Redelings Nachspielzeit

Wie Pfaff zur Kultfigur wurde Der Bayern-Keeper mit der Sucht nach Popularität

Jean-Marie Pfaff (l.) war in den 80ern ein Liebhaber anspruchsvoller Pop-Literatur.

Jean-Marie Pfaff (l.) war in den 80ern ein Liebhaber anspruchsvoller Pop-Literatur.

An Jean-Marie Pfaff erinnern sich alle Fußballfans der 80er-Jahre gerne. Legendäre Spiele und Aktionen haben den damaligen belgischen Nationaltorhüter fest in das kollektive Gedächtnis der Bundesliga-Anhänger gebrannt. Selbst Thomas Gottschalk schätzte seine Fähigkeiten. Heute feiert Jean-Marie Pfaff seinen 70. Geburtstag.

Einen wie den Pfaff vergessen die Fußballfans nie! Als der legendäre belgische Keeper im Sommer 1982 für die damalige Rekordsumme von 800.000 DM für einen Torhüter vom SK Beveren zum FC Bayern München kam, war Jean-Marie Pfaff bereits "Fußballer des Jahres" 1978 in seinem Heimatland geworden. Er hatte zudem mit der belgischen Nationalmannschaft den Titel des Vize-Europameister 1980 geholt. Als er München nach sechs aufregenden Jahren wieder verließ, hatte er mit den Bayern dreimal die Deutsche Meisterschaft und zweimal den DFB-Pokal gewonnen. Doch all der Ruhm der Trophäen sollte bei weitem übertroffen werden, von den unzähligen Geschichten und Anekdoten, die der Belgier damals sammelte wie heutzutage Harry Kane Tore.

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Gleich sein Start in seinem allerersten Spiel im Kasten des FC Bayern München ist klassische Bundesliga-Historie. Denn an diesem Tag fiel einer der kuriosesten Treffer der Ligageschichte. Ganz offensichtlich wusste Jean-Marie Pfaff beim Anpfiff der Partie noch nicht alles über den Mann, der da im Werder-Trikot an der Außenlinie stand und Anstalten machte, den Ball per Hand direkt in den Strafraum zu befördern. Und genau das tat der Spieler mit den schwungvollen Oberarmen, der Bremer Uwe Reinders, tatsächlich in der 44. Minute am ersten Spieltag im Weserstadion.

Weil das Knie streikte, hatte Reinders keine andere Wahl

Er nahm ein paar Meter Anlauf und warf das Leder dann Richtung Bayern-Tor. Pfaff stürmte irritiert aus seinem Kasten, berührte den Ball am Fünfmeterraum leicht mit den Fingerspitzen und lenkte die Kugel so ins eigene Tor. Das 1:0 für Werder war gleichzeitig auch der Endstand an diesem Tag. Uwe Reinders wurde von Paul Breitner argwöhnisch gelobt: "Klasse, Uwe! Das war schon ein Bombentor. Allerdings gelingt so eines nur gegen uns!"

Pfaff (r.) ist geschlagen. Auch Wolfgang Grobe (m.) kann das Einwurf-Tor nicht verhindern. Rudi Völler findet es gut.

Pfaff (r.) ist geschlagen. Auch Wolfgang Grobe (m.) kann das Einwurf-Tor nicht verhindern. Rudi Völler findet es gut.

(Foto: imago images/WEREK)

Reinders sah die Sache mit einem Schmunzeln im Gesicht damals eher pragmatisch: "Ich war durch eine Knieverletzung stark gehandicapt. Da musste ich das Tor mit der Hand machen." Und auch Pfaff konnte dem spektakulären Treffer schon recht bald etwas Gutes abgewinnen: "Das Tor war positiv für mich. Ich war sofort überall bekannt. Vom Fernsehen wurde es zehnmal wiederholt."

Und das war genau nach dem Geschmack des Belgiers. Jean-Marie Pfaff ließ in diesen Tagen keine noch so kleine Gelegenheit aus, um in den Medien präsent zu sein. Selbst sein Nachbar fürchtete sich vor des Belgiers Präsentationsdrang. Als ein Fotograf einmal seinen Garten ablichten wollte, sagte der gute Mann: "Das muss aber ganz schnell gehen. Wenn nämlich der Pfaff uns sieht, will der sofort mit aufs Bild!"

Wie Pfaff Brehme überlistete

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Tatsächlich zahlte sich das Bemühen um Popularität für Pfaff schon früh aus. Und seine Familie war stolz auf ihren berühmten Bayern-Torwart. Onkel Camille erzählte damals der neugierigen deutschen Presse: "In Belgien reden die Menschen nur drei Landsleute mit dem Vornamen an: Baudouin, den König, Fabiola, die Königin - und den Jean-Marie!" Auch Pfaff selbst genoss seinen Ruhm. Jeder Fan bekam von ihm seine volle Aufmerksamkeit geschenkt. Es konnte jedoch passieren, dass er Menschen sah, die da gar nicht waren. Wenn er mit seinem Mercedes 420 SEL unterwegs hupte und aus dem Fenster freundlich grüßte, guckte ihn seine Frau schon einmal verwundert an: "Aber Jean-Marie, da draußen war doch niemand?!"

