Fußball-WM 2018

Keine Operation am offenen Herzen Spanier hadern, del Bosque will wenig ändern

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(Foto: REUTERS)

Fünf Tage nach dem 1:5 gegen die Niederlande muss Spanien heute gegen Geheimfavorit Chile gewinnen, um im Turnier zu bleiben. Trainer Vicente del Bosque vertraut bis zum bitteren Ende auf sein System.

Die Erste Hilfe begann schon auf dem Platz. Langsam schritt Vicente del Bosque seine lange Ersatzbank ab, legte jedem Spieler kurz die Hand väterlich auf den Kopf. Die Beschwerden würden davon schon verschwinden. Mit 1:5 hatte der Weltmeister von 2010 sowie Europameister von 2008 und 2012 gegen die Niederlande verloren. In der zweiten Halbzeit waren die Schmerzen unerträglich. Doch del Bosque wäre nicht er selbst, würde er das nicht stoisch und stilvoll verarbeiten.

Nach Frankreich 2002 und Italien 2010 droht bereits zum dritten Mal bei den jüngsten vier WM-Endrunden, der Titelverteidiger in der Vorrunde zu scheitern. Frankreich fehlte zwei Spiele lang Zinedine Zidane. Italien musste fast komplett auf Andrea Pirlo verzichten. Spanien hat immer noch Xavi.

Und doch mehren sich die Stimmen, die glauben, das sei das Problem. Denn das spanische Herz krankt. Schon länger schlägt es deutlich langsamer. Gegen die Niederlande waren nun Funktionsstörungen in allen Körperteilen die Folge. Irgendwann in der zweiten Halbzeit war dem Mittelfeld um Xavi einfach die Kontrolle verloren gegangen. Der Teil der Mannschaft, der seit 2008 in nahezu identischer Besetzung die Turniere geprägt hat, flackerte nun irrlichternd.

Del Bosque will niemanden "brandmarken"

Trainer del Bosque sträubt sich noch, zu operieren. Der immer etwas verschmitzt dreinschauende 63-Jährige hält es für ungebührlich, am offenen System zu hantieren und legt lieber vorerst nur die Hand auf: "Ich fühle Zuneigung für alle meine Spieler, aber über persönliche Gefühle hinweg müssen wir Lösungen für das Team finden." Vor dem Spiel gegen Chile (heute ab 21 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) sprach del Bosque im Maracanã von Rio de Janeiro von kleinen Änderungen, die es geben werde: "Wir werden ein bisschen umstellen, nicht viel, aber ein bisschen." Er wolle niemanden seiner Spieler "brandmarken".

Trainer del Bosque übt sich im Handauflegen - ob es gegen Chile hilft?

Trainer del Bosque übt sich im Handauflegen - ob es gegen Chile hilft?

(Foto: REUTERS)

Die zeigten sich mit ein paar Tagen, an denen die Schmerzen abklingen konnten, wieder auffällig fokussiert. "Wir müssen gewinnen - oder gewinnen", ließ Cesc Fabregas nur zwei Optionen zu. In der Tat wäre die Seleccion schon bei einem Unentschieden gegen Geheimfavorit Chile praktisch ausgeschieden. Am letzten Spieltag dürfte es kaum klappen, sechs Tore aufzuholen, zumal dafür Chile auch zwingend gegen die Niederlande verlieren muss.

Allerdings wirkten auch die Südamerikaner bei ihrem mühsamen 3:1 gegen Australien seltsam unbalanciert. Fahrige Abschlüsse im Angriffsdrittel ist man von den Chilenen schon länger gewohnt. Gegen Australien zeigte die Auswahl von Trainer Jorge Sampaoli aber auch unbekannte Schwächen in der Defensivarbeit. Vor allem gegen die unorthodoxe australische Durchquerung des Mittelfelds mit langen Sprints über die Außenbahnen hatte Chile große Probleme.

Fehlende Alternativen

Aber auch, dass die Chilenen gegen hohe Bälle anfällig wirkten, wird den Spaniern aus dem Spiel heraus kaum nützen. Statt des fitten und erprobten Brechers Fernando Llorente nahm del Bosque sich mit Diego Costa einen Pflegefall mit nach Brasilien. Der Stürmer von Atletico Madrid laboriert noch immer an einer Verletzung, die er sich am Saisonende zuzog und wegen der er sowohl das Liga- als auch das Champions-League-Finale schon nach wenigen Minuten beenden musste.

Umso schwerer wiegt es, dass sich Vicente del Bosque selbst einiger Alternativen beraubt hat, weil er weiterhin auf seine liebsten Ziehsöhne setzt. Ausgerechnet den flinken Jesus Navas, der das spanische Spiel bei den großen Turnieren als Einwechselspieler stets beschleunigen konnte, ließ er angeschlagen zu Hause. Und den agileren Außenverteidiger Daniel Carvajal, immerhin Stammspieler bei Champions-League-Sieger Real Madrid, opferte er für den vielseitigeren Cesar Azpilicueta sowie den stabileren Juanfran.

"Es ist ein Spiel auf Leben und Tod"

Und die nächste Generation, die im Juniorenbereich noch mehr Titel sammelte als die Männer, verschmäht del Bosque noch. Javi Martinez, Koke oder David de Gea sitzen auf der Bank, Isco wurde nicht einmal nominiert. Und der legitime Herzschrittmacher Thiago Alcantara fehlt verletzt.

"Es ist ein Spiel auf Leben und Tod", sagte Cesc Fabregas passenderweise, der im Angriff ins Team rücken könnte. "Es gibt Momente im Leben, und das ist einer von ihnen, da muss man angreifen. Wir müssen mutig sein", gab er sich genesen und sprach sogleich "von vielen Toren", die man schießen müsse. Auch deshalb dürfte wohl mit Pedro die robuste Alternative für das offensive Mittelfeld zum Einsatz kommen, zumal Pedro tatsächlich der beste spanische Torschütze der letzten zwei Jahre im Nationalteam ist.

Am Ende zählt aber erst einmal nur, überhaupt zu gewinnen. Auch gegen die Stimmen, die das Ende des spanischen Stils beschreien. Die kennen die Spanier schon: 1:4 in einem Testspiel gegen Argentinien. 0:4 in einem Testspiel gegen Portugal, ja Portugal. 0:3 im Finale des Confederations Cups gegen Brasilien. "Wir waren vorher genauso wenig die Retter des Vaterlands, wie wir jetzt auf der Flagge herumtreten", sagte del Bosque dann auch als Antwort auf die Berichterstattung der spanischen Medien, allen voran der nach dem Debakel gegen die Niederlande ganz in Schwarz erschienenen "Marca". Auch wenn seine Geste gegen die Niederlande so aussah, für Kondolenzen sei es noch zu früh.

Quelle: ntv.de

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