Fußball-WM 2018

Fehlerhaftes DFB-Spektakel Vogelwilde Höllenhunde liefern ein Drama

Auf Augenhöhe: Thomas Müller (l) und Harrison Afful im Disput.

Auf Augenhöhe: Thomas Müller (l) und Harrison Afful im Disput.

(Foto: REUTERS)

Eine Halbzeit warten sie in der Hitze von Fortaleza ab, dann bieten Deutschlands Fußballer bei der WM gegen Ghana den Zuschauern ein packendes Spiel. Bundestrainer Joachim Löw räumt allerdings ein, dass das so nicht geplant war.

Tja, so richtig konnte oder wollte Joachim Löw sich nicht entscheiden. Wie er das Spiel mit all seinen Fehlern und vogelwilden Szenen denn nun erlebt habe, fragte ein englischer Kollege. "Was it fun? Or hell?" War es ein Vergnügen? Oder die Hölle? Der Bundestrainer wählte eine Einerseits-andererseits-Antwort. "Irgendwie beides."

Zumindest ist für die deutsche Nationalmannschaft das Achtelfinale bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien weiter in Sicht. Nach dem gerechten und packenden 2:2 (0:0) gegen Ghana vor 59.621 Zuschauern im Estádio Governador Plácido Castelo zu Fortaleza am Samstag reicht ihr im letzten Gruppenspiel gegen die USA am Donnerstag ab 18 Uhr in Recife ein Unentschieden für den Einzug in die K.o.-Runde. Mit einem Sieg würde sie das sogar als Gruppenerster tun. Bis dahin darf der Bundestrainer darüber nachdenken, ob er mehr Gutes oder Schlechtes von seiner Mannschaft gesehen hat, die sich nach einer geruhsamen ersten Halbzeit auf einen spektakulären Schlagabtausch mit disziplinierten und willensstarken Ghanaern einließ.

"Das war nicht unbedingt so geplant", drückte es Löw nach der Partie sehr diplomatisch aus. Denn vorher hatte er explizit genau davor gewarnt. Aber: "Das hat sich irgendwie so entwickelt." Vielleicht, weil seine Elf, die zum Anpfiff exakt der glich, die Portugal zum Auftakt mit 4:0 geschlagen hatte, doch etwas überrascht war, dass Ghana so stark war. "Beide Mannschaften haben bedingungslos auf Sieg gespielt", hatte auch der Bundestrainer erkannt, der zumindest zwei positive Erkenntnisse mitnehmen kann: Sein Team hat sich nach dem Rückstand trotz tropischer Hitze eindrucksvoll zurückmeldet. Und: "Für die Zuschauer war es sicherlich schön - Dramatik und Spannung pur". Löws Höllenhunde in der Einzelkritik:

Deutschland - Ghana 2:2 (0:0)

Tore: 1:0 Götze (51.), 1:1 André Ayew (54.), 1:2 Gyan (63.), 2:2 Klose (71.)
Deutschland: Neuer - Jérôme Boateng (46. Mustafi), Hummels, Mertesacker, Höwedes - Lahm, Khedira (69. Schweinsteiger) - Özil, Kroos, Götze (69. Klose) – Müller
Ghana: Dauda - Afful, Mensah, Boye, Asamoah - Rabiu (78. Badu), Muntari - Atsu (72. Wakasu), Kevin-Prince Boateng (53. Jordan Ayew), André Ayew – Gyan
Schiedsrichter: Sandro Ricci (Brasilien) - Zuschauer: 59.621

Manuel Neuer: Fortaleza, 29 Grad - die Schulter hält. Sonst hätte der 28 Jahre alte Torhüter des FC Bayern in seinem 47. Länderspiel nach sieben Minuten nicht seine Fäuste einem harten Schuss von Christian Atsu und später in einen hammerharten Schuss von Sulley Muntari entgegenstrecken können. Unter der Woche hatte er in Interviews erklärt, wie das so war mit seiner Schulterverletzung im Finale des DFB-Pokals: Ein Balljunge trage die Schuld. Neuer musste nach einem Ausflug aus seinem Tor flugs wieder zurück, weil der Junge den Ball nach seinem Geschmack zu schnell den Dortmundern zugeworfen hatte. "Der Rasen war nass, ich hatte ein bisschen Pech, aber der Balljunge hatte auch seinen Anteil. Ich habe ihn danach auch kurz zur Rede gestellt", sagte er In Fortaleza wagte es niemand, sich mit Neuer anzulegen. Erst recht nicht, nachdem er kurz vor der Pause nach einer Ecke am Ball vorbeisegelte. Bei den Treffern war er machtlos. "Die zwei Gegentore waren geschenkt. Das darf bei einer WM nicht passieren." Ihn halten zu sehen, dürfte dem Bundestrainer ein Vergnügen gewesen sein.

