Der WM-Routenplaner bei n-tv.de Ex-Hool erdet Russland, England singt
07.07.2018, 06:17 Uhr
Russlands Trainer Tschertschessow durchlebt eine wundersame Wandlung.
(Foto: dpa)
Die Engländer konnten es nicht wissen, aber: Der nächste Elfmeter-Fluch wartet schon heute im Viertelfinale gegen Schweden. Die Russen schreiben ihre Version vom "Hässlichen Entlein" gegen Kroatien weiter.
Was liegt heute an?
Die offenen "Europa"-Meisterschaften in Russland suchen noch zwei Halbfinalisten. Gestern hat sich der Turnierbaum von seiner Schokoladenseite gezeigt - heute folgt eher die B-Seite. Aber hey, auch "I am the Walrus" war eine B-Seite, und gehört trotzdem ohne Diskussion in jede Beatles-Best-Of-Sammlung. Das Potential zum Klassiker haben beide Partien: In Samara nehmen es die schwedischen Bollwerker um 16 Uhr (ARD/n-tv.de-Liveticker) mit traumabefreiten Engländern auf. Ab 20 Uhr (ARD/n-tv.de-Liveticker) findet das wundersamste russische Märchen seit "Die Schneekönigin" seine Fortsetzung in Sotschi, wo der Gastgeber Kroatien empfängt.
Wenn Sie nur Zeit für ein Spiel haben, dann …
… schauen Sie sich an, was die Verwandlung von der Lachnummer in den Stolz der Nation mit der "Sbornaja" macht. Wohin man sieht im Kader der Russen, überall entdeckt man hässliche Entlein im Happy-End-Stadium: Der Notnagel Artem Dzyuba entwickelt sich zum zuverlässigen Torlieferanten, Torwart Igor Akinfejew wird nicht mehr für seinem Muslera-Moment gegen Südkorea 2014 verspottet, sondern für seine Heldentat im Elfmeterschießen gegen Spanien gefeiert (unter anderem trägt jetzt ein Steppenadler im Moskauer Zoo seinen Namen) – und der lange skeptisch beäugte Trainer Stanislaw Tschertschessow gilt plötzlich als Genie. Die Kollegen von der "Sowetski Sport" wählten einen interessanten Vergleich: Tschertschessow sei "wie ein Hooligan, den niemand besonders mag und der sich plötzlich in ein Mädchen aus einem benachbarten Hof verliebt und sich zum Besseren wendet". Das muss diese berühmte russische Herzlichkeit sein. Der Trainer wird es eh nicht gelesen haben, er meide Berichte über sein Team, sagte er, damit er nicht abhebe vor dem wichtigen Spiel gegen Kroatien. Ob es das wichtigste seiner Trainerkarriere sei? "Ich hoffe, es kommen noch wichtigere."
Was verursacht noch WM-Herzrasen?
IT’S BLOODY WELL COMING HOME! Seit Wochen schreibt der englische "Guardian" mit solchen Sprüchen den WM-Titel herbei, mit einem landestypischen Ironie-Anteil, der aber von Spieltag zu Spieltag sinkt. Natürlich vergessen die Kollegen den Hinweis nicht, dass England in diesem Turnier noch keine einzige wirklich überzeugende Leistung über 90 respektive 120 Minuten gegen einen ernstzunehmenden Gegner hingelegt hat. Aber wer will schon Euphorie- und Spaßbremse sein, wenn England gerade zum ersten Mal in seiner Geschichte ein WM-Elfmeterschießen überstanden hat? Wer würde da beispielsweise darauf hinweisen, dass die Engländer seit 240 WM-Minuten kein Tor mehr aus dem Spiel gemacht haben? Okay, wir halten ja schon die Klappe und singen lieber mit den Fans die sehr schöne Version von Atomic Kittens "Whole Again": "Southgate, you’re the one. You still turn me on. Football’s Coming Home Again."
