"Niveau eines Entwicklungslandes" Commerzbank kritisiert Italien
04.05.2012, 14:16 Uhr
Wie geht es weiter mit der Währungsunion? Nachdenkliche Blicke aus dem EZB-Neubau in Frankfurt am Main.
(Foto: REUTERS)
Mit einem eigenen Prüfbericht nimmt Deutschlands zweitgrößte Bank die Eurozone genauer unter die Lupe: Überraschendes Lob gibt es für Portugal und Spanien. Italien kommt dagegen gar nicht gut weg. Hilfe könnte indirekt aus Deutschland kommen. Dort erkennt Coba-Ökonom Krämer eine "Zeitenwende bei den Löhnen".

"Die Rahmenbedingungen für Unternehmen sind katastrophal": Die Kritik aus Deutschland dürften Mario Monti in den Ohren klingen.
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Die Volkswirte der Commerzbank gehen mit dem Euro-Schwergewicht Italien hart ins Gericht: Zwar habe sich die Lage der öffentlichen Haushalte in den zurückliegenden Monaten gebessert, sagte Chefvolkswirt Jörg Krämer. Strukturell hinke das Land der Entwicklung im Euroraum aber weit hinterher. "Die Rahmenbedingungen für Unternehmen sind katastrophal und auf dem Niveau eines Entwicklungslandes." Auch bei der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, die Krämer an den Lohnstückkosten misst, verliere im Gegensatz zu vielen anderen Euro-Ländern weiter an Boden.
Genau umgekehrt bewertet der Volkswirt die Lage in anderen Krisenländern der Eurozone wie Spanien, Portugal oder Irland. Sie seien im Gegensatz zu Italien zwar hinter dem Plan bei der Konsolidierung ihrer öffentlichen Haushalte. Die Standortqualität habe sich aber ebenso wie die preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbessert.
"Für Italien gilt daher: Mehr Schein als Sein", betonte Krämer. Er kritisierte insbesondere die Arbeitsmarktreform von Regierungschef Mario Monti, die in seinen Augen gescheitert ist. "Ich kann nicht verstehen, ."
Bis 2015 wieder Durchschnitt
Spanien und Portugal werden dagegen ihren Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Euroländern nach Einschätzung der Commerzbank in drei Jahren vollständig aufgeholt haben. Krämer begründete diese Prognose mit absehbar sinkenden Arbeitskosten in den von der Schuldenkrise besonders stark betroffenen Ländern. Auch sei hier auf einem guten Weg.
"Spanien, Portugal und Irland dürften bei ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit bereits 2015 wieder den Euroraum-Durchschnitt erreichen", sagte er. Diese Fortschritte in der Wettbewerbsfähigkeit dürften jedoch nur teilweise aus eigener Kraft gelingen, erklärte Krämer. Denn ausschlaggebend sei nicht nur die Lohnentwicklung in den Krisenländern.
Helfen werde den Portugiesen, Iren und Spaniern, dass die deutschen Lohnstückkosten nach Jahren der tariflichen Zurückhaltung überdurchschnittlich zulegen dürften. "Wir sehen ja jetzt schon eine Zeitenwende bei den Löhnen", sagte der Volkswirt. Die Löhne in Deutschland würden, so Krämer, "vermutlich viel stärker als in den vergangenen Jahren steigen (...), was den preislichen Rückstand der anderen Länder verringert."
Wenn das Zugpferd schwächelt ...
Für die Eurozone insgesamt sei das jedoch keine erfreuliche Entwicklung. "Die Währungsunion als Ganzes wird schwächer, wenn ihre größte Volkswirtschaft nicht nur gegenüber den Peripherieländern, sondern auch gegenüber den Volkswirtschaften außerhalb des Euroraums an Wettbewerbsfähigkeit verliert." Auslöser dieser Entwicklung sei vor allem die für Deutschland viel zu lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die hierzulande für ein jahrelang robustes Wirtschaftswachstum sorgen dürfte.
Trotz dieser Bedenken teilt Krämer nicht Ängste vor Preisblasen an den deutschen Vermögensmärkten, insbesondere im Immobilienbereich. "Ich gehe nicht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft überhitzt." Krämer argumentiert zum einen über den großen Außenhandelssektor Deutschlands. Dieser begrenze den Spielraum für Lohnerhöhungen, da im Exportgeschäft der Preisfaktor und damit die Löhne eine große Rolle spielten.
Keine Angst vor der Immobilienblase
Mit Blick auf den Immobilienmarkt verwies der Ökonom auf die vergleichsweise konservative Vergabepraxis der deutschen Banken bei Hypothekenkrediten. Auch die im internationalen Vergleich eher zurückhaltenden Kreditnehmer dürften einer Blasenbildung am Häusermarkt entgegen stehen.
Sehr skeptisch äußerte sich Krämer zu den Perspektiven Italiens. Die Arbeitsmarktreform von Ministerpräsident Mario Monti ist seiner Meinung nach gescheitert. "Italien bröckelt im Hintergrund weiter", sagte der Volkswirt. Die Arbeitskosten dürften in den kommenden Jahren steigen statt - wie es nötig wäre - sinken. "Ohne eine Lösung in Italien wird die Staatsschuldenkrise aber nicht gelöst", sagte Krämer.
Tourismus fällt als Retter aus
Kurzfristig bleibt die Lage zumindest auch in Spanien jedoch weiter angespannt: Am spanischen Arbeitsmarkt führte der Tourismus im Osterferienmonat April nur zu einer kleinen Entlastung. Zusätzliche Einstellungen in der Tourismusbranche ließen die Zahl der Arbeitslosen gegenüber März um 0,1 Prozent auf 4,7 Millionen sinken, wie das Arbeitsministerium mitteilte. Allerdings lag die Zahl der Arbeitslosen immer noch um 11 Prozent höher als im Vorjahresmonat.
Spanien hat wegen der Wirtschaftskrise im Sog der geplatzten Immobilienblase und der staatlichen Sparbemühungen mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Euroraum zu kämpfen. Das Arbeitsministerium veröffentlicht keine Arbeitslosenquoten, den jüngsten Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat zufolge lag die spanische Arbeitslosenquote im März bei 24,1 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie die für den Durchschnitt der Eurozone errechnete Quote von 10,9 Prozent.
Quelle: ntv.de, DJ/rts