Anderes Olympia-Fieber in Tokio Die imaginären Spiele

Bei den Straßenradrennen sind Zuschauer zugelassen. Zumindest ein Hauch Olympia.

Bei den Straßenradrennen sind Zuschauer zugelassen. Zumindest ein Hauch Olympia.

(Foto: dpa)

Statt euphorischer Fans gibt es Leere. Statt uneingeschränkter Vorfreude beherrschen tägliches Fiebermessen und Überprüfung des Bewegungsradius' den Tag in der "Olympia-Bubble". Es sind Spiele, bei denen man nur erahnen kann, wie es in Tokio wirklich wäre.

Es lässt sich nur erahnen, welche Euphorie in Tokio herrschen könnte, wenn der Covid-19-Erreger die Menschen dieser Metropole nicht ausgesperrt hätte. Die Straßen rund um das Olympiastadion sind mit Menschen gesäumt, die den vorbeifahrenden Bussen zuwinken. Die Japaner machen Fotos von den Personen, denen Eintritt in die Arena gewährt wird. Sie wünschen den Journalisten aus aller Welt viel Spaß, es gibt kurze Dialoge durch die Absperrzäune hindurch. Als die 32. Olympischen Spiele der Neuzeit in Tokio eröffnet wurden, gab es eine bislang unbekannte Art des Olympia-Tourismus, obwohl Zuschauer ausgeschlossen sind - eine skurrile Situation. Vor der Arena wird an anderer Stelle auch gegen die Spiele demonstriert. Die Gruppe der Olympia-Gegner ist der der Begeisterten in der Größe deutlich unterlegen, wenngleich nicht in der Lautstärke.

Vermutlich wird Risato Tani Recht behalten. "Wir lieben die Olympischen Spiele, deshalb sind wir traurig, dass sie bei uns jetzt unter diesen Umständen stattfinden müssen", sagte die japanische TV-Journalistin. Wenige Tage vor der Eröffnungsfeier hatte sich die Mehrheit der Japaner noch gegen die Veranstaltung ausgesprochen, doch das sei nicht von Dauer, sagte Tani voraus: "Wir sind begeisterungsfähig und wenn es losgeht, werden wir vor den Fernsehern sitzen und mitfiebern."

Die Spiele in Tokio werden auf allen Seiten als die der notwendigen Vorstellungskraft in Erinnerung bleiben (müssen). Die Menschen in Tokio stellen sich mehrheitlich vor, in den Arenen mit dabei zu sein, während sich die Athleten ausmalen, dass sie von Millionen, vielleicht sogar von Milliarden Menschen weltweit vor den TV-Geräten, Tablets und Smartphones unterstützt werden. Die Spiele im Jahr 2021 finden in weiten Teilen im Imaginären statt.

25.000 Personen - und noch viel mehr Helfer

Real ist dafür die Sorge vor dem Virus. Um die Wettbewerbe so sicher wie möglich zu machen, betreiben die Organisatoren einen Aufwand von gigantischer Dimension. Mehr als 25.000 Personen sind bei den Spielen als Athleten, Journalisten oder Offizielle im Einsatz. Etwa die Hälfte von ihnen muss sich täglich einem Corona-Test unterziehen, der Rest spätestens alle vier Tage. Mittels einer Smartphone-App müssen alle Teilnehmer täglich Daten zu ihrem Gesundheitszustand übermitteln. Erst 14 Tage nach dem Eintritt ins Land darf man sich frei in Tokio bewegen, sofern keine Krankheit aufgetreten ist. Vor dem Betreten eines Veranstaltungsortes wird zusätzlich mit einem Temperatur-Screen die Körpertemperatur ermittelt, die Hände müssen desinfiziert werden. Polizei, Sicherheitsdienste und unzählige Volunteers wickeln die Sicherheitsmaßnahmen ab - die Armee der Helfer ist noch größer als die der Teilnehmer.

Jeder wird geprüft, bevor er hineindarf.

