Fußball-WM 2018

Kommt noch was bei der WM? Bundestrainer Löw sucht das Limit

Löw (r.) muss die letzten paar Prozent Leistung aus seinen Spielern herauskitzeln - DFB-Präsident Niersbach (l.) vertraut seinem Trainer.

Löw (r.) muss die letzten paar Prozent Leistung aus seinen Spielern herauskitzeln - DFB-Präsident Niersbach (l.) vertraut seinem Trainer.

(Foto: dpa)

Vor dem WM-Achtelfinale gegen Algerien spürt Deutschlands oberster Fußballlehrer eine "gewisse Grundzufriedenheit". Löw räumt aber ein, dass schon noch mehr drin ist bei Özil, Kroos, Götze und Kollegen. Schließlich geht’s um alles oder nichts.

Also sprach der Chef: "Wir haben geliefert." Wer will Joachim Löw da widersprechen? Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat mit zwei Siegen und einem Unentschieden gegen drei gute Gegner eine feine Vorrunde hingelegt, die Gruppe gewonnen und ihren Teil dazu beigetragen, dass diese Weltmeisterschaft in Brasilien ein unterhaltsames Turnier ist. Und das Beste kommt ja noch, es geht um alles oder nichts. Was das heißt, haben Brasilianer und Chilenen am Samstag in Belo Horizonte beim ersten Achtelfinale in höchstmöglicher Dramatik gezeigt. Auch starke Kolumbianer begeisterten in Rio de Janeiro gegen Uruguay die Massen im Maracanã.

Während sich also mit den Gastgebern und Kolumbien, die sich nun am Freitag in Fortaleza im Viertelfinale treffen, zwei südamerikanische Teams bereits zu den acht besten Mannschaften dieses Planeten zählen dürfen, wartet auf die DFB-Elf am Montag in Porto Alegre der Außenseiter aus Algerien. Ein Gegner, gegen den Löws Auswahl ebenfalls liefern will, um in der Diktion des Bundestrainers zu bleiben. Er hat aber auch gesagt: "Wir können besser spielen, wir sind noch nicht am Limit." Dem ersten Teil der Aussage ist zuzustimmen, besser geht's immer. Der zweite Teil ist interessanter, birgt er doch die große Frage, die das deutsche Team nun beantworten muss: Wo ist die Obergrenze ihrer Leistungsfähigkeit? Oder weniger gestelzt: Kommt da noch was? Jenseits der "gewissen Grundzufriedenheit", die Löw bei sich und seinen Spielern ausgemacht hat.

Wild, aber famos

Die Krux ist, dass sich Fragen dieser Art stets erst in der Rückschau beantworten lassen. Aber ein Blick zurück auf die drei Partien der Gruppe G kann bei der Suche nach einer Antwort helfen. Um es vorweg zu nehmen: Im schwülen Salvador, im heißen Fortaleza und im verregneten Recife hat die deutsche Mannschaft auf mannigfaltige Weise angedeutet, was in ihr steckt. Jetzt muss sie dieses Versprechen nur noch einlösen.

Sie hat gegen Portugal spielerische Klasse bewiesen und ohne zu zögern die Gunst der Stunde genutzt, dass der Schiedsrichter ihr einen Elfmeter zusprach und Portugals Pepe mit einer Roten Karte bestrafte. Das Remis gegen Ghana war wild, aber famos. Es hat gezeigt, wie viel Herz, Leidenschaft und Wille in der Mannschaft steckt, die erst führte, dann einen Rückstand ausglich und anschließend eine Niederlage riskierte, weil sie wider jede Vernunft bedingungslos auf Sieg spielte. Beim Gruppenfinale gegen die USA schließlich dominierte sie, ohne zu begeistern, widerstand aber der Versuchung, sich mit einem Remis zufrieden zu geben, das für den Gruppensieg gereicht hätte. Das klingt gut - und war es auch.

Nur: reicht das? Für Algerien mutmaßlich schon. Aber im Viertelfinale in Rio könnte es gegen ein größeres Kaliber gehen, gegen Frankreich vielleicht, im Halbfinale in Belo Horizonte dann gegen Brasilien oder Kolumbien. Das klingt jetzt wie eine Binse: Keine Mannschaft in der Geschichte des Fußballs ist schon in der Vorrunde Weltmeister geworden und selten hat ein Team schon in den Gruppenspielen titelreif aufgetrumpft. Aber um das Finale am 13. Juli in Rio zu erreichen, muss sich die DFB-Elf steigern. Denn nicht nur der Bundestrainer hat neben all dem Licht auch Schatten gesehen. Während Löw aber nur von "Verbesserungen im Detail" spricht, lassen sich durchaus grundsätzlichere Bedenken formulieren.

Ist das genug für den großen Coup?

Damit ist gar nicht das System gemeint, das Löw für Brasilien von 4-2-3-1 auf 4-3-3 umgestellt hatte. Auch nicht die Tatsache, dass in der Viererkette mit Jérôme Boateng, Per Mertesacker, Mats Hummels und Benedikt Höwedes vier Innenverteidiger stehen. Die Abwehr bei dieser WM ist die beste, die der Kader hergibt. Das Dreieck im zentralen Mittelfeld mit Philipp Lahm und Toni Kroos sowie den Teilzeitarbeitern Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger hat sich bewährt, ebenso die Angriffsreihe mit Mesut Özil, Thomas Müller und Mario Götze, zumal Teamsenior Miroslav Klose stets eine Verstärkung ist, wenn er von der Bank kommt. Und doch läuft nicht alles rund, weil Fußball nicht nur eine Frage des Systems ist, sondern immer noch davon abhängt, wie gut der Einzelne spielt.

Eine Mannschaft kann nur einen Titel gewinnen, wenn mehrere Spieler über sich hinauswachsen, und das möglichst gleichzeitig und in mehreren Partien hintereinander. Es geht um das persönliche Limit jedes Einzelnen.  Wenn Löw davon spricht, dass seine Mannschaft ihre Torchancen nicht konsequent nutzt und bemängelt, dass der letzte Pass zu oft nicht ankommt oder gar nicht erst gespielt wird - dann hat er völlig Recht. Es wird entscheidend sein, ob ein hochbegabter Fußballer wie Özil in diesem Turnier doch noch für einen magischen Moment sorgt, indem der seinen Kollegen die Bälle so serviert, dass sie treffen - oder gar selbst ein Tor schießt. Das gilt ebenso für Kroos und Götze, die bisher sehr gut und ordentlich gespielt haben und dennoch bisweilen den Eindruck vermitteln, als sei Ballbesitz allein ihnen genug. Kurzum: Da muss noch was kommen.

Schließlich birgt die K.-o.-Runde eine große Tücke: Wenn es einmal nicht klappt, ist es gleich vorbei. "Es beginnen die Tage und Spiele der Entscheidung", hat der Bundestrainer gesagt. Und versprochen: "Wir werden unsere Hausaufgaben machen." Seine Mannschaft brenne auf das Achtelfinale. "Konzentration und Anspannung sind das Gebot der Stunde." Wer mag da schon widersprechen?

Quelle: ntv.de

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