Kindesvergewaltiger bei Olympia Der Fall Steven van de Velde ist komplizierter, als es scheint

Bei seinem ersten Auftritt in Paris gab es Pfiffe für Beachvolleyballer Steven van de Velde.

Bei seinem ersten Auftritt in Paris gab es Pfiffe für Beachvolleyballer Steven van de Velde.

(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)

Vor zehn Jahren hat der niederländische Beachvolleyballer Steven van de Velde im Alter von 19 Jahren Sex mit einer Zwölfjährigen. Nun tritt der verurteilte Vergewaltiger bei den Olympischen Spielen an und wird ausgepfiffen. Sein Team schottet ihn ab, er selbst schweigt.

Am Mittwoch um 16 Uhr tritt Steven van de Velde das nächste Mal bei den Olympischen Spielen an. Mit seinem Partner Matthew Immers trifft er im zweiten Spiel der Beachvolleyball-Vorrunde auf die beiden Chilenen Marco und Esteban Grimalt. Und wieder wird die olympische Welt genau hinschauen und hinhören. Sportlich hat das Duell hierzulande und auch anderswo kaum Relevanz. Aber um das Sportliche geht es nicht, wenn van de Velde den olympischen Sand betritt. Der Niederländer ist ein in England verurteilter Kindesvergewaltiger. Vor zehn Jahren hatte er Sex mit einer damals Zwölfjährigen. Das macht ihn in den Augen vieler zur Persona non grata.

Als der 29-Jährige am Sonntag zum ersten Mal vor dem großen Publikum auf der spektakulären Anlage im Schatten des Eiffelturms auftrat, kassierte er bei seiner Vorstellung Pfiffe und Buhrufe. Während des Spiels gab es vereinzelt Störaktionen, um den Niederländer aus der Konzentration zu bringen. Die Olympischen Spiele haben einen Fall, der nur schwer auszuhalten ist. Sex mit Kindern ist, das ist für viele Menschen das Schlimmste, das Widerwärtigste, was sie sich vorstellen können. Nun steht einer vor ihnen, der genau das getan hat, bei einem Fest der Menschlichkeit. Auch das sollen die Olympische Spiele ja immer sein, ein "we are one".

Van de Velde und Immers verloren das Auftaktspiel gegen das italienische Duo Alex Ranghieri/Adrian Carambula. Der 29-Jährige packte danach seine Sachen und verschwand. Was er über die Pfiffe und Rufe gegen sich dachte, darüber weiß man nichts. Obwohl vorgesehen ist, dass die Sportler nach dem Spiel mit den Journalisten in der Mixed Zone reden, kam der Niederländer nicht. Der Sprecher des Teams, John van Vliet, erklärt, das Vorgehen sei mit dem Sportler abgesprochen. Sein Partner sagt, van de Velde müsse "sich ausruhen". So wird Immers mit Fragen konfrontiert. Das behagt ihm nicht. Es nervt ihn, dass der Fall jetzt so viel Aufmerksamkeit bekommt.

"Wir schützen einen verurteilten Vergewaltiger eines Kindes ..."

Die Fragerunde wird emotionaler. Darüber berichten mehrere Medien. Ein britischer Journalist raunt: "Sie war zwölf!" Eine andere Kollegin fragt: "Sie ergreifen also Maßnahmen, um einen verurteilten Kindervergewaltiger zu schützen?"

Die Antwort von Sprecher van Vliet ist ebenso deutlich wie schmerzhaft: "Wir schützen einen verurteilten Vergewaltiger eines Kindes, damit er seinen Sport so gut wie möglich ausüben kann und für ein Turnier, für das er sich qualifiziert hat." Es sind Sätze, die kalt wirken, ohne Reue. Aber der Fall ist kompliziert.

