Joachim Löw über den WM-Kader "Den Weckruf haben Einige verstanden"
08.05.2014, 16:20 Uhr
Zuletzt musste Joachim Löw öfter mal laut werden an der Seitenlinie.
(Foto: imago sportfotodienst)
Joachim Löw hat einige unangenehme Telefonate hinter sich - mit Mario Gomez zum Beispiel, dem er die Absage für die WM überbringen musste. Im Interview verteidigt der Bundestrainer seine Entscheidung, spricht über die Sonderrolle von Sami Khedira - und verspricht den Neulingen eine faire Chance.
Herr Löw, was hat bei der Nominierung Ihres vorläufigen WM-Kaders den Ausschlag gegeben?
Joachim Löw: Form und Fitness waren ausschlaggebende Kriterien. Man braucht Erfahrung, Persönlichkeit und Führungsqualitäten im Kader, und man braucht auch junge und dynamische Spieler. Wir haben diese Entscheidung aus absoluter und voller Überzeugung getroffen. Hinter jedem dieser Namen steht ein klares Ja.
Mario Gomez ist der prominenteste Spieler, der fehlt. Wieso ist er nicht dabei?
Mario war fast sieben Monate verletzt. Deshalb bin ich der Meinung, dass er vielleicht nicht in der Lage ist, unter diesen Bedingungen in Brasilien körperlich zu bestehen. Aber Mario ist ein hervorragender Spieler, dessen Karriere in der Nationalmannschaft auf keinen Fall beendet ist. Einen fitten Mario Gomez kann jede Mannschaft gebrauchen.
Warum haben Sie Sami Khedira berufen, obwohl er auch gerade erst von einem Kreuzbandriss genesen ist?
Es gibt keine Regel ohne Ausnahme. Samis Persönlichkeit innerhalb der Mannschaft ist für uns unverzichtbar. Ich habe bisher ganz, ganz wenige Spieler gesehen, die so konsequent und zielstrebig in der Reha gearbeitet haben. Sami hat für dieses eine Ziel alles zurückgestellt und er wird es körperlich auf jeden Fall schaffen.
Warum fehlen auch Torhüter René Adler und Stürmer Max Kruse, die zuletzt fast immer dabei waren und fit sind?
Wir haben alle Entscheidungen für und nicht gegen irgendeinen Spieler gefällt. Im Tor haben wir mit Manuel Neuer eine klare Nummer eins. Roman Weidenfeller hat international auf sehr hohem Niveau gespielt, Ron-Robert Zieler hat eine sehr konstante Saison gespielt. Deshalb haben wir uns für diese drei entschieden. Im Sturm haben wir gesehen, dass Kevin Volland einen großen Schritt nach vorne gemacht hat.
Wie fielen die Reaktionen bei denen aus, denen Sie schlechte Kunde überbringen mussten?
Alle waren enttäuscht und brauchen mal ein bisschen Zeit, um zu realisieren, was ich ihnen gesagt habe. Das ist für mich nachvollziehbar, und es tut mir auch persönlich leid, weil ich weiß, wie groß der Wunsch ist, beim wahrscheinlich größten Sportereignis der Welt dabei zu sein. Selbst wenn man verletzt war wie Mario Gomez, hatte man die WM schon vor dem geistigen Auge präsent.
Welche Chancen haben die sechs Profis ohne jeden Länderspiel-Einsatz, in den endgültigen 23er-Kader zu kommen?
Sie werden gegen Polen die Chance bekommen, sich auf der internationalen Bühne zu zeigen und möglicherweise auf den WM-Zug aufzuspringen. Das wird das Spiel der jungen Gesichter, weil uns viele Stammkräfte fehlen werden. Wenn es nicht klappt, haben sie sicher eine Perspektive für 2016 oder 2018. Wir werden am Ende nochmal sieben Spieler nach Hause schicken müssen. Das wird zu individueller Enttäuschung führen. Aber alle 30 sollten stolz sein und wissen, dass sie zur Elite gehören.
Sie haben zuletzt immer wieder Sorgen geäußert, was Form und Fitness einiger Leistungsträger betrifft. Besteht diese Sorge immer noch?
Den Weckruf im März haben einige Spieler schon verstanden. Ich habe gespürt, dass sie vielleicht noch ein bisschen mehr investieren. Viele Spieler sind in einer besseren Form als im März. Die Situation hat sich deshalb ein bisschen zu unseren Gunsten verändert.
Aufgezeichnet von Holger Schmidt, sid
Quelle: ntv.de