"Niemand muss sich Sorgen machen" Asmussen bekämpft die Angst
07.10.2012, 04:28 Uhr
Ausblicke auf das zukünftige Europa: Behelmte Pressevertreter betrachten die Aussicht in der obersten Etage des neuen EZB-Hauptquartiers (Archivbild).
(Foto: REUTERS)
Neben Jens Weidmann ist er Deutschlands Stimme im höchsten Gremium der Europäischen Zentralbank: Jetzt gibt Jörg Asmussen Entwarnung. Trotz Schuldenkrise muss sich seiner Ansicht nach niemand vor stark steigenden Preisen fürchten. In trockenen Tüchern ist Europa damit jedoch noch lange nicht. Gefahr droht von ganz anderer Seite.

Reformen erforderlich, "auch in Deutschland und Frankreich": Bundesbank-Chef Jens Weidmann und Jörg Asmussen (r.).
(Foto: picture alliance / dpa)
EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen sieht trotz der anhaltenden Schuldenkrise keine Inflationsgefahr für die Eurozone. "Ich sehe keine steigende Geldentwertung. Nach unseren Prognosen wird bereits im nächsten Jahr die Inflation wieder unter die Zwei-Prozent-Marke sinken", erklärte Asmussen der "Bild am Sonntag". Die Europäische Zentralbank (EZB) werde auch in Zukunft die Stabilität der Gemeinschaftswährung gewährleisten. "Darüber muss sich niemand Sorgen machen", fügte Asmussen hinzu.
Die EZB war zuletzt wegen ihrer Ankündigung in die Kritik geraten, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpften Euro-Staaten aufzukaufen. Kritiker monieren, der Schritt könnte die Inflation in der Eurozone beschleunigen.
Angst vor der Inflation
Asmussen verwies darauf, dass die durchschnittliche Inflationsrate in der Eurozone seit Bestehen der Gemeinschaftswährung bei zwei Prozent pro Jahr liege, in Deutschland sogar nur bei 1,6 Prozent. "Das ist niedriger als zu Zeiten der D-Mark", erinnerte der frühere Staatssekretär von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Mit Blick auf den derzeitigen Stand von 2,7 Prozent sagte Asmussen: "Das ist nur der Monatswert für September, der im Wesentlichen durch hohe Energiepreise bedingt ist."
Die Verbraucherpreise in den 17 Mitgliedstaaten der Eurozone waren im vergangenen Monat im Schnitt um 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Damit lag die Inflationsrate den 22. Monat in Folge über der Marke von 2,0 Prozent, bis zu der die Europäische Zentralbank (EZB) Preisstabilität gewährleistet sieht. Die EZB rechnet für das Gesamtjahr 2012 mit einem Preisanstieg von 2,5 Prozent, für 2013 mit einer Inflationsrate von 1,9 Prozent.
Eine ganz andere Gefahr fürchtet der deutsche EZB-Mann aus ganz anderer Richtung: Die gegenwärtige Ruhe an den Finanzmärkten hält das deutsche Direktoriumsmitglied nach eigenen Worten für "trügerisch". Die große Krise ist hier offenbar noch lange nicht überstanden. "Die Ankündigung, dass wir alles tun werden, um den Euro zu verteidigen, hat zur Marktberuhigung beigetragen", sagte Asmussen. Die bisherigen Maßnahmen würden aber "nicht ausreichen", es seien weitere Reformen in fast allen Eurostaaten erforderlich, "auch in Deutschland und Frankreich".
Wie sieht Europa in Zukunft aus?
Die EZB hatte Anfang September angekündigt, künftig Anleihen hoch verschuldeter Eurostaaten aufzukaufen. Bedingung dafür ist, dass sich Staaten unter die Kontrolle der Euro-Rettungsfonds EFSF oder ESM stellen. Damit dürften klare Sparvorgaben für die Länder einhergehen. In der Folge sanken die Zinsen und Renditen der Staatsanleihen von EU-Schuldenstaaten. Auch EZB-Chef Mario Draghi hatte aber betont, der Anleihenkauf ersetze keine Reformen, er könne "nur eine Brücke zu einer stabileren Zukunft sein". Kritiker wie der frühere EZB-Chefvolkswirt hatten eingewandt, die EZB erkaufe sich durch die umstrittenen Maßnahmen nur Zeit.
Asmussen sagte nun, "wir haben Monate der Entscheidung vor uns". Die Staats- und Regierungschefs müssten in den kommenden Wochen und Monaten den Grundstein für die Zukunft der EU legen. Dabei gehe es vor allem um "die Vollendung der Währungsunion", sagte der Notenbanker. "Die Staats- und Regierungschefs der EU müssen auf den beiden Gipfeln im Oktober und Dezember eine Vision für Europa entwickeln und das Ziel festlegen. Denn solange wir nicht beschreiben können, wie Europa in Zukunft aussieht, kauft kein Investor in Singapur oder New York eine zehnjährige Anleihe", sagte Asmussen.
Das Ende der finanziellen Souveränität
Der frühere Finanz-Staatssekretär kann sich demnach vorstellen, dass am Ende des Reformprozesses aus der EU-Kommission eine Art Europa-Regierung wird. Dafür aber müsse das europäische Parlament "mit deutlich mehr Kompetenzen ausgestattet werden". Die EU-Kommission sollte nach Asmussens Vorstellungen zudem das Recht erhalten, die Haushalte der 17 Eurostaaten darauf hin zu kontrollieren, ob sie "die gemeinsam vereinbarte Haushaltspolitik" umsetzen. Bei Verstößen müsse es möglich sein, den Haushalt des betreffenden Landes zurückzuweisen.
Deutschland allerdings wehrt sich einem Bericht zufolge derzeit gemeinsam mit Frankreich, Italien und Portugal gegen eine strengere Kontrolle der nationalen Haushalte durch Brüssel. Die vier Länder blockierten eine Vorschrift, wonach die EU-Mitgliedstaaten Informationen über die Schulden staatlicher Unternehmen sowie Pensionsverpflichtungen des Staates an die EU-Statistikbehörde melden sollen, berichtete die "Welt am Sonntag". "Das sind Modellrechnungen, die über Jahrzehnte in die Zukunft gehen und anfällig für fehlerhafte Interpretationen sind", zitierte die Zeitung einen EU-Diplomaten.
Quelle: ntv.de, AFP/rts