nie vergisst. Aber auch nicht später, als Trainer. Immer wenn ein Team von mir geführt hat, hatte ich sofort die Stimme im Kopf, die sagt: Kann noch schiefgehen." Und noch jemand hat diesen verrückten Tag lange Zeit in Erinnerung behalten, auch wenn er damals am Ende auf der Seite der Gewinner stand, wie Hermann Gerland erzählt: "Selbst Gerd Müller, der mehr als zehn Jahre mein Co-Trainer bei den Bayern-Amateuren war, warnte immer, kaum hatten wir das 1:0 gemacht: 'Obacht, Obacht!'"

Das "Jahrhundertspiel" von Bochum ist und bleibt eine der denkwürdigsten Partien, die der deutsche Fußball je gesehen hat. Kein Wunder, dass Hermann Gerland immer wieder die Geschichte dieses ganz besonderen Tages von vorne erzählen muss.

Quelle: ntv.de

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