Redelings über BVB-Triumphe "Der Emma hat mir in die Eier gezwickt!"
05.04.2016, 10:57 Uhr
Wiedersehen am Donnerstag: Jürgen Klopp und Alfred Schmidt.
(Foto: imago sportfotodienst)
Zur Pause gegen Schalke schon ne Pulle Sekt? Rubbeldiekatz am Borsigplatz? Mit Emma und Libuda im Autokorso? BVB-Ikone Aki Schmidt war stets mit dabei. Der Mann am Akkordeon, Borusse durch und durch, steht vor einer besonderen Woche.
6. Mai 1966. Riesenjubel in Dortmund. Die Menschen stehen am Straßenrand Spalier für ihre siegreiche Fußballmannschaft, die vor Glück strahlend in Cabrios durch die schwarz-gelb beflaggte Stadt gefahren wird. Die Sieger sind zurückgekehrt aus Glasgow. Das glorreiche Team des BVB hat den Liverpool FC mit 2:1 nach Verlängerung niedergerungen. Nun lässt man sich gebührend feiern. Von einer ganzen Stadt.
In einem Auto sitzen Lothar Emmerich, Aki Schmidt und Stan Libuda und recken stolz den Europapokal der Pokalsieger nach oben. Lachend dreht sich Aki Schmidt irgendwann an diesem herrlichen Tag zur Seite. Er schaut ins tränenüberströmte Gesicht Libudas. Man, denkt sich Aki, der ist ja voller Emotionen. Den hat es richtig gepackt. Und so beugt sich Schmidt zu Libuda hinüber und will ihm gerade etwas ins Ohr flüstern, da raunzt dieser ihm durch die nur spaltbreit geöffneten Zähne zu: "Halt bloß die Schnauze, Aki. Der Emma hat mir in die Eier gezwickt!"
50 Jahre ist diese kleine Anekdote am Tag nach dem historischen Triumph nun schon her. Und wie es der Fußballgott so will, treffen die beiden Finalmannschaften von damals an diesem Donnerstag wieder aufeinander. Europaliga, Viertelfinale. Eine emotionale Partie. Auch wegen der Rückkehr des langjährigen BVB-Erfolgstrainers Jürgen Klopp. Damals, vor fünf Jahren, anlässlich Klopps erstem Meistertitel mit der Borussia hatte Schmidt sein Akkordeon ausgepackt. Mit der Band "Casino Express" schmetterte er den Hit zur Meisterschaft: "Rubbeldiekatz am Borsigplatz". Unvergessen, wie Klopp mit dunkler Sonnenbrille auf der Nase beim Lastwagen-Korso durch die Stadt das Lied fleißig mitgrölte.
"Aki Schmidt, die Punkte nehmen wir mit!"
Für den 80-jährigen Aki Schmidt wird dies eine ganz besondere Erinnerungswoche. Am Sonntag steht als weiterer Höhepunkt das Derby auf Schalke an. Im September 1964 gewann seine Borussia die Partie des sechsten Spieltags beim FC Schalke 04 mit 6:2. In der zehnten Minute gelang Aki Schmidt das erste Tor. Ein schöner, aber ziemlich gewöhnlicher Fernschuss aus 22 Metern. In späteren Jahren wurde von Erzählung zu Erzählung aus diesem Schuss ein Traumtor aus weit über 30 Metern. Überliefert ist der schöne Schlachtruf der BVB-Fans an diesem Tag: "Aki Schmidt, die Punkte nehmen wir mit!"
Bereits nach 36 Minuten hatten Schmidt, Konietzka, Brungs und Emmerich ihr Tageswerk vollbracht. Es stand 6:0 für die Borussia. Der "Kicker" schrieb: "Wie eine verheerende Naturkatastrophe, die nicht aufzuhalten ist von Menschenkraft, brach der Taifun in der ausverkauften Glückaufkampfbahn, entfacht von Borussia Dortmund, über die Schalker Mannschaft herein." Dortmunds Trainer Eppenhoff analysierte betont nüchtern: "Unsere Taktik, den Gegner kommen zu lassen, ist aufgegangen. In der zweiten Halbzeit haben wir verhalten gespielt, um uns zu schonen."
Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".
Ganz so nüchtern waren die Borussen zu diesem Zeitpunkt in Wahrheit eigentlich nicht mehr: Bereits in der Halbzeitpause hatte man eine Flasche Sekt auf den Sieg geköpft! Das letzte Tor an diesem Tage schoss ein Schalker - Reinhard Libuda. Eben diesen ganz besonderen Mann aus Gelsenkirchen, genauer gesagt aus dem Arbeiterviertel Haverkamp, verpflichtete die Borussia knapp ein Jahr später. Keine ganz einfache Angelegenheit, wie der BVB-Spielausschuss-Vorsitzende Heinz Storck zu berichten wusste. Die Borussia war nicht alleine am königsblauen Ausnahmetalent interessiert: "Als ich zum ersten Mal vorsprach, saßen die Herren beieinander wie Indianer am Biwak. Ich habe mich auf dem Absatz gedreht und bin zurück nach Hause gefahren."
Am nächsten Morgen kam er wieder. Diesmal fuhr er langsam in seinem Mercedes 300 SE vor, hupte kurz und ließ die Libudas das Auto ausgiebig begutachten. Storck glaubte im Nachhinein, dass dieser Auftritt der Schlüssel zur Verpflichtung des Schalker Ausnahmetalents war. Der BVB-Offizielle durfte mit den Eltern alleine sprechen. Stans Mutter diktierte nach der Unterredung den wartenden Journalisten in die Notizblöcke: "Nachdem, was wir jetzt alles erlebt haben, bin ich froh, endlich einen Mann zu sprechen, der es mit meinem Jungen gut meint."
Und obwohl sich Libuda in Dortmund nie so richtig wohl fühlte, hatte er in Aki Schmidt einen echten Kameraden an seiner Seite. Zusammen mit seinem Zimmergenossen lag der Schütze des entscheidenden Tores damals in Glasgow nachts nach dem Europapokal-Triumph im Bett und wollte nicht glauben, was Aki ihm da sagte: "Morgen steht Dortmund Kopf. Da wirst du Augen machen!"
Die Feierlichkeiten waren in ihrer Intensivität einmalig in Deutschland. Und das wurde am Ende zu einem echten Problem. Denn das Duell an der Spitze hieß bis kurz vor Schluss Borussia Dortmund gegen 1860 München. Erst als der BVB den Europapokal der Pokalsieger gegen Liverpool gewann, vergeigte die Borussia die Meisterschaft. Aki Schmidt erzählte einmal selbstkritisch: "Gegenüber war 'e Kneipe, da war immer was los. Ich bin gar nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die ganze Feierei hat uns die Meisterschaft gekostet. Wir spielten noch zu Hause gegen 1860. Hätten wir gewonnen, wären wir Meister geworden. So wurde es 1860." Heute kann man diese ganz besondere Woche in Dortmund ohne irgendeinen Gedanken an eine Münchener Mannschaft genießen. Die Borussia und Aki Schmidt können sich vollkommen aufs Feiern konzentrieren!
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Quelle: ntv.de