Chinas skurriles Eishockey-Team Mit 16 Klassenfeinden gegen die Blamage
10.02.2022, 09:39 Uhr
Chinesischer Nationalspieler: Jack Chelios.
(Foto: dpa)
Eigentlich hätte die chinesische Eishockey-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen gar nicht starten dürfen. Zu groß war die Angst vor monströsen Klatschen gegen die Top-Nationen. Doch dann haben die Gastgeber eine tolle Idee und bürgern einfach 16 Nordamerikaner ein.
Ein Länderspiel gegen China, nein, das hat es für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft noch nie gegeben. Allerdings ist es nun wichtig, sehr präzise zu bleiben. Denn eine deutsche Auswahl hat sehr wohl schon gegen die Cracks (Zweifel, ob der Ausdruck zutreffend ist, sind berechtigt) aus dem Reich der Mitte gespielt. In den Kufen-Annalen der DDR stehen tatsächlich sechs Duelle. Alle wurden gewonnen, mit einem Torverhältnis von 54:19. Nun, bei den Olympischen Spielen kommt es also erstmals zu einem Treffen der bundesdeutschen Mannschaft mit China. Wobei man auch wieder präzise sein muss: sonderlich chinesisch ist das Team der Chinesen nicht.
Für die Qualität der Auswahl der "Roten Drachen" ist das durchaus eine gute Nachricht. Als Weltranglisten-32., hinter Nationen wie den Niederlanden und Spanien, aber knapp vor Australien, Israel und Mexiko, wären die Gastgeber im olympischen Turnier völlig chancenlos gewesen. Und das ist noch die Wahrheit in (sehr) schön. Die Cracks (Zweifel, ob der Ausdruck zutreffend ist, sind noch immer berechtigt) wären von Kanada, von Deutschland (am Samstag) und den USA in der Vorrunde wahrscheinlich amtlich vermöbelt worden.
Der Weltverband ist in Sorge
Zweistellige Ohrfeigen, eher realistisch denn utopisch. "Einem Team zuzusehen, das 0:15 geschlagen wird, ist für niemanden gut. Nicht für China und nicht fürs Eishockey", bekannte Weltverbands-Präsident Luc Tardif noch im September 2021. Er hegte immense Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Teilnahme. Ein Entzug des Startrechts von dem Turnier stand bis Ende des vergangenen Jahres zur Debatte. Erst im November entschied der durchaus um das Wohl des Teams besorgte Weltverband, dass das privilegierte Startrecht gilt. China, oder was sich nun China nennt, ist also tatsächlich dabei.
Die Gastgeber wollen nicht heil- und hilflos ins Unglück rennen. Eine Mannschaft, die das Land rund um den Globus blamiert, sollte nicht aufs Eis geschickt werden. Das würde den Anspruch der Weltmacht konterkarieren. Das würde am Nationalstolz der Chinesen nagen. Und so wurde externe Expertise angeheuert. Das an sich ist nicht ungewöhnlich, auch Deutschland hat von dieser Praxis immer mal profitiert. Aber das Vorgehen der Chinesen ist schon einzigartig. 16 Spieler aus Nordamerika, 13 Kanadier und drei US-Boys, sollen eine wehrhafte Front gegen die Top-Nationen bilden. Ein gebürtiger Russe steht ebenfalls im Kader. Das ist alles ziemlich skurril. Und besonders beachtlich. Weil das Land doch in dem Ruf steht, eines der strengsten Gesetze zur Einbürgerung zu haben. Für den Sport als Säule des Systemerfolgs wird offenbar vieles möglich gemacht.
Die Liebe der "Landsleute"?
Ob die Mannschaft die Liebe der Landsleute (Zweifel, ob der Ausdruck zutreffend ist, sind auch hier berechtigt) erfährt? Vorhersehen kann das niemand. Vermutlich hängt das vom Erfolg ab (und damit am seidenen Faden), wie der Fall von Eileen Gu zeigt. Die Ski-Freestylerin eroberte mit ihrem Gold-Coup auf spektakuläre Weise die Herzen der Chinesen. Anders als Eiskunstläuferin Zhu Yi, die nach zwei verpatzen Auftritten im Teamwettbewerb einen mächtigen Shitstorm bei Weibo, der staatlich überwachten Social-Media-Plattform, kassierte. Die Zensur griff zu.
