"Zusammenbrüche möglich" Arme Ländern leiden unter Finanzkrise
12.10.2008, 13:01 UhrVor einem halben Jahr noch schaute die Welt auf Hungerrevolten in armen Ländern und die sich zusammenbrauende Finanzkrise gleichermaßen sorgenvoll. Doch von der Not der Habenichtse reden nur noch wenige, seit die reichen Nationen ihren Finanzinstitutionen mit Abermilliarden zu Hilfe eilen und es dennoch beinahe täglich zu Bankpleiten und Abstürzen an den Börsen kommt. So gab es kaum Schlagzeilen, als Weltbank-Präsident Robert Zoellick jüngst mahnte: "Die Industrienationen müssen ein Auge auf einige der ärmsten Länder behalten. Wir können es nicht zulassen, dass die Finanzkrise zu einer menschlichen Krise wird."
Hilfsorganisationen sehen ernste Gefahren für den Kampf gegen Armut heraufziehen. Die Bankenrettung dürfe nicht als Vorwand genommen werden, um Entwicklungsgelder zu streichen. Die Grünen in Berlin sprechen von einem "moralischen Missverhältnis", wenn ein 700-Mrd.-Dollar-Paket für Banken aufgelegt werde, während Afrika-Hilfen von 70 Mrd. scheiterten. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) warnte vor einer neuen Schuldenspirale und sprach von einer dreifachen Krise der Armen.
Nahrungsmittelpreise waren der Anfang
Die Last für die Ärmsten auf dem Globus ist bereits enorm. Die weltweite Preisexplosion bei Energie und Nahrungsmitteln traf die Bevölkerung dort mit am härtesten. Nach Schätzungen der Weltbank wird alleine in diesem Jahr die Zahl der schlecht- und unterernährten Menschen weltweit um 44 Mio. auf 967 Mio. wachsen. Nun kommt noch die Finanzkrise dazu, obwohl die Kernprobleme vor allem in wohlhabenden Ländern Unheil anrichten. Vor den wirtschaftlichen Auswirkungen sind aber auch arme Länder nicht gefeit.
"Niemand ist immun vor einem Übergreifen der Finanzkrise", sagte der Zentralbankchef der Demokratischen Republik Kongo, Jean-Claude Masangu Mulongo, derzeit Vorsitzender der in den G24 zusammengeschlossenen Schwellen- und Entwicklungsländer. Die Gefahren sind vielfältig: Es drohten der Abzug ausländischen Kapitals, Absatzprobleme, höhere Kosten für Kredite und eine Vertrauenskrise in jene Länder, die mühsam Fortschritte erzielten, befürchten die G24.
Erste Auswirkungen sind schon zu spüren: Für das nächste Jahr erwartet die Weltbank in den Entwicklungsländern nur noch vier Prozent Wachstum; im April war sie noch von 6,6 Prozent ausgegangen. Dieser Absturz sei "so stark, dass er sich wie eine Rezession anfühlt", meint Zoellick. Drastischer drückt sich der Chef der syrischen Zentralbank, Adib Mayaleh aus: "Die entwickelten Länder haben die Mittel, mit der Krise umzugehen", ist sich der G24-Vize sicher. "Wir Entwicklungs- und Schwellenländer aber könnten zusammenbrechen."
Für was ist Geld da?
Masangu Mulongo machte den USA die Rechnung auf: Washington habe Afrika 25 Mrd. Dollar (18 Mrd. Euro) an Hilfen zugesagt, die allerdings noch nicht zur Verfügung stünden. "Aber in nur ein oder zwei Wochen hat man plötzlich 700 Mrd. (für das US-Rettungspaket) aufgetan." Ähnlich scharf schoss der kenianische Finanzminister John Michuki am Rande der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank am Wochenende in Washington gegen die reichen Staaten: "Wer ersetzt den unschuldigen Ländern, die unter diesem unverschuldeten Debakel leiden, ihren Schaden?", fragte er zornig.
Mit einem eindringlichen Appell forderten die G24 die reichen Länder auf, über die Finanzkrise ihre Zusagen gegenüber den Ärmsten nicht zu vergessen. IWF und Weltbank nahmen sie nicht aus. Besonders anfälligen und kriegszerstörten Ländern müssten nun "umfangreicher und schneller" Finanzhilfen zukommen, verlangten sie.
Weltbank und IWF wollen nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen: Reiche Länder "dürfen nicht auf die Finanzkrise reagieren, indem sie ihre Hilfen für die ärmsten und verwundbarsten Staaten kürzen", betonte IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn.
Quelle: ntv.de, von Frank Brandmaier und Andr Stahl, dpa