Das Trauma und die Fußball-EM Löws Elf ist unter Zugzwang
09.06.2012, 17:12 Uhr
Joachim Löw, selbstbewusst.
(Foto: dpa)
Es muss frustrierend sein, alle zwei Jahre andere Nationalteams in ihrem Siegestaumel zu beobachten - und sich selbst über schlechtere Platzierungen freuen zu müssen. Ist die DFB-Elf reif genug? Für den Titel? Die deutsche Mannschaft will die Fußball-EM 2012 gewinnen. Es ist die letzte Chance, ihr Trauma zu besiegen.
"Wir waren WM-Dritter, EM-Zweiter, WM-Dritter. Aber das heißt jetzt nicht automatisch, dass man dann den Titel gewinnt." DFB-Kapitän Philipp Lahm hat vor dem deutschen EM-Auftakt heute gegen Portugal noch einmal versucht, Euphorie und Erwartungen zu dämpfen. Eine Herkulesaufgabe. Denn ganz nüchtern betrachtet ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft trunken von Euphorie zur EM 2012 getragen worden.
Auf einer Welle, die sie bei der Fußball-WM 2010 erst selbst verursacht und dann verstärkt hat, weil sie unter Anleitung des Perfektionisten Joachim Löw die Spielfreude aus Südafrika mit taktischer Reife kombiniert hat. Die EM-Qualifikation mit zehn Siegen in zehn Partien war historisch gut. Das 3:2 über Brasilien, die 3:0-Demontage der Niederlande: Das waren selten erlebte Explosionen deutscher Spielfreude. I-Tüpfelchen auf der perfekten Pflichtspielbilanz 2011.
Andere Vorzeichen
Die Mannschaftsaufstellungen:
Deutschland: Neuer- Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm - Schweinsteiger, Khedira - Müller, Özil, Podolski - Gomez
Niederlande: Stekelenburg - van der Wiel, Heitinga, Mathijsen, Willems - van Bommel, N. de Jong - Robben, Sneijder, Afellay - van Persie
Als Erzrivale Holland, Ex-Weltfußballer Cristiano Ronaldo samt Anhang sowie Dänemark mit Deutschland in die statistisch gesehen schwerste EM-Vorrundengruppe aller Zeiten gelost wurden, zuckte Fußball-Deutschland nur mit den Schultern: Ist halt Pech - für die anderen! Denn erstmals seit langem geht ein DFB-Team voller Selbstvertrauen in ein großes Turnier, nicht nur mit vornehmlich historisch begründeten Vorschuss-Lorbeeren, wie noch 2010 in Südafrika.
"Wir sind dort hingereist und keiner hat uns etwas zugetraut. Jetzt ist die Situation etwas anders", hat Co-Trainer Hansi Flick kurz vor der Abreise nach Lemberg gesagt. Was genau anders ist? "Wir sind mit der Titelfavorit."
Nicht nur die sportliche Führung um Joachim Löw und Oliver Bierhoff geht damit selbstbewusst um, auch die Mannschaft. Sie weiß, dass diese Favoritenrolle nicht nur Last ist, sondern vor allem Lust. Weil man sie sich verdienen muss und sie sich das DFB-Team verdient hat. "Weil diese Mannschaft positive Emotionen weckt" und "modernen, attraktiven Fußball" spielt, wie sogar Löw in der "Zeit" schwärmte. Löw-Fußball.
Grober Feinschliff
Selten war eine Fußball-Nationalmannschaft beliebter, selten saß ein Bundestrainer fester auf der Bank als vor der EM 2012. Und trotzdem waren in Danzig, wo Löw am Ende einer zerrütteten Vorbereitung mit grobem Papier den EM-Feinschliff vornehmen musste, auch immer wieder Worte wie "Scheitern", "Anspannung" und "Fallhöhe" zu hören.
"Die Anspannung ist vielleicht noch nie so groß gewesen, weil ich weiß, die Hoffnung und die Erwartungen bei uns allen, im DFB, bei den Fans und in der Mannschaft sind groß", hat Teammanager Oliver Bierhoff einen Einblick ins Innenleben des DFB-Teams gegeben. Eben weil man wisse, was möglich ist, sei auch die "Fallhöhe groß". Groß wie lange nicht mehr, wie auch die Sehnsucht nach einem Titel.
Löw und sein Team haben den deutschen Fußball wiederbelebt, ein Titelgarant sind sie nicht. Ob es bei einem großen Turnier zum großen Triumph reicht, ist immer auch eine Glücksfrage. Dass sich dieses Glück erstmals seit 1996 wieder einstellt, als ausgerechnet unter Berti Vogts der letzte Titelgewinn gelang, ist seit 2006 aber zumindest sehr viel wahrscheinlicher geworden.
Es geht besser
Löw selbst betont zwar, für ihn als Trainer sei die Entwicklung der Mannschaft befriedigender als ein Titelgewinn. Dennoch stellt sich vor der EM nicht nur die "Süddeutsche Zeitung" die Frage: "Kann Löw nur Fußball, oder kann er auch Titel?" Löw wird sie sich auch selbst stellen und dabei im Hinterkopf haben, dass diese EM auch die letzte Chance ist, das deutsche Spanientrauma im direkten Duell zu besiegen.
Er und seine Mannschaft wissen, dass dieses DFB-Team 2012 im Idealfall fußballerisch ziemlich viel kann. Seit Südafrika ist das Team sichtbar gereift. Bei der EM muss es zeigen, dass es auch reif ist für den Titel. Denn WM-Dritter, EM-Zweiter, WM-Dritter, das sind schöne Erfolge. Nur: Es geht noch besser.
Quelle: ntv.de