Van de Velde, damals 19 Jahre alt, lernt das Mädchen über Facebook kennen. Sie gibt sich, so berichten es mehrere Medien, als 16-Jährige aus. Beide bauen ein Vertrauensverhältnis auf. Der junge Leistungssportler sehnt sich nach einem normalen Teenagerleben, sie versteht ihn. Erst später gibt sie ihr tatsächliches Alter zu. Van de Velde bricht den Kontakt ab, nimmt ihn aber schnell wieder auf. Besucht sie in ihrer englischen Heimat. Als sie allein sind, haben sie an zwei Tagen dreimal Sex, sie sollen auch Alkohol getrunken haben. Van de Velde betont, es sei einvernehmlich passiert. Beim "Guardian" heißt es, das Mädchen habe ihm gesagt, dass er ihr wehtue. Es war ihr erstes Mal. Van de Velde rät ihr zur Pille danach. Die Mitarbeiter der medizinischen Einrichtung werden, so heißt es, wegen des jungen Alters skeptisch. Der Fall wird bekannt, landet bei Mutter und Polizei.

Sex mit Kindern unter 13 Jahren gilt in Großbritannien juristisch als Vergewaltigung, egal ob Zwang ausgeübt wurde oder nicht. Das deckt sich mutmaßlich mit dem Moralverständnis der meisten Menschen. Kinder unter 13 sind demnach nicht in der Lage, frei über Sex zu entscheiden. Van de Velde wird per internationalem Haftbefehl nach England ausgeliefert und dort zu vier Jahren Haft verurteilt. Nach einem Jahr wird er an seine Heimat ausgeliefert und kommt einen Monat später frei. In den Niederlanden sind die Gesetze liberaler. Sein Vergehen wird "nur" als Unzucht gewertet, ein minderschweres Vergehen. Das Urteil als Kindesvergewaltiger hängt ihm aber weiter an.

IOC nicht "glücklich und zufrieden"

Van de Velde hat sich bereits vor längerer Zeit dazu geäußert, er sprach vom "größten Fehler seines Lebens", davon, dass er das Geschehene nicht rückgängig machen könne und mit den Konsequenzen leben müsse. In Paris sind das Pfiffe und Buhrufe. In den sozialen Medien ist es Hass, den bekommt auch seine Frau zu spüren, mit der er mittlerweile ein Kind hat. Und es gibt eine Petition, den Sportler von den Wettbewerben auszuschließen. Fast 100.000 Menschen haben sich dem Aufruf angeschlossen.

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Das IOC hat seiner Teilnahme erst nach längerer Debatte mit dem niederländischen Olympischen Komitee zugestimmt. Das IOC in der Frage als "glücklich und zufrieden" zu bezeichnen, wäre nicht richtig, sagte Sprecher Mark Adams zuletzt. Das NOK der Niederlande habe die Nominierung ausführlich begründet. "Wir denken, dass diese Aussage korrekt ist. Wir nehmen die Situation jetzt so, wie sie ist", so Adams. Er verwies darauf, dass der Vorfall zehn Jahre zurückliege und van de Velde das Recht auf Rehabilitierung habe. Zudem gebe es bei Olympia starke Schutzmaßnahmen. Van de Velde hatte sich entschieden, nicht im olympischen Dorf zu wohnen. Der niederländische Verband unterstützt den Sportler bei seiner Rehabilitation. "Wir verlassen uns auf die Einschätzung von Experten, dass die Rückfall-Wahrscheinlichkeit quasi nicht vorhanden ist", so die Erklärung.

Der Fall überschattet die sportlichen Auftritte mit Partner Immers enorm. Dieser zeigte sich enttäuscht über die große, negative Aufmerksamkeit. "Ich kenne den Typen seit drei, vier Jahren, wir haben jedes Turnier zusammen gespielt. Und erst jetzt gibt es darüber diese große Diskussion", klagte der Sportler. Er würde sich wünschen, die Vergangenheit abzuhaken - das ist wohl ein unrealistischer Wunsch. "Ich bin immer noch in den sozialen Medien, ich bin ja auch noch jung", erzählte Immers. "Aber ich versuche schon, ein paar Sachen auszublenden und einige Kommentare nicht zu lesen." Pressesprecher John van Vliet betonte, dass zuvor bei "mindestens 100 Turnieren" das Thema nicht angesprochen worden sei. Ob van de Velde im Falle eines Olympiasieges Interviews geben werde, liege an ihm.

Quelle: ntv.de, mit dpa/sid

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