Jeróme Boateng: Er darf sich damit trösten, dass das Duell mit seinem Halbbruder Kevin-Prince unentschieden ausging, obwohl es nur 45 Minuten dauerte und er verletzt ausgewechselt werden musste. "Er hat einen Schlag auf die Hüfte bekommen, dann hat der Muskel zugemacht nach einem Sprint", berichtete Löw. Muss höllisch wehgetan haben. "Länger hätte er nicht spielen können, ich hoffe, dass der Muskel nicht stark beschädigt ist." Bis dahin hatte der 25 Jahre alte Boateng seine Sache im 41. Länderspiel gut gemacht und souverän die rechte Abwehrseite abgesichert, was allerdings nicht ganz so schwer fiel, weil die Ghanaer lieber über die linke deutsche Seite angriffen.

Nach der Pause kam der 22 Jahre alte Shkodran Mustafi von Sampdoria Genua zu seinem dritten Länderspiel und zum zweiten Einsatz bei dieser WM. War nicht so dolle. Nach 54. Minuten hätte er André Ayew im Kopfballduell ruhig etwas energischer dabei stören können, das 1:1 zu erzielen. Einerseits. Andererseits hätte der Kollege Höwedes sich ruhig etwas energischer dafür einsetzen können, dass die Flanke gar nicht erst in den Strafraum gelangt - eher Hölle als Vergnügen.

Per Mertesacker: Der 29 Jahre alte Jubilar vom FC Arsenal musste in seiner 100. Partie für die DFB-Elf erkennen, dass Laufduelle gegen fixe Gegner wie zum Beispiel Asamoah Gyan nicht seine Paradedisziplin sind. Der entwischte ihm nämlich nach einer guten Stunde und erzielte das 2:1 für Ghana. Ansonsten aber gefiel der Ressortleiter Innenverteidigung als Mann fürs Grobe. Will heißen: Wenn’s brennt, drischt er einen Ball auch einfach Mal weg und wählt ansonsten meist den Weg der größten Sicherheit. Ansonsten gewohnt unauffällig, kopfballstark und sicher in der Defensive. Aber dafür ist ein Abwehrorganisator ja auch da.

Mats Hummels: Stand nach seiner Oberschenkelverletzung aus der  Auftaktpartie gegen Portugal in der Startelf, was ihm einen äußerst freundlichen Empfang der zahlreichen deutschen Fans bescherte. Mit so viel Vorschuss ausgestattet war der 25 Jahre alte Dortmunder in seinem 32. Länderspiel der bessere der beiden deutschen Innenverteidiger, flinker, stark im Zweikampf und vor allen engagierter und erfolgreicher wenn es darum ging, das Spiel seiner Mannschaft aufzubauen. Zudem musste er mitunter Benedikt Höwedes auf der linken Seite helfen. Nicht helfen konnte er seinem Kompagnon Mertesacker, als er vor dem 1:2 ins Leere grätschte. War sich hinterher aber nicht zu schade, vom "erwartet schweren Spiel" zu sprechen. Analysierte dann treffend: "Angesichts der vielen Fehler müssen wir mit dem Unentschieden zufrieden sein. Gegen die USA müssen wir die Ballverluste minimieren. Das darf man sich nicht erlauben."

Ein hartes Stück Arbeit: Thomas Müller vom Spiel und einem Zusammenstoß gezeichnet.

Ein hartes Stück Arbeit: Thomas Müller vom Spiel und einem Zusammenstoß gezeichnet.