Dieser Southgate warnt davor, die Schweden zu unterschätzen, zu viele hätten das zuletzt getan, sagte er: "Dabei sind sie brillant in dem, was sie machen." Tatsächlich stolzieren die Schweden wie faule Kellner durch das Turnier – sie kassieren einfach nicht. Drei von vier Spiele überstanden sie ohne Gegentreffer, nur in einem Match mussten sie gleich zwei hinnehmen, wir haben vergessen, gegen wen. Als Lehrmaterial für die Engländer bietet sich die humorlose Vorstellung im Achtelfinale gegen die Schweiz an – und das Interview mit Valon Behrami danach: "Sie zwingen dich, das Spiel zu machen. Aber du machst einfach kein Tor. Dann nimmst du irgendwann zu viel Risiko – und bist plötzlich in Unterzahl gegen ihre Konter.". Der Schweizer Trainer Vladimir Petkovic drückte es sehr anschaulich aus: "Sie haben unserem Spiel das Flüssige genommen. Sie haben es irgendwie verklebt."
Ras, dwa, tri - die Zahl des Tages: 10
Alle acht Halbfinalisten der Weltmeisterschaften 2010 und 2014 sowie die beiden, die in diesem Jahr schon feststehen, waren als Tabellenerste aus der Gruppenphase gekommen. Ein gutes Omen für Schweden und Kroatien. Der WM-Dritte von 1998 hat in seinem Achtelfinale mit einem eher vorsichtigen Ansatz gegen Dänemark nicht an die guten offensiven Leistungen der Gruppenphase anschließen können und nur dank Torhüter Danijel Subašić die nächste Runde erreicht. Der Elfmeterheld geht davon aus, dass die Russen anders als gegen Spanien die Initiative übernehmen: "Ich bin nicht ihr Trainer, aber sie spielen zuhause, also sollten sie uns angreifen." Shootingstar Ante "Rrrrrreeebbbiiiic Brrrrruudddaaaaa" geht das Duell gewohnt selbstbewusst an: "Wir haben die besseren Spieler, das sollten wir gleich auf dem Platz zeigen."
Angeberwissen für's Public Viewing
Sorry an alle "Three Lions" unter Ihnen, aber so schön es sein muss, endlich einmal ein Elfmeterschießen gewonnen zu haben, nach so vielen Years of Hurt: Der nächste Fluch wartet schon. Von den letzten zehn Teams, die in einer WM-K.o.-Runde vom Punkt weitergekommen sind (Kroatien und Russland ausgenommen), konnte nur ein einziges auch das nächste Spiel gewinnen. Und zwar Brasilien 2014, das sich im Achtelfinale 2014 gegen Chile im Elfmeterschießen durchsetzte, und im Viertelfinale Kolumbien aus dem Weg räumte.
Redelings WM-Zeitreise
Junge Menschen mag es überraschen, aber die deutsche Fußball-Nationalmannschaft war nicht immer ein glattpoliertes, aseptisches Marketingprodukt aus bräsig-erfolgsverwöhnten Social-Media-Stars. Erst vor acht Jahren verblüfften die "jungen Wilden" bei der WM in Südafrika die Fußballwelt mit ungeahntem Spielwitz. Die Lockerheit auf dem Platz entsprang auch der guten Stimmung im Umfeld, erzählt Ben Redelings in seiner WM-Zeitreise, die Sie ab heute vormittag auf n-tv.de lesen können – und sollten, allein schon um das traurige Bild aus dem Kopf zu bekommen, das Thomas Müller bei dieser WM abgegeben hat.
Der Spruch zum Spieltag
"Wir haben uns alle in Russland verliebt, wie ein Kind in einem Spielzeuggeschäft. Wir sind jetzt schon eine Zeitlang hier und haben ein Land entdeckt, das wir nicht kannten."
Liebe macht eben blind, Gianni Infantino …
Quelle: ntv.de