Redelings Nachspielzeit

Redelings über Augenthaler Der erotische Weltmeister droht Maradona

Pokalsieger 1984: Klaus Augenthaler. Aber wer ist der Mann links?

Pokalsieger 1984: Klaus Augenthaler. Aber wer ist der Mann links?

Erika Berger beschreibt Klaus Augenthaler als einen "sehr erotischen Mann mit intelligenten Augen". Beim FC Bayern prägt er eine goldene Zeit. Als Weltmeister verpasst er 1990 beinahe die Feier - doch mit einem Trick verlässt er die Dopingkontrolle.

"Wir Niederbayern gelten vielfach als verstockt und stur. Was soll ich da noch sagen: Ich bin Niederbayer!" Das hat Klaus Augenthaler einmal über sich selbst gesagt. Und wahrscheinlich ist da viel Wahres dran. Aber wenn man sein Wesen einmal näher beleuchtet, fällt auf: Der Mann hat viele Gesichter - und Humor. Schließlich stammt auch dieser Satz von ihm: "Wenn Sie glauben, Sie haben einen Blöden vor sich, dann sind Sie bei mir an der richtigen Adresse."

"Ein Tor würde dem Spiel gut tun"

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Klaus Augenthaler, der langjährige Bundesligaspieler und Trainer aus Fürstenzell, erinnert sich noch genau an die ersten Tage im Sommer 1975 beim großen FC Bayern München. Fast die ganze Mannschaft war ein Jahr zuvor Weltmeister im eigenen Land geworden, und nun kam er daher, der Abwehrspieler vom FC Vilshofen. Zurückhaltend schaute er sich an, was da mit ihm passierte. Niemand redete ein Wort mit ihm; und wenn doch, dann waren es keine Nettigkeiten. Auch Franz Beckenbauer ließ Augenthaler spüren, dass er ihn nicht unbedingt brauchte. Der spätere Nationalspieler weiß noch aufs Wort, was Beckenbauer damals auf dem Platz zu ihm sagte: "Unser erstes gemeinsames Spiel war in Graz. Wir verloren 3:7, ich wurde eingewechselt. Und Franz, der Weltmeister, der weltbeste Libero, meinte nur: Mit den Blinden mag ich nimmer spielen. Ich hätte mich am liebsten entschuldigt."

"Du musst dich wehren"

Auch im Training hatte Augenthaler nicht viel zu bestellen. Wenn er einmal ein bisschen härter gegen Beckenbauer, Sepp Maier oder Gerd Müller einstieg, dann schallte es ihm direkt entgegen: "Du, Wäldler, halt dich bloß zurück." Bulle Roth haute "Auge" eines Tages aus den Schuhen, und Jupp Kapellmann zischte ihm zu: "Geh zurück, wo du herkommst." Doch der Assistenztrainer der Bayern, Werner Olk, hatte ein Einsehen mit dem jungen Mann. Er bläute Augenthaler ein: "Du musst dich wehren." Und er wehrte sich: "Da habe ich dem Jupp Schläge angedroht und ihn zweimal rasiert. Ab da war Ruhe." Augenthalers Teamkollege Maier prophezeite ihm damals: "Der wird irgendwann mal so weit sein, dass er eine Kuh aus 100 Metern Entfernung erschießt."

Augenthaler im November 1977.

Augenthaler im November 1977.

Augenthaler war nie ein Kind von Traurigkeit: "Wenn ich nach dem Spiel in die Kabine komme und es braucht keiner einen Verband, dann hab ich was verkehrt gemacht." Was das konkret bedeutete, hat Uli Hoeneß mal erzählt. Der Bayern-Manager hatte konkret über eine Verpflichtung von Diego Maradona nachgedacht. Schließlich war er aber froh, diesen Plan fallen gelassen zu haben. Die Eskapaden des argentinischen Superstars hätten in München zu Problemen geführt: "Was glauben Sie, was der Klaus mit dem Maradona angestellt hätte, wenn der bei uns solche Sperenzchen wie in Neapel gemacht hätte!"

Im Sommer 1990 krönte Augenthaler seine Karriere mit dem Weltmeister-Titel. Über die Wochen in Italien erzählte er wunderbare Geschichten. Nach dem Finale habe er vier Stunden bei der Dopingkontrolle gesessen: "Es ging nicht. Schaut dir ein über Siebzigjähriger von der Fifa zu, und dann geht wieder nichts mehr. Erst als der eine sagte, er wolle mein Sweatshirt von der Nationalmannschaft haben, haben sie mich gehen lassen. Als ich zur Feier kam, waren alle schon gut dabei!"

"Ein Vorbild kann dieser Augenthaler nicht sein!"

Und da Augenthaler gerade frisch Vater geworden war, kam die Frau mit Sack und Pack zur Siegesfeier ins Hotel, inklusive Kind. Als Augenthaler nach einer langen Nacht am nächsten Morgen früh aufstand, schaute er vom Hotelbalkon runter und sah Torwarttrainer Sepp Maier mit dem neuen rosa Kinderwagen der Familie Augenthaler: "Ich weiß nicht mehr, welcher Spieler drin saß, vermutlich Thomas Häßler. Und der Sepp fährt mit ihm über den Rasensprenger."

Als Augenthaler wenige Jahre später seine Karriere als Fußballer beendete, griff er schon Sekunden nach seiner Auswechselung in seinem eigenen Abschiedsspiel nach einem Weißbier und zündete sich genüsslich eine Zigarette an. In Nürnberg erzürnte er damit einen Leser des "Kicker", der das Treiben des Bayern-Spielers "unmöglich" fand und feststellte: "Ein Vorbild kann dieser Augenthaler nicht sein!" Noch als Bayern-Profi sagte Augenthaler: "Als Trainer hast du 14 oder 15 Spieler, aber einsetzen kannst du nur elf. Also musst du immer drei oder vier deiner Leute enttäuschen. Ich brächte das nie übers Herz. Ich kann einfach keinem wehtun." Hat er dann aber doch. Am meisten aber immer noch sich selbst: "Fußball auf der Bank ist Leidensgeschäft. Ich bin leidender Angestellter hier in Nürnberg."

So fleißig Augenthaler als Fußballer auf dem Platz war, im Haushalt ist er kein Held der Arbeit. Doch damit hat er kein Problem. Offen gab er zu: "Einmal war ich mit meiner Frau im Keller und habe gesehen, wie sie die Wäsche aus der Waschmaschine holte und in den Trockner warf. Da hab ich sie gefragt: Warum wäschst du jetzt noch einmal?" Als Augenthaler nach seinem letzten Engagement auf der Trainerbank für sehr lange Zeit ohne Job nur noch zu Hause rumsaß, fragte ihn ein fleißiger Journalist: "Was schießt Ihnen in den Kopf, wenn das Telefon klingelt und Sie erkennen die Nummer nicht?" Augenthaler: "Ohne Lesebrille sehe ich die Nummer sowieso nicht." Wir wünschen dem Mann, der einmal über sich selbst sagte - "Mich kennt keiner wirklich. Selbst meine Frau fragt mich manchmal: Bist du wirklich so?" - alles Gute zu seinem 60. Geburtstag.

Das neue Buch unseres Kolumnisten Ben Redelings: "55 Jahre Bundesliga - das Jubiläumsalbum" bei Amazon bestellen. Außerdem ist er mit seinen Programmen unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen