Schwere Turbulenzen Bei "Le Monde" herrscht Hauen und Stechen
15.05.2015, 11:33 UhrDer Interimschef wirft die Brocken hin, einen von den Besitzern vorgeschlagenen neuen Chef wollen die Redakteure nicht. Bei der ehrwürdigen "Le Monde" herrscht Chaos. Es ist nicht die erste Führungskrise bei der linksliberalen Zeitung.
Zum zweiten Mal binnen eines Jahres steckt die angesehene französische Tageszeitung "Le Monde" in einer schweren Führungskrise. Im Streit zwischen den Besitzern des Traditionsblatts und den Redakteuren um die künftige Zeitungsspitze erklärte "Le Monde"-Interimschef Gilles van Kote seinen Rücktritt. Zuvor hatte die Belegschaft den von den Besitzern vorgeschlagenen Journalisten Jérôme Fenoglio als neuen "Le Monde"-Chef abgelehnt.
Das Votum der "Le Monde"-Redakteure am Mittwochabend war eine faustdicke Überraschung: Sie stimmten mit nur 55 Prozent für Fenoglio, der als Redaktionsdirektor bislang die Nummer zwei des renommierten linksliberalen Blattes ist. Der von den Zeitungsbesitzern - dem Unternehmer Pierre Bergé, dem Bankier Matthieu Pigasse und dem Telekommunikations-Milliardär Xavier Niel - vorgeschlagene Fenoglio hätte mindestens 60 Prozent der Stimmen gebraucht.
Die "Le Monde"-Besitzer wollen aber nicht nachgeben. Am Donnerstag erklärten sie, an Fenoglio als künftigem Zeitungsdirektor - in Deutschland etwa vergleichbar mit einem Chefredakteur - festzuhalten. Sie forderten die Belegschaft auf, "die Qualitäten von Jérôme Fenoglio, seinem Team und seinem redaktionellen Projekt erneut zu prüfen". Zudem betonten die Besitzer, dass laut den Zeitungsstatuten sie allein den Direktor des Blatts vorschlagen dürften.
Van Kote zog am Donnerstag die Konsequenzen aus dem Führungsstreit. In einem Schreiben an die Redaktion begründete er seinen Rücktritt damit, dass zunächst seine eigene Kandidatur für den dauerhaften Direktorenposten von den "Le Monde"-Besitzern nicht berücksichtigt worden war. Als zweiten Grund nannte er die Ablehnung des später von ihm unterstützten Fenoglio durch die Redaktion.
Affront gegen Redakteure
Tatsächlich hatte sich schon Mitte April Ungemach angekündigt: Damals schlug das Aktionärstrio Fenoglio als künftigen "Le Monde"-Direktor vor. Dabei hatte sich der 48-Jährige gar nicht um den Posten beworben - anders als van Kote und zwei weitere Journalisten, die Ambitionen auf den Chefposten hatten. Die Zeitungsbesitzer hielten aber offenbar keinen der drei Kandidaten für geeignet und stellten Fenoglio auf. Für viele Redakteure der um ihre Unabhängigkeit besorgten Zeitung war das ein Affront.
Die linksliberale Tageszeitung hatte schon vor einem Jahr eine schwere Führungskrise durchlebt. Im Mai 2014 trat die in der Redaktion wegen ihres Führungsstils umstrittene "Le Monde"-Chefin Natalie Nougayrède nach nur 15 Monaten von ihrem Posten zurück. Fenoglio wurde daraufhin zum Redaktionsdirektor ernannt, van Kote zum ihm übergeordneten Interimsdirektor.
Bergé, Niel und Pigasse - das Trio wird nach den Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen scherzhaft "BNP" genannt wie die französische Großbank BNP Paribas - hatten die in finanziellen Nöten steckende Zeitung 2010 übernommen. Seitdem gab es schon fünf "Le Monde"-Direktoren. "Le Monde" kämpft wie viele französische Zeitungen mit einer stetig sinkenden Auflage und versucht sich im Internet-Zeitalter neu aufzustellen.
Quelle: ntv.de, Fabian Erik Schlüter, AFP