Am meisten glänzte der belgische Keeper aber natürlich auf dem Platz. So auch bei der historischen Partie des 1. FC Kaiserslautern gegen den FC Bayern in der Saison 1983/84. Beim Stand von 0:0 wehrte Pfaff an diesem Tag einen Strafstoß von Andreas Brehme mit Ansage ab. Vor der Ausführung flüsterte er dem FCK-Verteidiger ins Ohr: "Den halte ich jetzt. Mit so einem falschen Elfmeter dürft ihr doch nicht gegen uns gewinnen!" Den letzten Schwung hatte Jean-Marie Pfaff dafür übrigens von seinem neuen Torwart-Trainer Sepp Maier erhalten.

Kleine Notiz am Rande: Dass die Bayern am Ende das Spiel mit 1:0 in Kaiserslautern gewannen, lag damals an einer farbigen Kuriosität. Die immer Rot-Weißen liefen an diesem Tag in blau-gelben Trikots auf. Brasilianer auf dem Betzenberg? Der Trick funktionierte jedenfalls, und Bayern stürmte die langjährige Festung! Übrigens: Lautern spielte - um die Verwirrung komplett zu machen - in grünen Trikots. Was einen politisch brandaktuell informierten Zuschauer dazu veranlasste, beim Anblick von Briegel diesen anzuhauen: "Hey, Peter, wir wollen euch nicht wählen, sondern spielen sehen!"

Als Pfaff besser schwieg

Selbstbewusst und lustig war der belgische Keeper im Tor der Bayern zu dieser Zeit. Ein echter Publikumsliebling, der die Gunst seiner Fans liebte und auskostete: "Es gibt viele Maiers, aber nur einen Sepp Maier. Es gibt auch viele Pfaffen, aber nur einen Jean-Marie." Der belgische Nationaltorwart war bei den Fans einfach sehr beliebt, doch trotz allem ließ ihn Trainer Lattek nach einer Verletzungspause auf der Bank sitzen. Ein Skandal, wie nicht nur der Torwart selbst fand. Vor allem die belgische Presse war richtig sauer. Berichtete sie doch mit einem eigenen Reporter direkt aus München über jedes noch so kleine Detail aus dem Leben der Pfaffs, wie Jean-Maries Frau Carmen damals erzählte: "Wenn bei uns vor dem Haus ein Blatt vom Baum fällt, steht das anderntags in Belgien in der Zeitung."

Statt des belgischen Nationalkeepers spielte nun Raimond Aumann. Und der hatte nach anfänglichem Zögern plötzlich richtig Lust auf den Job, wie Assistenztrainer Coordes berichtete: "Der Junge hat Gras gefressen und Ehrgeiz bekommen. Vor einiger Zeit noch war er ein Niemand, einer, zu dem sie höchstens sagten: Geh mal rüber in die Turnhalle und räum dort ein bisschen auf!" Nach einigen Anläufen konnte Pfaff den Konkurrenzkampf mit Aumann jedoch wieder für sich gewinnen und den Platz im Kasten zurückerobern.

Die Saison 1985/86 begann gleich wieder unvergesslich-spektakulär - mit einem Keeper Pfaff im Mittelpunkt. In der 34. Minute des ersten Spieltags überwand Bayern-Profi Helmut Winklhofer seinen eigenen Torwart mit einem herrlich gezirkelten Heber aus 35 Metern. Den wunderschönen Sonnenschein an diesem Tag genoss dann auch nur der Heimklub. Bayer Uerdingen gewann mit diesem "Tor des Monats" 1:0. Das letzte Wort sollte allerdings Bayern-Trainer Udo Lattek gehören, der Winklhofer in der Halbzeit aus der Partie nahm und dies hinterher so begründete: "Das ist jetzt unser Torjäger. Ich wollte ihn für das nächste Spiel schonen!" Jean-Marie Pfaff sagte an diesem Tag lieber nichts.

Frank Mills Jahrhundertfehlschuss

Und wieder ein Jahr später stand am ersten Spieltag der Bayern-Keeper unverhofft und unverschuldet im Scheinwerferlicht - denn auch dieses Ding ist legendär. Bayern München und Borussia Dortmund trafen an diesem Tag im Olympiastadion aufeinander. Neu-Borusse Frank Mill machte ein großartiges Spiel. Ihm gelang fast alles. Vielleicht war das auch der Grund, warum er in dieser Partie plötzlich etwas übermütig wurde. Alleine lief er auf das Bayern-Tor zu, hatte Pfaff schon ausgespielt und musste nur noch nach innen ziehen und das Leder im Kasten unterbringen. Doch dazu kam es nicht.

Pfaff ist geschlagen, Mill stolpert.

Pfaff ist geschlagen, Mill stolpert.