Tja, aber was ist das nun eigentlich für eine Auswahl, die da nun antritt? Diese Frage lässt sich tatsächlich sehr leicht beantworten. China wird die schlechteste Mannschaft der zweitstärksten Liga der Welt aufs olympische Eis schicken. Alle (!) 25 Spieler und auch die Trainer stehen bei Kunlun Red Star unter Vertrag. Das Team ist offiziell in Peking beheimatet, aber seit sechs Jahren für die russische Topklasse spielberechtigt. Spiele in China hat es allerdings schon länger nicht mehr gegeben, wegen Corona und der strengen Zero-Covid-Strategie der Regierung um Präsident Xi Jinping finden die Heimpartien in Moskau statt. In der KHL ist Kunlun Red Star das harmloseste und zugleich anfälligste Team. Das war mal anders. Vor ein paar Jahren spielte die Truppe noch in den Playoffs.
Die desolate Verfassung mit zwischenzeitlich 14 Niederlagen in Serie muss aber nicht zwingend den gnadenlosen Untergang beim Turnier im Zeichen der fünf Ringe bedeuten. Denn die Jungs, die auf dem Eis stehen, die wissen schon, was sie tun. Einige haben bereits in der NHL gespielt (mal häufiger, mal weniger häufig). Der prominenteste und erfahrenste ist Brandon Yip, der sich jetzt Jinguang Ye nennt. Er ist 174 Mal in der NHL aufgelaufen, hat 29 Tore erzielt und 27 vorbereitet. Ein anderer ist Jack Chelios, der jetzt Jieke Kailiaosi heißt. Der 30-Jährige ist der Sohn des legendären Chris Chelios, einem der besten Verteidiger, die es je gab. Die Klasse des Vaters hat Jack nicht, sonst würde er nicht für China spielen, sondern für die USA. Aber wie kommt es eigentlich dazu?
Hauptsache Olympische Spiele!
Seit knapp zweieinhalb Jahren spielt Chelios für Kunlun Red Star. Damit hat er die internationalen Bedingungen geschaffen, um international für ein anderes als sein Heimatland aufzulaufen. Der Weltverband erlaubt einen Nationenwechsel nur, wenn ein Profi zwei Jahre im jeweiligen Land spielt und zuvor noch nicht für die Auswahl seiner Geburtsnation gespielt hat. Übrigens: Diese Regel wurde erst vor Kurzem gekippt, früher waren vier Jahre die Bedingung. Ob und wie das mit den strengen Gesetzen der Chinesen einhergeht? Unklar. Chelios sind die Umstände offenbar egal. Er freut sich einfach nur, dass er sich den Traum erfüllen kann. "Nicht viele bekommen die Chance, bei Olympia zu spielen, für den Gastgeber, im Dorf mit all den Athleten zu sein." Schon gar nicht, wenn man außer Collegesport und sechs Jahren in der unterklassigen AHL in Nordamerika (dort war er indes ein Leistungsträger) bloß fünf NHL-Spiele vorzuweisen hat – und eben einen eigentlich legendären Namen.
16 Importspieler vom westlichen Klassenfeind, neun gebürtige Chinesen – alle Mann von einem Klub. So etwas Skurriles hat das olympische Eishockey-Turnier auch noch nicht erlebt. Ob bei den Plänen für diese Mannschaft einkalkuliert war, dass die besten Profis der Welt kein Spielrecht bekommen? Die NHL macht wegen der Corona-Pandemie nun doch keine Pause. Schon vor vier Jahren waren die Superstars nicht dabei, damals nutzte das DEB-Team das Vakuum und schrieb sein sensationelles Silbermärchen. Und jetzt China? (Die Frage ist doch berechtigt.) Nein, solche Gedanken umtreiben die Auswahl nicht. Eher solche: Sollten die Niederlagen hoch und die Kritik harsch ausfallen, würde sich ein Spieler wie Chelios nicht grämen. Er bekäme davon nämlich nicht viel mit. "Zwei, drei Worte" Chinesisch verstehe er, betont der 30-Jährige: "Ich hatte sechs Jahre Spanisch in der Highschool und habe nichts gelernt. Da hab' ich es erst gar nicht versucht." So viel zum Nationalstolz.
Quelle: ntv.de