Fußball-WM 2018

Gaga-Fragen, Null-Antworten Mertesacker und das Spiel am Spielfeldrand

Per Mertesacker hat aus deutscher Sicht für den vorläufig größten Interviewcoup des Turniers gesorgt.

Per Mertesacker hat aus deutscher Sicht für den vorläufig größten Interviewcoup des Turniers gesorgt.

(Foto: imago/Moritz Müller)

Das Mertesacker-Interview bewegt das Land mehr als die Tatsache, dass die Deutschen im Viertelfinale sind. Der Spieler hat sich spontan von einem Zwangsritual emanzipiert, bei dem auch der Zuschauer meist nur noch peinlich berührt ist.

Muss sich ein hochbezahlter Profi-Fußballer nach einem schlechten Spiel doofe Journalistenfragen gefallen lassen? Hat Per Mertesacker es dem ZDF-Reporter Boris Büchler so richtig gezeigt? Seit Montagnacht bewegt das Fußballfans anscheinend mehr als die Tatsache, dass Deutschland im Viertelfinale der WM in Brasilien steht. Per Mertesacker hat gestern eine sagenhafte Welle der Zustimmung für seine jetzt schon als legendäres "Wutinterview" betitelten Statements am Spielfeldrand erfahren. Hinterher schrieb er lapidar bei Facebook: "Emotionen gehören dazu."

Es war nach dem 2:1-Sieg gegen Algerien im Achtelfinale, der Abwehrspieler war sichtbar fertig und der Spielfeldrandreporter versuchte, kritische Fragen zu stellen. Man könnte auch sagen: Er stellte miesepetrige Suggestivfragen, die als Antwort nur unterwürfige Zustimmung zuließen ("Dass man sich noch steigern muss, denke ich, dürfte auch Ihnen klar sein?"). Per Mertesacker hatte auf dieses Spiel nach dem Spiel keine Lust und pampte den Reporter an: "Ich verstehe die ganze Fragerei nicht."

Der Profi-Fußballer und der Reporter sind ein gegensätzliches Paar. Ersterer gilt vielen als ein bisschen dumm, weil er kicken kann, aber keinen Universitätsabschluss hat. Dabei verdient er aber mehr als mancher Banker. Das ist für den Fan so lange in Ordnung, wie der Fußballer Erfolg hat. Gerade bei einer Weltmeisterschaft ist sein Erfolg ja einer, der auf seine Landsleute überspringt. Die ganze Mannschaft wird zu Nationalhelden. Misserfolg oder auch nur schwacher Sieg dagegen spült die Ungerechtigkeit sofort wieder ins Bewusstsein des Fans: Wenn der schon Millionen verdient, soll er dafür auch ordentlich schwitzen - und eben auch kritische oder doofe Reporterfragen beantworten.

Das dünne TV-Gefasel ist sogar dem Zuschauer peinlich

Kommentatoren merken jetzt zwar zurecht an, dass Fußballreporter es nicht leicht haben: Zu kritisch fragen dürfen sie nicht, denn die Fußballer sind doch keine Politiker. Nur gefällig soll es aber auch nicht sein, sonst kommt dabei genau die schleimige Hofberichterstattung heraus, die wir leider an vielen WM-Tagen erleben. Manche sehen das Interview nun gar als Coup - aber nicht von Mertesacker, sondern von Büchler. Der habe es geschafft, aus dem Fußballer eine authentische Reaktion herauszukitzeln, ihn die Contenance vergessen lassen. Endlich der Ausbruch aus der Gattung des erwartbaren Interviews am Spielfeldrand, das irgendwie für alle Beteiligten - auch den Zuschauer - wegen des ganzen dünnen Gefasels peinlich ist!

Und genau das ist das Problem. Das Mertesacker-Interview ist ein solcher Erfolg - im Internet, in der Kaffeeküche - weil es einmal nicht so war wie sonst. Doch das ist nicht das Verdienst des Fragestellers. Die Spielerinterviews direkt nach dem Match sind Phrasenschlachten mit Gaga-Fragen wie: "Wie erleichtert sind Sie jetzt?" (Antwort: "Wir sind natürlich sehr erleichtert") und erwartbaren Nullaussagen der Spieler à la: "Wir schauen jetzt nur nach vorne". Dieses Ritual ist grauenhaft und alle Beteiligten wissen es.

Mertesacker hat in diesem Fall zurecht alle Sympathien auf seiner Seite. Er entspricht nicht dem Klischee des minderbemittelten Kickers, der nur auswendig gelernte Standardsätze vor der Kamera bringt. Er ist nicht der erste, der sich emanzipiert, aber einer von wenigen. Er hat das sicher nicht geplant, es kamen einfach große Erschöpfung mit besonders nervigen Fragen zusammen. Die Reporter aber kommen nicht so leicht davon. Sie können sich zwar von den Ritualen, die der Betrieb, der DFB und die Fifa vorgeben, nicht so leicht emanzipieren. Aber sie können sich ab und zu auch mal schlauere Fragen nach dem Spiel ausdenken. Bis dahin kann sich der Zuschauer über jeden Ausreißer vom Kaliber Mertesacker nur freuen.

Quelle: ntv.de

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