Frank Mill erinnert sich: "Auf einmal lag der Ball genau zwischen meinen Beinen. Ich konnte ihn nicht mehr richtig kontrollieren. Pfaff kam wieder herangestürmt. Ich musste abschließen. Und so kam dieser Kunststoß zustande. Statt den Ball zu versenken, schoss ich ihn tatsächlich an den kurzen Pfosten. Unfassbar. Es war die Lachnummer schlechthin." Und der Belgier? Der hatte Mitleid mit Frank Mill, wie er in Mills Biografie einmal erzählte: "Ich sah ihn vor Kameras und Journalistenblöcken stehen und hatte in dem Moment auch ein wenig Mitgefühl. Fußball ist manchmal hart. Es kann den Gegner treffen oder eben dich selber. Als Resultat - und das ist doch das Wichtigste - bleibt ein Stück deutsche Sportgeschichte. Großes Fußballentertainment, ein Moment für die Ewigkeit. Und nichts, was die Tatsache trübt, dass Frank eine wunderbare Karriere hinter sich hat."

"Langweilig und voller abgedroschener Späße"

Der Popularität von Jean-Marie Pfaff taten die ganzen kuriosen Momente, in denen er direkt und indirekt beteiligt war, natürlich keinen Abbruch. Im Gegenteil. Im Jahr 1987 spielte der Keeper des FC Bayern München im Kinofilm "Zärtliche Chaoten" an der Seite von Thomas Gottschalk, Helmut Fischer und Pierre Brice. Seine Rolle: Er sollte Koffer voller Dynamit und Teller, die aus dem Fenster fliegen, fangen. "Ein Gag, der sicherlich ankommt", konnte Christoph Gottschalk, der Bruder des Star-Moderators, seine Vorfreude nur schwer verbergen.

Pfaff wollte sich aber auch weiterhin voll auf den FC Bayern konzentrieren, denn "da verdiene ich mein Geld". Wahrscheinlich die richtige Entscheidung, wenn man die Kritiken zum Film heute so liest: "Schlampig inszenierte, mit talentlosen Darstellern besetzte 'Sommerkomödie', langweilig und voller abgedroschener Späße", urteilte das "Lexikon des internationalen Films". Bei seinem Abschied aus Belgien hatte es Pfaff auch schon als Sänger versucht. Mit der Schallplatte "Denk je vaak aan mij" wollte sich der Bayern-Keeper bei seinen belgischen Fans für immer im Gedächtnis festsetzen.

Das probierte er einige Jahre später dann auch in München. Mit dem Gassenhauer "Jetzt bin ich Bayer" erstürmte Pfaff die Herzen seiner rot-weißen Anhänger und die blau-weißen Festzelte. Textprobe des Smashhits gefällig? Bitteschön: "Ich war ein Belgier und jetzt bin ich ein Bayer. Ich trinke Bier und esse Leberkäs mit Eier. Und jeden Samstag steh ich froh in meinem Tor, und kein Stürmer macht dem Jean-Marie was vor."

Am Ende verliert Pfaff den Torwart-Krieg

In seiner letzten Saison reizten ihn die Leverkusener auf eine besondere Art und Weise, als sie zum Auswärtsspiel in München in blauen Trikots antraten - denn das war normalerweise die Standardfarbe des belgischen Torwarts. Schnell schickte er seine Frau nach Hause, um ihm das gelbe Jersey zu holen, denn Rot mochte Pfaff überhaupt nicht: "Als 13-Jähriger habe ich einmal ganz in Rot gespielt und fünf Tore kassiert. Seither habe ich nie mehr ein rotes Trikot getragen. Rot ist Blut. Rot ist Ampel. Rot ist ganz einfach Unglück." Eine interessante Argumentation, wenn man bedenkt, dass seine Mannschaft damals fast immer in Rot spielte.

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Kurz darauf herrschte dann beim FC Bayern Torwart-Krieg. Platzhirsch Jean-Marie Pfaff wehrte sich gegen den jungen Widersacher Raimond Aumann - und zwar mit allen Mitteln. Nachdem Aumann gesagt haben soll: "Wirst alt, Jean-Marie!", hatte der Belgier ihn angeblich geschlagen. Angeblich deshalb, weil Pfaff, angesprochen auf den Vorwurf, gut zu kontern wusste: "Wenn ich schon hinlange, dann landet der andere im Krankenhaus!" Am Ende unterlag der Belgier dennoch. Jean-Marie Pfaff musste bei den Bayern nach der Saison 1987/88 gehen. Doch er weigerte sich zuerst. Fand die Art und Weise des Abschieds nicht richtig: "Einen Welttorwart wie Jean-Marie kann man nicht von heute auf morgen abservieren. Innen ist alles zerstört. Ich bin ein gebrochener Mann." Auch seine Frau reagierte damals betrübt: "Der Pfaff hat seine Schuldigkeit getan. Jetzt kann er gehen."

Es war das unrühmliche Ende eines Keepers beim FC Bayern, den bis heute kein Fußballfan vergessen hat. Seine stete Suche und Sucht nach Popularität hat ihn zu einer der prägendsten Figuren der 80er-Jahre werden lassen. Heute feiert der Belgier seinen 70. Geburtstag. Alles Gute und Glück auf, lieber Jean-Marie Pfaff.

Quelle: ntv.de

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