Mini-Wachstum schockt Tokio China tanzt Japan aus
16.08.2010, 13:25 UhrJapans Regierung bekommt Probleme - eine Dringlichkeitssitzung steht bevor. Der Grund: Der Yen ist so stark wie seit Jahren nicht mehr. Die Exportwirtschaft leidet enorm darunter und lässt das BIP-Wachstum absacken. Nutznießer ist ausgerechnet China.

Japans Wirtschaft rockt nicht mehr. Ein Mini-Wachstum von 0,4 Prozent sorgt für erheblichen Druck in der Regierung. China zieht locker vorbei.
(Foto: REUTERS)
Japans Regierung ist in höchster Alarmbereitschaft: Das Wirtschaftswachstim ist deutlich abgesackt. Der Grund ist die drastische Aufwertung des Yen zum Dollar, die die für das Land so wichtige Exportwirtschaft extrem belastet. Das führte jüngst dazu, dass China Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst hat.
Nach vorläufigen Berechnungen der Regierung in Tokio belief sich Japans Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Kalenderquartal auf rund 1,28 Billionen Dollar, während China auf ein BIP von 1,33 Billionen Dollar kam. Zwar lassen sich die Zahlen nicht ohne weiteres vergleichen, da sie nicht um saisonale Faktoren bereinigt sind. Dennoch sei es sehr wahrscheinlich, dass der aufstrebende Nachbar Japan damit als die Nummer Zwei abgelöst hat, meldete die führende japanische Wirtschaftszeitung "Nikkei“.
0,1 Prozent
Der Wirtschaftsaufschwung in Japan hat im zweiten Quartal kräftig an Fahrt verloren. Die Wirtschaft wuchs den am Montag vorgelegten Zahlen zufolge in den drei Monaten von April bis Juni gerade noch um 0,1 Prozent und damit bei weitem nicht so stark wie von Volkswirten erwartet. Analysten gehen zudem von einer weiteren Abschwächung aus. Die Entwicklung stellt die Regierung vor weitere Probleme, die bereits mit Deflation und einem Anstieg der Landeswährung Yen zu kämpfen hat, was die exportorientierte Wirtschaft belastet. Der Nikkei-Index an der Börse in Tokio verlor angesichts der schwachen Zahlen 0,6 Prozent.
Aufs Jahr hochgerechnet betrug das Plus beim Wachstum im abgelaufenen Quartal 0,4 Prozent, Analysten hatten dagegen im Schnitt ein Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von hochgerechnet 2,3 Prozent prognostiziert. Im ersten Quartal hatte der Zuwachs nach revidierten Zahlen hochgerechnet noch 4,4 Prozent betragen. Zur Abschwächung des Exports trug das geringere Wachstum bei den wichtigen japanischen Handelspartnern China und USA bei. Zudem verlor der von Anreizen der Regierung getriebene private Konsum an Schwung.
Yen-Stärke bleibt Thema
Japans Premierminister Naoto Kan will die Entwicklung des Yen-Kurses "sorgfältig beobachten" und eng mit der japanischen Notenbank kooperieren, um das Problem des starken Yen zu lösen. "Die Aufwertung des Yen hat mich gestört", sagte Kan. Er wolle über das Thema "im notwendigen Maße" mit dem Gouverneur der Bank of Japan (BoJ), Masaaki Shirakawa, sprechen. Er habe allerdings noch nicht darüber entschieden, wann er welche Schritte ergreifen werde.
Volkswirte sehen aber nicht viele Möglichkeiten zum Korrektur der Lage. "Ich glaube, die Bank von Japan und die Regierung müssen einschneidende Maßnahmen gegen die Währungsentwicklung ergreifen", sagte Takeshi Minami, Chefvolkswirt bei dem Forschungsinstitut Norinchukin. "Ein Eingriff in den Devisenmarkt ist denkbar, wenn der Yen zum Dollar mit weniger als 80 Yen bewertet wird. Wenn das einher geht mit einer Politik des billigeren Geldes der Notenbank, könnte das einen gewissen Effekt erzielen."
"Mr. Yen" sieht Rekordhoch
Nach Einschätzung von Eisuke Sakikibara, ehemals hochrangiger Mitarbeiter im Finanzministerium und wegen seines damals starken Einflusses am Devisenmarkt auch als "Mr. Yen" bekannt, könnte die japanische Landeswährung bereits im September ein Rekordhoch verzeichnen. "Bis zum Jahresende, oder vielleicht sogar schon Anfang September, könnte er auf ein neues Rekordhoch zum Dollar steigen", sagte Sakakibara. Das gegenwärtige Rekordhoch vom April 1995 liegt bei 79,75 Yen zum Dollar. Der Yen hatte jüngst zum Dollar mit 84,72 Yen notiert, dem höchsten Stand seit 15 Jahren.
Chinas Potenzial riesig
Während Japan mit der Sättigung seines Marktes und Überalterung ringt, hat China noch viel Potenzial für Wachstum: Die Urbanisierung treibt Millionen in die Städte. Der Lebensstandard kann noch deutlich steigen. Wird die Wirtschaftsleistung pro Kopf auf die 1,3 Milliarden Chinesen umrechnet, kommt China gerade mal auf ein Zehntel der USA oder Japans und rangiert neben Ländern wie Algerien oder El Salvador.
"Wir erwarten, dass die Einkommen der Haushalte beständig wachsen werden", sagt China-Expertin Jinny Yan von der Standard Chartered Bank. "Aber um das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt auf den Stand der Industrieländer zu bringen, bedarf es wohl noch einiger Jahrzehnte."
Chinas Aufstieg bedeutet auch nicht gleich den Niedergang Japans. Dessen Wirtschaft wächst weiter, nur eben langsam. Der technologische Vorsprung im Autobau, in der Elektronik oder im Maschinenbau ist noch gigantisch, dürfte möglicherweise aber schneller schrumpfen als den Japanern lieb ist. Die Illusion vieler Bürokraten in Japan, zuhause produzieren und in China verkaufen zu können, ist bereits geplatzt. Wenn Japans Unternehmer wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen sie stärker auf ihrem längst größten Markt in China investieren und produzieren, also "chinesischer" werden, wie Experten raten.
Exportabhängigkeit ist Japans Problem
Umgekehrt können die Chinesen auch von Japan lernen - in positiver wie negativer Hinsicht. So diente ihnen Japan bislang als Modell für Wachstum und Investitionen in Infrastruktur, etwa in den Ausbau des Schienen- oder Straßennetzes. Doch der lange Zeit starke Fokus auf Investitionen verbunden mit hoher Abhängigkeit vom Export hat Japan Probleme bereitet. Die Stärkung des Binnenkonsums, der 60 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, wurde lange vernachlässigt.
Sorgsam verfolgte China, wie Japan auf Drängen der USA seine Währung aufgewertet und sich für Konjunkturprogramme hoch verschuldet hat. "Ich denke, wir sollten diesen Pfad nicht auch gehen", sagt Lu Zhengwei, Ökonom der chinesischen Industrial Bank. Als Sparweltmeister könnten sich die Chinesen ohnehin hohe Ausgaben für Infrastrukturprojekte leisten. "Auf der einen Seite brauchen wir diese Investitionen, auf der anderen haben wir das Geld dafür", verteidigt der Ökonom die chinesische Politik als "nachhaltig".
China als Weltwirtschaftsmotor
Doch die heimische Nachfrage hat China bislang auch nicht ausreichend ankurbeln können. Faule Kredite lauern im System der Banken und lokalen Investmentgesellschaften. Die massive Ausweitung der Kreditvergabe staatlicher Banken gepaart mit dem Konjunkturprogramm könnte sich als Strohfeuer entpuppen. So ist die Entwicklung trotz beeindruckender Wachstumszahlen nicht nur rosig - auch wenn China als neuer Motor der Weltwirtschaft bejubelt wird.
"Chinas Wirtschaft ist weiterhin unausgewogen: Sie stützt sich übermäßig auf Exporte und Investitionen", warnt Ben Simpfendorfer von der Royal Bank of Scotland vor neuen Herausforderungen für die Weltwirtschaft. "Während China das weltweite Wachstum etwas unterstützt, besteht das Risiko, dass sich seine Wirtschaft wegen der Ungleichgewichte noch abrupt verlangsamt", sagt der China-Ökonom. "Als zweitgrößte Weltwirtschaft ist China einfach zu groß, um vom Währungsfonds oder anderen Institutionen gerettet zu werden."
Quelle: ntv.de, bad/rts/dpa