Einzelkritik Deutschland vs. Hellas Verdammt nah am Spektakel

Lahm trifft, Özil (r.) feiert.

Lahm trifft, Özil (r.) feiert.

(Foto: AP)

Beim Zeus! Deutschlands beste Fußballer stehen im Halbfinale der Europameisterschaft. Und das, obwohl Bastian Schweinsteiger bisweilen den Eindruck erweckt, er wäre gerne ein Hellene. Dafür gibt es aber ein Jubel-Maskottchen auf der Tribüne und frischen Angriffswind auf dem Rasen. Und selbst ein Weltrekord fehlt nicht.

Grau war es an der polnischen Ostsee, ein wolkenverhangener Juniabend, der Wind pfiff, als der Kapitän höchstpersönlich für Karibikstimmung sorgte. Ein Hauch von Costa Rica wehte plötzlich durchs Bernsteinstadion zu Danzig, als er nach 39 Minuten die Führung für seine Mannschaft erzielte - wie einst 2006 im Eröffnungsspiel der WM aus der Distanz. Am Ende hatten die deutschen Fußballer wie vor sechs Jahren mit 4:2 gewonnen, nur dieses Mal gegen enervierend defensive Griechen im Viertelfinale der Europameisterschaft.

Auf der Tribüne jubelte das EM-Maskottchen Angela Merkel, was dummerweise auf den Anzeigetafeln zu sehen war. Und so pfiffen sich die Fans der Hellenen die geschundenen Seelen aus den Leibern. Der Bundeskanzlerin machte das nichts aus. "Es ist immer wieder aufregend." Es half ja auch nichts. Deutschland steht im Halbfinale, dort geht es am kommenden Donnerstag in Warschau gegen Italien oder England. Die Mannschaft von Joachim Löw spielte verdammt nah am Spektakel. Auch dank André Schürrle, Marko Reus und Miroslav Klose, die der Bundestrainer etwas überraschend in die Startelf beordert hatte. "Heute war der Tag der Veränderung", sagte er hinterher. Und ein Tag des Weltrekordes: Die DFB-Elf hat nun 15 Spiele hintereinander gewonnen, in denen es um einen Wettbewerb ging. Das gab's noch nie. Die Spieler der DFB-Elf in der Einzelkritik:

Ausgleich durch Samaras. Neuer ansonsten fehlerfrei.

Ausgleich durch Samaras. Neuer ansonsten fehlerfrei.

(Foto: dapd)

Manuel Neuer: Setzte schon vor Beginn der Partie ein Zeichen und lief im signalfarbenen Torwarttrikot auf, auch Hose und Stutzen leuchteten Orangerot. Warf ebenfalls noch vor dem Anpfiff den Ball mit Rückwärtsdrall aus zehn Metern fast exakt auf den Anstoßpunkt im Mittelkreis. Respekt. Und zugleich eine seiner spektakulärsten Leistungen an diesem Viertelfinalabend in Danzig, weil die Griechen in der ersten Halbzeit kein einziges Mal in seinem Strafraum am Ball waren. Der 26 Jahre alte Münchner parierte in seinem 30. Länderspiel nach einer guten halben Stunde fein einen Schuss des Griechen Sotiris Ninis. Und agierte häufig prima als Libero, gerne auch Mal auf Höhe der Mittellinie. Beim Ausgleich sah er ein wenig schlecht aus, vielleicht hätte er aus seinem Tor kommen sollen, beim Elfmeter war er ohne Chance, da half auch das Kanarienvogeloutfit nicht. War aber ansonsten da, wenn er gebraucht wurde.

Boateng rangelt mit Salpingidis.

Boateng rangelt mit Salpingidis.