(Foto: REUTERS)

Benedikt Höwedes: Das Problem des 26 Jahre alten Schalkers in seinem 23. Länderspiel war, dass er auf der linken Abwehrseite mit Christian Atsu, wuselig und schnell, einen der stärkeren Ghanaer als Gegenspieler hatte. Für Höwedes spricht, dass er sich ordentlich anstrengte, den Kampf annahm und nicht aufgab. Beim 1:2 hätte er die Flanke auf Gyan verhindern müssen. Gegen Portugal schien noch alles prima. Jetzt aber drängt sich dem Beobachter die Frage auf, wie das Spiel der deutschen Mannschaft laufen würde, träte sie mit zwei richtigen Außenverteidigern an, die sich zumindest ab und an gewinnbringend ins Offensivspiel einschalten - und nicht mit vier Innenverteidiger in einer Reihe. Immerhin hielt Höwedes nach dem Eckball von Toni Kroos den Kopf hin und legte so Klose den Ball zum nicht ganz unwichtigen Treffer zum 2:2 vor.

Sami Khedira: Der Bundestrainer räumte ein: "Es ist klar, dass Sami bei diesem Spiel, bei diesem Tempo und bei diesem Temperaturen ein bisschen an seine Grenzen gestoßen ist." Vielleicht wäre es eine himmlische Eingebung gewesen, den 27 Jahre alten Mittelfeldspieler schon zur Pause auszuwechseln. So aber dauerte sein 48. Länderspiel knapp 70 Minuten - und damit etwas zu lang. Sieben Monate nach seinem Kreuzbandriss scheute Khedira keinen Zweikampf und versuchte gewohnt energisch, das Spiel nach vorne zu treiben. Allein: Es gelang ihm zu selten, seine Vorstöße blieben weitgehend wirkungslos, seine Pässe landeten häufig beim Gegner. "Taktisch haben wir nicht das abgerufen, was wir spielen wollten. Insgesamt war das zu wenig. Aber wir haben noch immer alles in der Hand."

Als dann Bastian Schweinsteiger für ihn in die Partie kam, zeigte der 29 Jahre alte Münchner in seinem 103. Länderspiel, dass er sich fest vorgenommen hat, zum Gelingen der deutschen Mission bei dieser Weltmeisterschaft noch Einiges beizutragen. Mit ihm lief es besser, flugs fand er sich in der Chefrolle zurecht, nahm die Sache in die Hand, lief viel, verteilte die Bälle - und holte die Ecke heraus, nach der Miroslav Klose den Ausgleich erzielte.

Philipp Lahm: Oh Käpt'n, mein Käpt'n. Sehr viele Kenner des deutschen und internationalen Fußballs halten es ja für eine ausgezeichnete Idee, dass der 30 Jahre alte Anführer der DFB-Elf als Sechser im defensiven Mittelfeld die Fäden zieht, zumal er das auch beim FC Bayern sehr erfolgreich macht. In seinem 108. Länderspiel gelang ihm das aber nur bedingt. Ebenso selten wie eklatant sein Fehlpass vor dem 1:2, das er auf seine Kapitänsmütze nehmen muss. Dieser Fehler war allerdings eine Ausnahme, ansonsten räumte er gewohnt emsig vor der Abwehr ab, was es abzuräumen gab. Wirkte aber nicht so souverän und auch nicht so präsent im Spielaufbau, wie er es ist, wenn er einen besseren Tag erwischt. "Es waren anstrengende 90 Minuten", konstatierte er hinterher. "Wir waren nicht so aggressiv von Anfang an. Dann bekommt man gegen solche Mannschaften Probleme. Insgesamt können wir nicht zufrieden sein." Oh Käpt'n, mein Käpt'n.

Der alte Mann reißt das Ruder rum: Miroslav Klose erzielt sein Tor.

Der alte Mann reißt das Ruder rum: Miroslav Klose erzielt sein Tor.

(Foto: picture alliance / dpa)

Toni Kroos:  Knüpfte zu Beginn seines  46. Länderspiels an die tadellose Leistung in der Partie gegen Portugal an, ballsicher wie stets lenkte der 24 Jahre alte Münchner mit seinen öffnenden Pässen das Spiel seiner Mannschaft. Er war wieder das Zentrum des deutschen Spiels. Kritiker bemängeln dennoch, er sei in wichtigen Phasen dann doch nicht so präsent, wie er es sein könnte. Auf die Phase nach dem 1:1 der Ghanaer trifft das durchaus zu. Dann aber führte sein Eckball zum wichtigen Ausgleich. Muss sich um seinen Stammplatz bei diesem Turnier keine Sorgen machen, als Ankurbler im Mittelfeld kann der Bundestrainer auf ihn nicht verzichten. Auch wenn er mit seinen Distanzschüssen an diesem heißen Nachmittag nicht viel Glück hatte.

Mesut Özil: War der Spieler auf dem Rasen, der den Eindruck machte, am meisten von allen unter der höllischen Hitze zu leiden. Der 25 Jahre alte Mittelfeldspieler vom FC Arsenal tauchte zwar in der Phase, in der die DFB-Elf das Spiel zu verlieren drohte, in seinem 57. Länderspiel ebenso ab wie der Kollege Kroos, leitete ansonsten aber mit schönen Pässen und gute Flanken viele Chancen seiner Mannschaft ein. Und niemand kann ihm vorwerfen, er habe sich nicht angestrengt. Özil lief viel und kämpfte sichtbar gegen seinen inneren Schweinehund an. Vielleicht kommt sein Schlüsselmoment bei dieser WM ja noch. Die Gelegenheit dazu wird Löw ihm bieten.

Thomas Müller: Der Drei-Tore-Müller aus dem ersten Spiel traf dieses Mal zwar nicht, weil die Ghanaer ihm viel weniger Platz ließen und ihm das Leben deutlich schwerer machten. Seine effektivste Aktion hatte er vor der Kopf-Nase-Knie-Performance des Kollegen Götze, als der den Ball wunderbar auf seinen Mitspieler vom FC Bayern flankte - obwohl Müller ja eigentlich derjenige war, der vornehmlich in der Angriffsmitte agierte. Sechs Minuten vor dem Ende der Partie wäre dem 24 Jahre alten Münchner in seinem 51. Länderspiel fast noch der Siegtreffer gelungen. Prallte in der letzten Aktion des Spiels mit Ghanas Verteidiger John Boye zusammen, blieb am Kopf blutend liegen und sorgte dafür, dass es nach dem Abpfiff in Stadion merkwürdig still war. Doch dann stand Müller wieder auf und verabschiedete sich von den Fans. Der Bundestrainer sagte: "Er hat einen Cut oberhalb der Augenbrauen. Ich glaube, es ist nicht ganz so schlimm."

Mario Götze: Die, wir zitieren die ARD, "schwindeligen Fifa-Flöten" ehrten den 22 Jahre alten Münchner nach seinem 31. Länderspiel und seinem zehnten Tore für die DFB-Elf als besten Spieler der Partie. Völlig unberechtigt war das nicht, hatte er das 1:0 nach 51. Minuten doch mit einer interessanten Kopf-Nase-Knie-Kombination erzielt. "Etwas glücklich", wie er sagte. Was ihn aber nicht daran hinderte, die Führung seiner Mannschaft in theatralischer Heldenpose zu feiern. Ansonsten trieb der quirlige Mittelfeldspieler auf dem rechen Flügel ein munteres Spielchen, auch wenn ihm vor der Pause ein wenig die finale Konsequenz abging, den Mitstreitern den Ball zum Torschuss vorzulegen.

Für den Torschützen kam nach 69. Minuten Miroslav Klose - und schoss zwei Minuten später in seinem 133. Länderspiel das Tor zum 2:2. Der Rest ist Geschichte. Der 36 Jahre alte Angreifer von Lazio Rom hat nun 15 Treffer bei Weltmeisterschaften erzielt, so viele wie vor ihm nur der Brasilianer Ronaldo; der "richtige Ronaldo" wie der am Samstag nicht eingesetzte Lukas Podolski gerne sagt. Klose feierte seinem Rekordtor mit einem Salto - und musste hinterher zugeben: "Ich weiß gar nicht, wie lange ich den nicht mehr gemacht habe. Gelungen ist er nicht." Sei’s drum, sein Trainer war nach Kloses insgesamt 70. Tor für die deutsche Nationalelf sehr vergnügt: "Er ist gekommen und hat der Mannschaft einen Schub gegeben. Für mich als Trainer ist es natürlich super, solche Spieler auf der Bank zu haben."

Quelle: ntv.de

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