Jeder wird geprüft, bevor er hineindarf.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Die "Olympia-Blase" soll undurchlässig sein, doch das gelingt nicht an allen Stellen. Die Dimensionen sind zu gigantisch, um jeden Austritt zu verhindern. Immer wieder passieren Journalisten öffentliche Straßen, um von den Haltestellen des Transportsystems in die Sportstätten zu gelangen, sie gehen an spielenden Kindern vorbei und erhaschen so einen minimalen Einblick in die Stadt, die sie zunächst nur durch Busscheiben sehen dürfen - zumindest theoretisch. Die Smartphone-App, in der hinterlegt ist, ob und ab wann sich die Teilnehmer frei bewegen, und beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel benutzen dürfen, hat eine Schwäche. Bei falscher Installation ist man bereits kurz nach der Ankunft "freigeschaltet". Nur wenige Menschen nutzen diesen Fehler, die Mehrheit geht besonnen mit der Besonderheit dieser Spiele um. Die Menschen seit dem vergangenen Frühjahr gelernt, mit der Pandemie umzugehen, die Disziplin ist groß.

Fan-Park ist da, aber geschlossen

Hinter der Arena fürs Sportklettern und dem Stadion, in dem 3x3-Basketball gespielt wird, liegt der Fan-Park, in dem sich die Sponsoren präsentieren, vor allem aber die Zuschauer die Möglichkeit haben sollten, sich in Feierstimmung zu bringen. Nicht weit entfernt und fußläufig erreichbar ist das Beachvolleyball-Stadion. Hier hätten das jugendliche Herz der Olympischen Spielen schlagen können. Modern, enthusiastisch und umrahmt von fetzigen Beats sollten Tokio und die Spiele hier sein. Die Realität sieht anders aus. Der Fan-Park ist geschlossen und die Wettbewerbe der Trendsportarten findet ohne Zuschauer auf den Rängen statt. Hier werden seit Samstag nicht die bunten Bilder präsentiert, mit denen das IOC weltweit für sich werben wollte. Die Pandemie hat es verhindert.

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Dusan Bulut bedauert das, er umschreibt es kurz mit "shit", aber die Umstände, die die Welt und Tokio seit anderthalb Jahren einschränken, ändern nichts an der Begeisterung für den Wettkampf. Bulut hat vier Mal mit Serbien den World Cup gewonnen, den wichtigsten Wettbewerb im 3x3-Basketball. Er ist der Superstar seiner Sportart, hat schon sehr viel erreicht und ein paar dicke Werbeverträge in der Tasche. Die Begeisterung für die Partien vor leeren Rängen leidet darunter aber nicht. "Das ist das größte Turnier, das ich gespielt habe", sagt der 35-Jährige. Die ersten Partien des Olympischen Turniers liegen hinter ihm und seine Aussagen unterstreichen einen Fakt, der sich bereits an den ersten Tagen herauskristallisiert hat. Für die Athleten hat die Anziehungskraft der Spiele durch die äußeren Umstände nicht gelitten. Die Sportler bedauern das Fehlen der Zuschauer und die Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit, aber die Kraft der Wettbewerbe im Zeichen der fünf Ringe hat nicht gelitten.

In den ersten Tagen der Olympischen Spiele ist Tokio, eine Metropole mit knapp 14 Millionen Einwohnern, ruhig und wirkt schläfrig, der Pulsschlag scheint beinahe erloschen. Es ist aber nicht so, dass die Menschen vor den Spielen geflohen sind oder sich in den eigenen vier Wänden verbarrikadiert haben. Die Regierung hat den Marine-Feiertag und den Sport-Tag in Erinnerung an die Olympischen Spiele 1964, die ebenfalls in Tokio ausgetragen wurden, auf den 22. und 23. Juli gelegt. Vermutlich, damit sich die Olympischen Spiele in Ruhe entwickeln können. Nach dem Wochenende wird die Metropole erwachen. Den Ablauf der Wettbewerbe wird das nicht beeinflussen. Möglicherweise aber das Olympia-Transportsystem, wenn der Verkehr auf seine übliche Größe anschwillt.

Quelle: ntv.de

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