(Foto: dapd)

Jérome Boateng: Rückte nach seiner Gelbsperre in letzten Gruppenspiel gegen Dänemark wieder für den Leverkusener Lars Bender in die Startelf. Der 23-jährige rechte Außenverteidiger vom FC Bayern machte in seinem 24. Länderspiel einen Fehler, der sich zu seinem Glück und dem seiner Mannschaft nicht als entscheidend herausstellte. Nach einer Flanke von Dimitris Salpingidis ließ sich Jérome Boateng nach 55 Minuten von Giorgos Samaras abhängen, der den Ausgleich erzielte. Den zwischenzeitlichen, wie sich hinterher erwies. Verursachte in vorletzter Minute einen Handelfmeter, was aber auch schon egal war. Ansonsten machte er seine Sache in der Defensive unaufgeregt, ohne Faxen und solide. Das mit der Offensive war noch so sein Ding, wird es wohl auch nicht mehr, das kann Benders Lars besser. Aber: Sorgte für die Flanke, die Sami Khedira nach einer guten Stunde zum 2:1 verwertete.

Hummels im Einsatz gegen Samaras.

Hummels im Einsatz gegen Samaras.

(Foto: AP)

Mats Hummels: Der 23 Jahre alte Dortmunder hat es tatsächlich geschafft, binnen vier lumpiger EM-Spiele zu einer Instanz in der deutschen Innenverteidigung aufzusteigen. Aber was heißt schon lumpig? Der Mann, für dieses Viertelfinale frisch rasiert, ist einfach gut, zu Lande und in der Luft. Gibt es Probleme, löst er sie. Und wenn er Zeit hat, kümmert er sich darum, das Angriffsspiel einzuleiten. Gegen die Griechen hatte er die, und zwar ausreichend. Das wird ihm in dem Maße bei diesem Turnier garantiert nicht mehr passieren. Kann es sich mittlerweile nach 18 Länderspielen leisten, nach Fehlern der Kollegen missbilligend den Kopf zu schütteln. Nicht ohne allerdings vorher den Ball sauber abzugrätschen und flugs den nächsten Angriff einzuleiten. So geschehen nach 85 Minuten gegen Giorgos Samaras.

Gelegentlich gab es auch für Badstuber etwas zu tun.

Gelegentlich gab es auch für Badstuber etwas zu tun.

(Foto: AP)

Holger Badstuber: Der 23 Jahre alte Innenverteidiger des FC Bayern absolvierte sein 24. Länderspiel so unauffällig, dass aufgeregte Anrufer schon mutmaßten, die Weltregie der Uefa habe ihn aus der Übertragung herausgeschnitten. Wir können ihnen versichern: Er war dabei. Stand allerdings am Rande der Arbeitslosigkeit, da von harmlosen Griechen kaum gefordert. Und weil es im Mittefeld eh schon so voll war, hielt er sich auch im Spielaufbau vornehm zurück. Hat sich seinen Platz in der Anfangsformation dadurch gesichert, dass er nicht seine zweite Gelbe Karte in diesem Turnier sah. Und wird in Warschau auch wieder mehr zu sehen sein. Ganz bestimmt.

Alle zwei Jahre wieder: Lahm.

Alle zwei Jahre wieder: Lahm.

(Foto: dpa)

Philipp Lahm: Ein Hauch von Costa Rica wehte durch das Bernsteinstadion zu Danzig, als der 28 Jahre alte Kapitän der DFB-Elf persönlich den Bann brach und nach exakt 39 Minuten die Führung erzielte, die nicht nur in der Sportsprache aber so etwas von überfällig war. Es war sein fünftes Tor in seinem 90. Länderspiel. Und wie einst im Eröffnungsspiel bei der Weltmeisterschaft 2006 traf er aus der Distanz. Darauf reimt sich Konstanz. Deswegen sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Münchner seine Tore sehr regelmäßig erzielt - nämlich alle zwei Jahre: 2004, 2006, 2008, 2010, 2012 - und 2014, vielleicht bei der WM in Brasilien? Machte ansonsten auf der linken Abwehrseite ein gutes Spiel, war fast ausschließlich in des Gegners Hälfte unterwegs, nur einmal erfüllte er seinen Defensivauftrag nicht, als er vor dem 1:1 Dimitris Salpingidis bei seinem Flügellauf nicht stoppte. Sein Kommentar: "Wir haben es uns unnötig schwer gemacht." Wie wahr.

