
Eberls Aussagen lassen das "Mia san mia" vermissen.
(Foto: IMAGO/Sven Simon)
Der FC Bayern München betreibt mit seinem radikalen Kaderumbau ein riskantes Spiel. Dass der Rekordmeister nach der enttäuschenden letzten Saison etwas ändern muss, ist klar - doch dass Sportvorstand Max Eberl nun auch die Bayern-Identität gefährdet, sollte alle Alarmglocken laut klingeln lassen.
Als Max Eberl Anfang März bei den Bayern vorgestellt wurde, erzählte er eine kleine Anekdote bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer Sportvorstand des FC Bayern München: "Ich habe mit Didi Hamann Pakete packen müssen, weil Herman Gerland nicht wollte, dass wir in den Sommerferien rumlungern." Er war damals nach seinem "Lebenstraum" gefragt worden und hatte etwas weiter ausgeholt. Eberl sprach über den wachsenden Verein, den er viele Jahre als ebenfalls Heranwachsender begleiten durfte - und die Beobachter dieses ungewöhnlichen Vorgangs eines lockeren, aber dennoch äußerst konzentriert wirkenden Neu-Sportvorstands mussten davon ausgehen, dass Max Eberl diese Geschichte nicht zufällig, sondern mit vollem Bewusstsein erzählt hatte. Nicht einmal fünf Monate später regen sich allerdings erste Zweifel, ob der ehemalige Bundesligaprofi seinen eigenen Worten aus dem Frühjahr inhaltlich noch Folge leistet.
Denn Max Eberl wollte damals wohl (auf-)zeigen, welch besonderer Verein der FC Bayern München sei. Ein Klub mit einer ganz speziellen Identität und Mentalität. Ein Verein, der mit seinem "Mia san mia" stets zwischen einem überbordenden Selbstbewusstsein und einem Schuss Überheblichkeit agierte und dieses besondere Bayern-Gen über Menschen und Typen auf eine außergewöhnliche Art und Weise von Generation an Generation weitergab.
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Der FC Bayern München war zudem ein Klub, der darauf vertrauen konnte, dass da Spieler und Offizielle über Jahre und teilweise Jahrzehnte da waren, dem Verein die Treue hielten und das Besondere dieses Klubs prägten und weitergaben. Uli Hoeneß selbst hat diese spezielle Form der Nestwärme, der Familie Bayern München einmal mit einem Satz auf den Punkt gebracht: "Wer beim FC Bayern war und sich seriös verhalten hat, hat auf Lebenszeit eine Carte blanche der Hilfe." Dieses Gefühl, dass da ein Klub ist, der sich deutlich und erfreulich von den anderen Profivereinen - auch international - unterscheidet, hat den Rekordmeister immer ausgemacht und den herausragenden sportlichen wie wirtschaftlichen Erfolg vermutlich erst ermöglicht.
Kimmich-Aussagen belegen Veränderung
In den letzten Jahren, nach dem endgültigen Ausscheiden von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, ist von diesem besonderen Gefühl jedoch nicht mehr viel zu spüren. Der FC Bayern München ist, auch wenn die Fans und Offiziellen des Klubs das natürlich nicht gerne hören, immer mehr und weiter auf dem Weg zu einem Verein wie viele andere. Deshalb waren die Hoffnungen groß, als mit Max Eberl im März jemand kam, der an die alten Werte des Klubs erinnerte. Doch in diesen Tagen lässt vor allem der Umgang mit einer Personalie Zweifel daran aufkommen, ob sich der Sportvorstand der Bayern selbst noch bewusst ist, was den Klub groß und so einmalig hat werden lassen.
Eberls Worte rund um das Thema Joshua Kimmich sollten bei den Bayern-Anhängern alle Alarmglocken erklingen lassen - und wenn man den Reaktionen in den sozialen Medien Glauben schenken darf ("Einen Kimmich so zu behandeln, finde ich unmöglich"), passiert auch bei einem nicht unerheblichen Teil der Fans genau das. Denn die (langjährigen) Anhänger des Rekordmeisters haben nach den letzten, emotional eher schwierigen Jahren offensichtlich ein feines Gespür dafür, dass bei ihrem Verein aktuell nicht nur beim Kaderumbau radikal vorgegangen wird, sondern augenscheinlich auch auf einer anderen Ebene. Und das lässt den feinfühligeren Teil der Fans nicht kalt, wie man an den zahlreichen kritischen Beiträgen im Internet sehen kann.
Hermann Gerlands Abgang war ein Zeichen
Dass Max Eberl sich in seinen Worten zu Joshua Kimmich - immerhin seit 2015 im Klub - auf Allgemeinplätze ("Ich sage nur, was für alle gilt") beruft, macht die Sache inhaltlich natürlich nicht besser. Eher sogar noch schlimmer. Denn mit seinen Aussagen gibt der Sportvorstand die Personalie Kimmich nun endgültig frei. Hätte er andersherum gesagt, dass man selbstverständlich nicht über einen Abgang des verdienten Nationalspielers und Bayern-Profis nachdenken würde - ähnlich wie man es damals bei Thomas Müller getan hat ,- weil Kimmich mittlerweile ein wichtiger Teil der Bayern-Identität sei, dann wäre die Diskussion zu Ende gewesen. Und es wäre ein wichtiges Zeichen gewesen.
Da das nicht passierte, sollten und müssen sich die Münchener Offiziellen in diesen Tagen fragen (lassen), ob sie stets und immer im Hinterkopf haben, was diesen Klub in all den Jahren des großen Erfolges so besonders und einmalig hat werden lassen. Denn neben den sportlichen Triumphen und dem vielen Geld war der FC Bayern München auch immer ein Verein, der anders als die anderen war.
Spätestens als Hermann Gerland nach fast 25 Jahren beim Rekordmeister seine Sachen packte, hätte man an der Säbener Straße schon aufhorchen müssen. Doch noch ist es sicherlich nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Allerdings sollte Max Eberl in Zukunft bei all seinem (nicht immer einfachen) Handeln häufiger einmal an früher denken und sein Herz sprechen lassen. Denn ohne das "Mia san mia" und die spezielle Nestwärme verliert der FC Bayern München am Ende mehr - als nur seine Identität.
Quelle: ntv.de