Die schönen Spiele (5) Public Viewing oder privat?
24.06.2010, 18:30 Uhr
(Foto: dpa)
So, Jungs, das war ein spannendes Spiel, es hätte gern ruhig ein wenig eindeutiger ausfallen können, das Ergebnis, und gern hätte das erste Tor auch schon in der ersten Halbzeit kommen können. Aber am Sonntag wird ja alles anders.
Der Ausnahmezustand in Berlin (und wahrscheinlich auch in anderen deutschen Städten) ist, mit Verlaub, einfach geil: Ab Nachmittags flirrt eine nervöse Stimmung in den Straßen, die zunächst unerklärlich wirkt - irgendwie ist es leiser und doch voller Spannung - die sich dann gegen Abend in einer befreienden Lautstärke Ausdruck verschafft, die auch eindeutig klärt, was los ist: Die Menschen sind nervös.
Sie gehen einkaufen, fast sieht es in den Lebensmittelläden aus wie kurz vor irgendwelchen Feiertagen, sie beeilen sich, denn sie wollen nichts versäumen, sie haben Angst vor einem Stau. Einige wissen nicht, wohin sie zuerst sollen: In die Pizzeria an der Ecke? In den Szeneladen? An einen großen öffentlichen Public-Viewing-Ort? Zu Freunden, zu Hause bleiben? Die Möglichkeiten sind so vielfältig, dass die Entscheidung schwer fällt.
Die Spielerfrau weiß, wo sie hin muss: In die Pianofabrik, die nur noch aus Dekorgründen diesen Namen trägt und die einzig und allein dafür bestimmt zu sein scheint, heute mal so richtig in die Tasten zu hauen. Dort umgibt die Spielerfrau ein Flair aller bereits beschriebenen Möglichkeiten: Es ist heimelig, familiär, Freunde, Kinder, Vuvuzelas, volle Hütte, alles ist da. Hüpfburgen und Frozen-Yoghurt-Stände, Bier und riesige Leinwände, die schon eine Stunde vor Anpfiff belagert werden. Man ist vorbereitet.
Wir auch, das Spiel beginnt, die erste Halbzeit: Nervtötend. Schweinsteiger, am Nachmittag noch siegessicher, war zwar dabei, doch nun müssen wir um ihn bangen für den Sonntag (aber wenigstens war der Oberschenkel vom Schweini mal so richtig schön lange und in Ruhe zu betrachten). Außerdem vertrauen wir unserem Dr. Müller-Wohlfahrt, der wird's schon richten!
Der Özil hat getroffen (ein Türke aus Bremen für Deutschland, das ist vor allem in Berlin-Mitte super angekommen, und: Er heiratet Sarah Connors Schwester, die gerade für ihn zum Islam konvertiert ist, muss Liebe schön sein).
Everybody but England
Die Boateng-Brothers haben sich auf dem Platz nicht zerfleischt, der Ghanaer Gerald Asamoah, momentan bei St. Pauli angestellt, hatte mitten in Afrika noch vor dem Spiel verkündet, sein Herz schlage für "Schland" - all das bedeutet doch, dass wir endlich in Multi-Kulti-Deutschland sind, oder? Nur bei den Engländern ist das noch nicht angekommen, die machen weiter ihre dämlichen Nazi-Witze, weil "wir" in schwarzen Hemden gespielt haben. Immerhin nicht braun, oder? Und außerdem: Weiße Jungs in schwarzem Hemd und schwarze Jungs in weißem Hemd sieht einfach super aus. Ausgewogen. Elegant. Engländer dagegen können ja oft tragen was sie wollen - sie machen in den wenigsten Klamotten eine gute Figur. Außer HRM, der Queen, die ist immer putzig. So, das musste mal gesagt werden.
Und Arne Friedrich, der wunderbare Arne Friedrich, hat was von Ballack, wenn er selbstkritisch und ein wenig zerknautscht fordert, dass da am Sonntag gegen England mehr bei rüberkommen muss! Das ist wichtig, denn dass wir weiter sind ist schon auch ein bisschen Glück, sorry, Jungs, da geht noch was!
Egal, auf dem Heimweg ist alles vergessen, nur der Sieg zählt. Aber: Nicht immer ist der Weg das Ziel, denn unser Heimweg führt, inklusive Mini-Fußballfans, über den Ku'Damm, der geübte Berliner sollte das eigentlich wissen. Der übermüdete Berliner vergisst das aber auch mal und kommt mitten rein ins Gedränge. Der coole Berliner ärgert sich darüber natürlich nicht, sondern hält das Kind aus dem Fenster, die Fahne, die Vuvuzela und das iPhone und macht mit. Toll! Lauter irre Menschen, die aus ihren Autos raushängen, auf den Dächern stehen und Fahnen schwenken.
Berlin - du kannst so hässlich sein! Aber auch so schön!
Quelle: ntv.de