Schuss. Tor. Khedira.

Schuss. Tor. Khedira.

(Foto: AP)

Sami Khedira: Das zweite Tor des Madrilenen im 31. Länderspiel. Und was für eins! Nicht nur, dass die Vorlage vom Flankengott Jérome Boateng kam, nein, der 25 Jahre alte, an diesen Abend klar bessere Teil der deutschen Doppelsechs hämmerte den Ball nach einer guten Stunde per Direktabnahme am griechischen Torwart Michalis Sifakis vorbei zum 2:1 ins Netz, der sich, das nur nebenbei, ansonsten in diesem Viertelfinale eher für eine Karriere als Beachvolleyballer empfahl. Sami Khedira hingegen empfahl sich erneut nachdrücklich als neuer Chefantreiber im Mittelfeld, falls es eines solchen bedarf. Wieder Wanderer, nein Sprinter zwischen den Strafräumen, wobei der Akzent gegen Griechenland eindeutig in der Offensive lag. Ließ sich auch durch fiese und schmerzhafte Fouls nicht stoppen. Zeigte das, was der Bundestrainer an Bastian Schweinsteiger stets so lobt: Präsenz.

Schweinsteiger kam nicht so gut ins Spiel.

Schweinsteiger kam nicht so gut ins Spiel.

(Foto: dpa)

Bastian Schweinsteiger: Böse Zungen behaupten, er sei vor der Pause der beste Hellene auf dem Platz gewesen. Was daran lag, dass er allzu oft den Ball nicht zum Kollegen, sondern zum nächstbesten Griechen an der Ecke spielte. Der 28 Jahre alte, definitiv schwächere Part der deutschen Doppelsechs vor der Viererabwehrkette hatte in seinem 94. Länderspiel viel Mühe, sich zurechtzufinden. Auch wenn niemand behaupten kann, er hätte sich nicht bemüht, was von daher von Erfolg gekrönt war, als dass er sich steigerte und die Zahl seiner fahrigen Flüchtigkeitsfehler reduzierte. Wirkt wie einer, der sich tapfer quälen muss. Und tut das vermutlich auch. Sprach vorher davon, dass er davon träume, das perfekte Spiel zu machen. Hat sich da zu viel vorgenommen.

Nach seinem Tor tanzt Reus mit Boateng den Ententanz.

Nach seinem Tor tanzt Reus mit Boateng den Ententanz.

(Foto: dapd)

Marco Reus: Ein historischer Moment. Der erste Mönchengladbacher seit Jupp Heynckes 1972, der bei einer Europameisterschaft ein Tor erzielt. Und was für eins! Mit mächtig Wucht zum 4:1 nach 74 Minuten, sein zweiter Treffer im siebten Länderspiel, auch wenn er gegen Griechenland sechs oder sieben vergebliche Versuche dafür benötigte. Sorgte am Tag der Veränderung anstelle des zuletzt eher glücklosen Münchners Thomas Müller auf der rechten Seite für - Veränderung. Schnell, ballsicher, schussstark und ständig rochierend sorgte er für den angekündigten frischen Wind im deutschen Angriffsspiel und kurbelte das anspruchsvolle Kombinationsspiel seiner Mannschaft an. Für die letzten zehn Minuten ersetzte ihn der seit dem 3. Juni 20 Jahre alte Dortmunder Mario Götze und kam so zu seinem 15. Länderspiel. Wermutstropfen für alle Freunde der Borussia vom Niederrhein: Am Tag des Finales steht Marco Reus bereits bei der Namenscousine aus Dortmund unter Vertrag.

