Fußball-WM 2018

Geduldiger Geheimfavorit Der belgische Kreisel kommt spät in Schwung

Kevin Mirallas (rechts) und Torschütze Divock Origi brachten neuen Schwung in die Partie.

Kevin Mirallas (rechts) und Torschütze Divock Origi brachten neuen Schwung in die Partie.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Geheimfavorit Belgien tut sich auch im zweiten Gruppenspiel schwer, gewinnt aber gegen Russland einen Abnutzungskampf. Wie schon beim Auftaktsieg gegen Algerien kann Trainer Marc Wilmots auf einen breiten und fitten Kader vertrauen.

Der Verminator musste früh aufgeben. Geschunden verließ der auf den martialischen Spitznamen hörende belgische Abwehrbrocken Thomas Vermaelen den Platz. "Wir wurden leider einer Op tion beraubt", ärgerte sich nach dem 1:0-Sieg gegen Russland im Maracana sein Trainer Marc Wilmots. Der ist seit seiner aktiven Zeit immer Kampfschwein geblieben. Doch es war kein Vorwurf an den wackeren Vermaelen, der sich schon beim Aufwärmen das Knie verdreht hatte und dann nach gerade einmal zwei Minuten bei einem Kopfball nur den Hinterkopf von Alexander Samedov getroffen hatte. Wilmots bedauerte, dass er reagieren musste. Marc Wilmots mag das nicht.

Ein Schlüssel des belgischen Erfolgs sind der bemerkenswert ausgeglichen besetzte Kader und somit die Wechsel. Schon gegen Algerien drehten die Joker Dries Mertens und Marouane Fellaini mit ihren Toren die Partie und sorgten für die entscheidende Belebung des zuvor statischen belgischen Angriffsspiels. Nun brachten Kevin Mirallas und Divock Origi den Schwung. "Es ist kein Glück, dass wir die Spiele gewinnen, sondern hängt mit der Fitness und dem Kader zusammen", zeigte Wilmots mehr Feuer als seine Spieler in den ersten 80 Minuten.

Zuvor war auch die zweite Partie des Geheimfavoriten Belgien eine zähe Angelegenheit. Nach zwei Spielen wirkt es so, als braucht die Lunte der "Roten Teufel" etwas länger, um zu brennen. In einer lange ausgeglichenen Partie hatte Russland die besseren Torchancen. Alexander Kokorin vergab kurz vor der Pause einen freien Kopfball aus fünf Metern, Andrey Eshchenko in der Schlussphase den ersten vielversprechenden Angriff der zweiten Halbzeit. Doch gerade als das bis dahin milde und sich selbst bespaßende Publikum die Lust verlor, zündeten bei Belgien die Funken.

Müde Russen und "nur Geheimfavoriten"

"Die Russen waren müde, haben nur noch auf den Boden geschaut. Dann wollten wir es wissen", analysierte Wilmots, der die entscheidende Brennhilfe auf der eigenen Bank fand. Der eingewechselte Mirallas platzierte einen flachen Freistoß an den Pfosten und plötzlich versprühte auch der zuvor meist blasse Eden Hazard seinen Esprit. Nachdem zwei Versuche noch knapp geblockt wurden, dribbelte sich Belgiens Superstar einmal gekonnt in den Strafraum und bediente den erst 19-jährigen Origi. Der, ebenso eingewechselt, traf zum Sieg. "Wir waren physisch einfach besser", begründete Wilmots das späte Aufflackern.

Belgien hat die zweitjüngste Mannschaft des Turniers. Unerfahren, könnte sie sein. "Wir haben auch viel Druck gespürt", sagt Daniel van Buyten, der einzige Spieler, der älter als 30 Jahre ist. Im ersten Spiel seien sie verkrampft, "aber heute haben wir es viel besser, geduldiger, gemacht", lobte der Gruppenälteste. Vor allem der Titel Geheimfavorit lastet seit mittlerweile über einem Jahr auf den Belgiern: "Ich hab eh das Gefühl, es gibt hier nur Geheimfavoriten: Kolumbien, Chile, Uruguay", grinste Kapitän Vincent Kompany. Und vergaß Costa Rica.

Belgien, das bei dieser Weltmeisterschaft auch auf das von Deutschland praktizierte System mit vier gelernten Innenverteidigern setzt, hat noch reichlich Potenzial. Allen voran der enttäuschende Romelu Lukaku, der im Angriffszentrum bislang lediglich den Bremser im belgischen Kreisel gibt. "Man darf nicht vergessen, dass uns auch Christian Benteke fehlt. Ohne ihn wären wir nicht hier", erinnerte Wilmots.

Als Gruppenerster (noch) nicht gegen Deutschland

Und wenn Benteke dabei wäre, dann Origi nicht. Den habe er gezielt als Ersatz ausgewählt, erklärte der Nationaltrainer. Der Druck ist dank dem 19-jährigen Talent vom OSC Lille erst einmal weg. Belgien hat nun seine beiden Auftaktspiele gewonnen und steht bei seiner ersten Turnier-Teilnahme seit zwölf Jahren sofort wieder als Achtelfinalist fest. Im Grunde macht Marc Wilmots nun dort weiter, wo er damals als Kapitän aufhörte. Im Achtelfinale der WM 2002 hatte sich Wilmots kurz gewieft von seinem brasilianischen Gegenspieler Roque Junior entfernt und dann im Kopfballduell eine Halbfeldflanke zur nicht für möglich gehaltenen Führung ins Tor gewuchtet. Doch der Treffer zählte aus bis heute zweifelhaften Gründen nicht. Belgien schied aus - und brauchte offenbar zwölf Jahre, um sich von dem Schock zu erholen.

Nun sind die "Roten Teufel" zurück. Die Spieler schauen bereits über das abschließende Gruppenspiel gegen Südkorea hinaus. "Wir wollen Gruppenerster werden, gegen Deutschland wollen wir nicht unbedingt spielen", sagte van Buyten. Der starke Axel Witsel sah das ähnlich, schob dann aber geistesgegenwärtig nach: "Also nicht jetzt. Später im Turnier dann gerne." Das wäre erst am Finalwochenende möglich. Bis dahin wäre auch der Verminator wieder hergestellt.

Quelle: ntv.de

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