Ein Özil, drei Griechen.

Ein Özil, drei Griechen.

(Foto: dpa)

Mesut Özil: Bekam wieder diesen von einer Brauerei gesponserten albernen Pokal als bester Mann des Spiels, zum zweiten Mal in diesem Turnier. Aber im Gegensatz zum Auftaktsieg gegen Portugal hat sich der 24 Jahre alte Madrilene diese Auszeichnung in seinem 37. Länderspiele dieses Mal auch redlich verdient. Glänzte mit etlichen guten Ideen, von denen der Mittelfeldregisseur auch einige erfolgreich in die Tat umsetzte. Lief wie immer viel, mal links, mal rechts und war so an den meisten Angriffen beteiligt. Bekommt einen Vorlagenpunkt nach seinem Freistoß vor dem 3:1 durch Miroslav Klose. Auch wenn es noch nicht die von Joachim Löw angekündigte Leistungsexplosion war. Aber ihm kam sehr zugute, dass er mit Miroslav Klose in der Sturmspitze einen Kurzpasskombinationspartner hatte, der auch Fußball spielen kann. Wollte das aber hinterher nicht zugeben und brach eine Lanze für den eingewechselten Mario Gomez: "Letztendlich haben wir zwei Weltklassestürmer. Ich bin froh, dass beide für Deutschland spielen."

Schürrle im Zweikampf mit Dimitris Salpingidis.

Schürrle im Zweikampf mit Dimitris Salpingidis.

(Foto: dpa)

André Schürrle: Frischfrecher Windbringer in seiner siebten Partie im DFB-Dress auf der linken Angriffsseite, die eigentlich dem Noch-Kölner Lukas Podolski gehört. Der saß aber beim ersten EM-Spiel der Deutschen in seinem Geburtsland Polen nur auf der Bank und verpasste so sein 101. Länderspiel. Der Leverkusener André Schürrle hingegen, 21 Jahre alt, nutzte seine Chance leidlich, schnell wie er ist. überzeugte aber nicht so wie sein Pendant Marco Reus auf dem rechten Flügel. Half gut in der Defensive aus und wurde von Minute zu Minute nach vorne mutiger, auch wenn er bisweilen arg übereifrig wirkte und sich mehrmals verzettelte. Verlor den Ball vor dem griechischen Ausgleich. Schoss häufig und gut den Ball auf des Gegners Tor, traf aber nicht. Nach 67 Minuten kam nicht Lukas Podolski, sondern Thomas Müller, 22 Jahre alt, für ihn auf den Rasen und somit zu seinem 32. Länderspiel.

Klose freut sich über Tor Nummer 64.

Klose freut sich über Tor Nummer 64.

(Foto: dpa)

Miroslav Klose: Sein weißes Trikot war schneller dreckiger als das seiner Kollegen, ein Zeichen seines Engagements. Erhielt den Vorzug gegenüber Mario Gomez, weil er besser Fußball spielen kann, gegen die Granit-Griechen ein probates Mittel. Er war stets beteiligt, wenn es gefährlich wurde, wich häufig auf die Flügel aus und war ein prima Kurzpasskombinationspartner. Der mit 34 Jahren älteste Spieler im deutschen Kader erzielte in seinem 120. Länderspiel sein 64. Tor zum entscheidenden 3:1. Und hätte beinahe bereits nach vier Minuten die Führung für die DFB-Elf erzielt. War aber Abseits. Danach war sein Hemd schmutzig. Ach ja: Vier Treffer fehlen dem Wahl-Römer noch, dann hat er den Uralt-Rekord von Gerd Müller. Zehn Minuten vor dem Ende der Partie machte er Platz für Mario Gomez. Der 27 Jahre alte Stürmer des FC Bayern kam aber in seinem 56. Einsatz im DFB-Trikot nicht mehr entscheidend zum Zug.

Quelle: ntv.de

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